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Die Methode Merkel Erfolgreich und doch zu wenig

Was die SPD nicht versteht: Moderation ist als Regierungsstil erfolgreicher als "Führung". Was die Union nicht versteht: Für eine Volkspartei ist Moderation nicht genug. Merkels Erfolg und die Erosion der CDU sind zwei Seiten einer Medaille.

Merkel für alle: Am 29. Juni beim "Wahlkongress" der Unionsparteien.

Merkel für alle: Am 29. Juni beim "Wahlkongress" der Unionsparteien.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Was immer die Bundestagswahl am 27. September bringen wird: Angela Merkel wird Kanzlerin bleiben. Alles andere wäre ein Wunder. Offen ist lediglich, ob die Union mit ihrem Wunschpartner FDP regieren kann oder ob die bequeme, aber ungeliebte Koalition mit der SPD fortgesetzt wird. Auch Schwarz-Grün ist zumindest theoretisch denkbar - und immer noch wahrscheinlicher als ein Wahlsieg der SPD.

Dabei zeigt die Dauerkrise der Sozialdemokraten, was auch der Union blühen kann. Denn von der Erosion der Volksparteien sind auch CDU und CSU betroffen: Die jüngste Forsa-Umfrage sieht die Schwesterparteien bei 36 Prozent - das ist kaum besser als die katastrophalen 35,2 Prozent von 2005.

Merkels Verdienst ist es, den Erosionsprozess vertuscht und verlangsamt zu haben, aufhalten kann sie ihn nicht. Kurioserweise werfen Sozialdemokraten ihr seit Beginn der Großen Koalition immer wieder vor, dass sie nicht stark genug führe. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sieht im Wahlkampf gar eine "Richtungsauseinandersetzung", bei der es "um Führung oder Moderation" gehe. Ganz offensichtlich hat die SPD verdrängt, dass es nicht zuletzt die "Führung" eines Gerhard Schröder war, an der SPD und Rot-Grün scheiterten. Merkels "Moderation" ist weitaus zeitgemäßer, als es die so plumpen wie letztlich hilflosen Machtworte des "Basta-Kanzlers" waren.

Stil ist nicht alles

Merkels Problem ist nicht ein Mangel an Führung. Moderation ist demokratischer und effizienter als das, was Sozialdemokraten unter "Führung" zu verstehen scheinen. Nach sieben Jahren Schröder war Merkels öffentlicher Stil im In- und Ausland geradezu eine Wohltat.

Merkel in Grün: Die Bundesumweltministerin stellt im Juli 1998 eine Klimastudie vor.

Merkel in Grün: Die Bundesumweltministerin stellt im Juli 1998 eine Klimastudie vor.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Doch Stil ist nicht alles. Anschaulich wie kein zweiter Bereich zeigt das Thema Klimaschutz die Stärken und Grenzen der Merkelschen Moderation. Im März 2007 sagte der Grünen-Umweltexperte Reinhard Loske über Merkel, sie, die als Umweltministerin ja immerhin "das Kyoto-Protokoll gepusht" habe, sei als Oppositionsführerin nach 1998 bei "den übelsten Kampagnen" gegen die Ökosteuer und gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz "immer vorne mit dabei" gewesen. "Ich habe mich gefragt, mein Gott, hat die Frau denn wirklich alles vergessen? Jetzt scheint sie sich wieder zu erinnern. Das ist nur gut so."

Das war, wie gesagt, 2007, als Klimaschutz noch populär war: In jenem Jahr veröffentlichte das IPCC seinen vierten Sachstandsbericht, Al Gores Film "Eine unbequeme Wahrheit" bekam einen Oscar und beide, Gore und das IPCC, erhielten den Friedensnobelpreis. Merkel lag voll im Trend: Ihr G8-Gipfel in Heiligendamm stellte Klimaschutz in den Mittelpunkt, und Merkel sah es als ihren Erfolg, dass George W. Bush den Europäern einen weiteren Millimeter entgegenkam.

Das ist Geschichte. Heute hat Merkel als Klimakanzlerin nicht viel mehr vorzuweisen als Absichtserklärungen und anerkennende Worte von Klimaschützern darüber, dass sie "als Physikerin" den Klimawandel verstanden habe. Merkel sei "so grün wie ein Chamäleon", soll Ernst Paul Dörfler, Mitbegründer der Grünen Partei in der DDR, einmal gesagt haben. Sie ist alles zugleich: Klimaschützerin und Autokanzlerin, Obama- und Bush-Freundin, neoliberal und sozialdemokratisch. Manches davon sogar gleichzeitig. Nach der Entscheidung über die Opel-Rettung sagte Merkel in einer Rede, sie "respektiere" die Bedenken von Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, "und ich möchte an dieser Stelle ein ausdrückliches 'Dankeschön' sagen". Wofür? Für seine Rücktrittsdrohung im Streit um Opel, bei dem er den Kürzeren zog?

Für alles offen

Längst setzt die gesamte Union vollständig auf das Prinzip Merkel. Im Wahlprogramm ist von so umstrittenen Projekten wie der Kopfpauschale oder einer Bierdeckel-Steuerreform keine Rede. Beim "Wahlkongress" der Union sagte Merkel, die "Volksparteien von CDU und CSU" machten "nicht Angebote an einzelne Gruppen": "Unser Angebot gilt für jeden."

Merkel für FDP-Wähler: Auf dem Leipziger Parteitag im Dezember 2003.

Merkel für FDP-Wähler: Auf dem Leipziger Parteitag im Dezember 2003.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Bislang funktioniert das: Merkel bietet eine Projektionsfläche, auf der jeder seine Wünsche finden kann. Es gibt kluge Menschen, die glauben, dass Merkel den Klimaschutz als zentrales politisches Ziel ansieht und dass sie insgeheim lieber Kanzlerin einer schwarz-grünen Koalition wäre. Ob dieser Gedanke abwegig oder plausibel erscheint, liegt allein am Merkel-Bild des jeweiligen Betrachters.

Die Frage "Wofür steht Merkel?" kann immer nur für den Moment beantwortet werden, eine "wahre Merkel" gibt es allenfalls nach Feierabend. Niemand weiß, welche Merkel wir in der nächsten Legislaturperiode erleben werden. Wird sie ihre Linie der größtmöglichen Konturlosigkeit fortführen? Wird es mit der FDP eine Rückkehr zur Merkel vom Leipziger CDU-Parteitag geben? Oder wird die rhetorische Klimawende politisch unterfüttert? Möglich ist alles. Es wird vor allem vom Koalitionspartner abhängen, welche Farbe das Chamäleon in den nächsten vier Jahren trägt. Die CDU wird derweil weiter erodieren. Denn für eine Kanzlerin mag Moderation genügen. Für eine Volkspartei ist es zuwenig.

Quelle: ntv.de

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