
Habeck und Journalisten von ARD und Reuters im Gespräch - ohne Maske.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Kritik am Flug des Kanzlers und des Bundeswirtschaftsministers ohne Maske ist überzogen. Ein Regierungsflug ist eben kein Linienflug oder eine Busfahrt durch Berlin. Dennoch haben die beiden Spitzenpolitiker ihren Parteien einen Bärendienst erwiesen - und das Verteidigungsministerium muss Fragen beantworten.
"Dumm ist der, der Dummes tut", pflegte Filmfigur Forrest Gump seine Mutter zu zitieren. In diesem Licht betrachtet, gaben Bundeskanzler Olaf Scholz und sein Vize Robert Habeck kein gutes Bild ab, als sie sich ohne Maske im Regierungsflieger auf dem Weg nach Kanada haben ablichten lassen. Wer als Spitzenpolitiker im Umgang mit der Pandemie Umsichtigkeit, freiwillige Einschränkungen und Regeltreue fordert, lässt besser nicht den Eindruck der Heuchelei entstehen, sondern geht selbst mit gutem Beispiel voran. Alles andere fällt Regierungsvertretern umgehend auf die Füße, wie die sofort lautgewordenen Rufe nach einem Ende der Flugzeug-Maskenpflicht - insbesondere vom Koalitionspartner FDP - zeigen.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert versuchte auch umgehend das Thema im Gespräch mit ntv einzufangen: "Wenn alle im Urlaubsflieger das tragen müssen und in der Regierung nicht, dann sorgt das für eine Form von Unmut", sagte er im "Frühstart". Die demonstrative Einsichtigkeit in die hochkochende Volksseele ist dabei vor allem als Nachgeben des gewieften Politstrategen zu verstehen: Er unternimmt gar nicht erst den Versuch, den Menschen zu erklären, dass des Kanzlers Maskenverzicht keineswegs bedeutet, er halte die Maskenpflicht in öffentlichen Transportmitteln für verzichtbar. Doch genauso ist es: Scholz ist für die Maskenpflicht in von der breiten Bevölkerung genutzten Verkehrsmitteln. Und ein Linienbus ist eben kein Regierungsflieger.
Maske macht Verkehrsmittel für alle nutzbar
In Linienflügen, Bahn und öffentlichem Nahverkehr muss sich jeder Passagier sicher fühlen können, auch wenn sich viele Mitreisende nach allgemeiner Erfahrung nicht regelmäßig testen. Die meisten Menschen sind auf diese Verkehrsmittel privat und beruflich schlichtweg angewiesen. Es geht eben nicht (nur) um den Beitrag der Maske zur Pandemie-Eindämmung, sondern darum, vulnerable Gruppen und solche Menschen, denen das Corona-Virus Angst macht, nicht vom öffentlichen Leben auszuschließen. Wer die Maske trägt, nimmt Rücksicht auf diese Gruppen. Ein Staat, der zur Maske verpflichtet, kümmert sich um die Schwächsten - um Alte und Vorerkrankte. In diesem Sinne wäre auch eine Maskenpflicht im Einzelhandel und in geschlossenen Räumen am Arbeitsplatz weiter sinnvoll.
Die Maskenpflicht am Arbeitsplatz gibt es aber derzeit nicht und so verhalten sich Politiker und Journalisten wie der Rest der arbeitenden Bevölkerung: Verständigen sie sich darauf, auch in geschlossenen Räumen die Maske abzunehmen, weil alle Beteiligten Vorsorge getragen haben oder keine Ansteckung fürchten, dürfen sie das tun. Dies gilt auch - moralisch gesehen - für den Regierungsflieger, wo sich alle zum Arbeiten aufhielten, aber niemand drin saß, weil er keine andere Wahl hatte. Diese Laxheit kann man unklug finden. Die Frage, ob hier Recht gebrochen wurde, richtet sich aber nicht an Scholz oder Habeck, sondern an das Bundesverteidigungsministerium. Auf welcher Grundlage hat die Flugbereitschaft der Luftwaffe entschieden, das Maskentragen in seinen Fliegern lediglich zu empfehlen statt durchzusetzen? Das gilt es aufzuklären.
Alle Passagiere waren jedenfalls frisch PCR-getestet und so verhielten sich die Reisenden wie die meisten anderen Bürger auch, wenn es keine explizit angemahnte Maskenpflicht gibt: Manche nahmen sie ab, manche ließen sie drauf. Scholz, Habeck und die Medienvertreter sind, wie nun auch außerhalb der Berliner Blase jeder weiß, im Umgang mit Corona keine Heiligen. Besonders hellsichtig waren sie aber auch nicht. Scholz und Habeck, die größtmögliche Spitzenvertreter von SPD und Grünen sind, taten ihren Parteien mit ihrer Bequemlichkeit keinen Gefallen. Schließlich ringen die beiden größeren Koalitionspartner mit der kleineren Regierungspartei FDP um die Corona-Maßnahmen für den Herbst. Dann soll die Maskenpflicht in Flugzeug und Bahn noch strenger gehandhabt werden. Wer seinen Bürgern den Gesundheitsschutz derart aufzwängen will, wofür es gute Gründe gibt, sollte auch in freiwilligen Situationen mit gutem Beispiel vorangehen. Das hätten der Kanzler und sein Vize besser einmal getan.
Ein Skandal für die, die ihn wollen
Zumal die Bilder so wohl auch nicht geplant waren: Nach Informationen von ntv hätte das auf solchen Regierungsreisen übliche Hintergrundgespräch zwischen Kanzler beziehungsweise Minister und den mitfliegenden Journalisten gar nicht gefilmt oder fotografiert werden sollen. Als es doch dazu kam, schritt Regierungssprecher Steffen Hebestreit nicht ein. Ein große Parallele zum Streit um die Holocaust-relativierenden Äußerungen von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Kanzleramt: Da hatte Hebestreit das Ende der Pressekonferenz ausgerufen, noch bevor Scholz seinem Gast etwas entgegnen konnte. Scholz musste sich hernach vorwerfen lassen, Abbas Äußerungen nicht umgehend verurteilt zu haben.
Dabei gibt es an Scholz' Haltung zum Holocaust und den deutsch-israelischen Beziehungen ebenso wenig Zweifel wie an seiner grundsätzlichen Regeltreue im Umgang mit Corona. Dass er im Fall der Maske dennoch den Eindruck der Doppelmoral - 'die da unten, wie hier oben' - auch nur riskiert hat, war eine politische Dummheit, eine Steilvorlage für den politischen Gegner und ein Aufreger, der von wichtigeren Debatten ablenkt. Mit Blick auf die im Regierungsflieger geltenden Regeln und die allzu menschliche Bequemlichkeit dieser Reisegesellschaft war es aber eben auch kein Skandal. Außer für jene natürlich, die daraus Kapital schlagen wollen - seien es nun Schlagzeilen oder politische Raumgewinne.
Anmerkung: In einer früheren Version hat der Autor formuliert, die Feststellung eines Regelverstoßes gehe an der Realität vorbei. Das war irreführend und wurde geändert. Danke für entsprechende Leserhinweise.
Quelle: ntv.de