Nordkoreas unerträglicher Triumph Umgang mit "Witzfigur" Kim ist zum Heulen
20.12.2014, 10:50 Uhr
Die große Inszenierung fällt Kim Jong Un mittlerweile sehr leicht. Schon sein Vater und Großvater wussten: Ohne einen allumfassenden Führerkult lässt sich die Bevölkerung Nordkoreas nicht kontrollieren.
(Foto: REUTERS)
Ein paar Hacker-Attacken, eine Drohung - und ein Unternehmen mit Sitz in den USA zensiert sich selbst. Der Film "The Interview" kommt vorerst nicht in die Kinos. Das Weiße Haus reagiert - mit einer inhaltsleeren Warnung. Geht's noch?
Was wäre, wenn es sich um ein Buch gehandelt hätte und keine Hollywood-Komödie? Was wäre, wenn es sich um den Iran gedreht hätte, nicht um Nordkorea?
Die Verantwortlichen bei Sony Pictures haben einen gewaltigen Fehler gemacht, als sie entschieden, den Kinostart von "The Interview" zu verschieben, weil Hacker - mutmaßlich aus Nordkorea - Betriebsgeheimnisse verbreiteten und mit Anschlägen auf Kinos drohten, wenn der Streifen erscheint. Hollywood muss diese Entscheidung sofort revidieren. Das kann allerdings nur der Anfang sein.
Es ist nicht bekannt, was die US-Regierung getan hat, um die Entscheidung für die Selbstzensur von Sony Pictures zu beeinflussen. Der Filmkonzern behauptet, es habe Beratungen mit Washington gegeben. Offensichtlich waren sie aber nicht ausreichend. Auch das Weiße Haus steht deshalb unter Handlungszwang. US-Präsident Obama kündigte eine "angemessene Reaktion" zu "gegebener" Zeit an. Das ist ein Anfang, aber nur bei dieser Drohung darf es nicht bleiben.
Um sich vorstellen zu können, was da gerade passiert ist, muss man sich an den 26. September 1988 erinnern, den Tag, an dem Salman Rushdies "Satanische Verse" erschienen. Vor der Veröffentlichung des satirischen Werkes über den Islam und den Propheten Mohammed erließ der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeine eine Fatwa - einen Aufruf zum Mord am Autor und allen, die an der Publikation des Buches beteiligt sind. Hätte der Verlag sich damals gegen die Veröffentlichung entschieden, es wäre die Preisgabe des Rechts auf freie Meinungsäußerung gewesen, die Kapitulation vor dem Terror.
Wer nun glaubt, die Sache von "The Interview" sei etwas völlig anderes, weil der Film nur Klamauk ohne größere politische Dimension ist und Nordkorea doch nur ein schräger Retro-Staat mit einem skurrilen Regime, einem Führer mit komischer Haarfrisur und einer Pappmaché-Armee, der irrt.
Keine Zugeständnisse an Terroristen
Ganz abgesehen davon, dass es noch viel schlimmer wäre, wenn es einer Witzfigur gelungen wäre, ein Unternehmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten derart zu erpressen, gilt: Kim Jong Un und seine Sippschaft zählen zu den schrecklichsten Despoten dieser Tage. Hundertausende leiden in ihrem perfiden Gulag-System. Das Regime ist dem Bau der Bombe womöglich näher, als es der Iran je war. Und Pjöngjang nutzt seine nukleare Macht genauso wie die andauernde humanitäre Krise in dem Land, um die Weltmächte gegeneinander auszuspielen. Diesem Staat ist es nun gelungen, die Meinungsfreiheit in den USA und in allen anderen Staaten, in denen "The Interview" gezeigt werden sollte, einzuschränken. Das ist unfassbar und unerträglich.
Es reicht deshalb nicht, dass Sony Pictures seine Entscheidung nur überdenkt. Den Film jetzt umsonst bei Youtube einzustellen, wäre ein angemessenes Statement. Die US-Regierung wiederum wäre gut beraten, wenn sie den Angriff Nordkoreas auf die Meinungsfreiheit nicht als eine Tat "außerhalb der Grenzen des akzeptablen Verhaltens von Staaten" umschreiben würde. Sie muss den Fall klar als das benennen, was er ist: ein erfolgreicher Terrorakt.
Nordkorea ist schon mit so vielem durchgekommen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Neben wiederholten Atomtests ließ Pjöngjang 2010 die südkoreanische Insel Yeonpyeong bombardieren. Mit jedem weiteren Scharmützel der Kims verstärkt sich der Eindruck, dass die USA und mit ihnen nahezu alle anderen demokratischen Staaten die Gewalt- und Terrorherrschaft der Familie Kim weniger ernst nehmen als die Machenschaften anderer Regime.
Unabhängig davon, ob dieser Eindruck trügt, schon der Gedanke daran darf nicht aufkeimen. Die USA müssen jetzt aufzeigen, wo die Grenzen liegen. Sonst wird sich das geltungssüchtige Regime Pjöngjangs die Selbstzensur der freien Welt als einen weiteren Trumpf für seine Propaganda zunutze machen. Kim Jong Un wird sich zudem ermuntert fühlen, seine Interessen weiterhin auf diesem Wege durchzusetzen. Und mit ihm Abu Bakr Al Bagdhadi, der Chef des Islamischen Staates, und alle anderen Herrscher von Unrechts- und Möchtegernstaaten auf dieser Erde.
Quelle: ntv.de