Person der Woche

Person der Woche Andrea Nahles - Trümmerfrau der SPD

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Die SPD ist nach dem Wahldebakel tief erschüttert. Andrea Nahles soll nun neue Fraktionsvorsitzende werden und die Partei retten. Ihre Nominierung ist zugleich ein Tiefschlag von Martin Schulz gegen Sigmar Gabriel.

Martin Schulz hat nach dem historischen SPD-Wahldebakel den Trick von Frank-Walter Steinmeier wiederholt. Der hatte im September 2009 als desaströs geschlagener Kanzlerkandidat die Schockstarre der SPD per Sofortzugriff genutzt und erklärt, er führe die SPD nun stolz in die Opposition und entschied den Fraktionsvorsitz blitzschnell für sich. Es war der Putsch eines Verlierers, und er gelang.

Schulz versucht nun Ähnliches. Eigentlich müsste er nach dem vernichtenden Ergebnis ehrliche Selbstkritik üben, Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Das tut er aber nicht, sondern betreibt vielmehr munter offensive Machtpolitik.

Seine Blitz-Festlegung der SPD auf einen alternativlosen Oppositionskurs macht der Partei die Gestaltungsräume unnötig eng und gerät zusehends in die Kritik, weil die Interessen Deutschlands (eine stabile Regierung zu bekommen) damit denen der Partei untergeordnet wirken. Sein Auftritt am Wahlabend erinnerte manche Genossen sogar an den Gerhard Schröders in der legendären Elefantenrunde von 2005, als er im ersten Affekt der verblüfften Republik erklärte, die SPD werde niemals in eine Regierung unter Angela Merkel eintreten.

Erst nach und nach regt sich unter Sozialdemokraten nun eine Debatte, ob die Flucht vor der Macht wirklich die klügste Entscheidung sei. Doch Schulz legt seine Machtblitz-Strategie doppelt an. Gleichzeitig mit seinem Oppositionsentscheid ließ er rasch verbreiten, Andrea Nahles werde nun Fraktionsvorsitzende. Er persönlich habe sie - die alte Erzfeindin von Sigmar Gabriel - sofort vorgeschlagen. Damit stößt Schulz sowohl Thomas Oppermann als auch Sigmar Gabriel offen vor den Kopf. Nicht nur der bürgerliche "Seeheimer Kreis" in der SPD fühlt sich überrumpelt. "Er reißt im Fallen noch die Tischdecke der SPD herunter", ärgern sich Gefolgsleute von Sigmar Gabriel.

Gabriel hat zu dem Oppositionsentscheid und zur Fraktionsfrage bislang auffallend geschwiegen, denn der Blitzkurs von Schulz bedeutet seine völlige Entmachtung. Schon seit Monaten sind Schulz und Gabriel offene Rivalen an der Spitze der SPD. Die Nominierung von Andrea Nahles wirkt für viele Genossen wie eine letzte Rache Schulz’ an seinem Vorgänger, der natürlich auch selber gerne Fraktionschef geworden wäre.

Sozialdemokratische Träume verwirklicht

Damit ergibt sich die fast sprichwörtliche Situation, dass wenn zwei sich streiten, eine Dritte sich freuen kann. Andrea Nahles profitiert vom Machtkampf der beiden Männer. Dabei gibt es gute Argumente, warum gerade sie nun als Trümmerfrau der SPD den Wiederaufbau der SPD starten sollte. Sie verkörpert - wie 2002 Angela Merkel bei der damals skandalgeschüttelten CDU - den nun überfälligen Generationenwechsel der SPD. Sie hat Rückhalt in der Fraktion und genießt die Unterstützung von wichtigen Schlüsselfiguren wie Olaf Scholz.

Das Ansehen hat sich Nahles als erfolgreichste Ministerin der letzten Regierung erarbeitet. Die Arbeitsministerin hat Traumpläne der SPD in Serie Realität werden lassen: Mindestlohn, Rente ab 63, mehr Rechte für Leiharbeiter, Tarifeinheit, Angleichung der Ost-West-Renten. Insbesondere bei Gewerkschaften ist Nahles darum beliebt wie eine Wunderfee.

Nahles ist - das betonen Freunde wie Gegner gleichermaßen - machtpolitisch hoch versiert. Sie hat bereits drei dramatische Machtwechsel an der SPD-Spitze wesentlich mitgestaltet. Als Juso-Chefin organisierte sie beim Parteitag in Mannheim 1995 die Mehrheiten für den Sturz des damaligen SPD-Chefs Rudolf Scharping und verhalf so Oskar Lafontaine an die Spitze der Partei.

Gerhard Schröder bekam ihren kraftvollen Widerstand zu spüren: Nahles beschimpfte ihn wegen seiner Agenda-Politik als "Abrissbirne" des Sozialstaats. 2004 gab Schröder als Kanzler unter dem Druck des linken Nahles-Parteiflügels den Parteivorsitz an Franz Müntefering ab. Doch auch der bekam die Kante von Andrea Nahles bald zu spüren. So setzte sie sich 2005 in einer Kampfabstimmung als Kandidatin für das Amt der Generalsekretärin durch. Müntefering, der sie als Generalsekretärin ablehnte, kandidierte daraufhin nicht erneut für den Parteivorsitz.

Nahles weiß, wie Konservative fühlen

In der letzten Legislatur hielt sich Nahles geschickt aus den Intrigen der Partei heraus und baute systematisch Gefolgschaften in der Fraktion auf. Vor der Wahl meldete sie ihre parlamentarischen Ansprüche mit einer feurigen Abschluss-Rede im Bundestag an.

Nahles wird zwar als temperamentvolle Linke in der Sache oft kritisiert. Als Person und Politikerin aber genießt sie Respekt weit über ihre Parteigrenzen hinaus. Seehofer, Schäuble und Merkel haben ihre besondere Achtung vor der Konkurrentin bereits in der vergangenen Legislatur zu Protokoll gegeben. Dabei spielt auch ihre wertegebundene, katholische Prägung eine Rolle. Nahles weiß, wie Konservative fühlen. Bei Abstimmungen über Fragen von Leben und Tod, die als Gewissensfragen im Bundestag ohne Fraktionszwang abgestimmt werden, fand sie sich zuweilen mit Christdemokraten im Bund.

Als Maurerstochter aus der Eifel war ihr eine derart spektakuläre politische Karriere nicht vorgezeichnet. In ihrem konservativ geprägten Heimatort Mayen gab es noch nicht einmal einen SPD-Ortsverein. Den gründete Nahles, nachdem sie 18-jährig in die Partei eingetreten war. In der Abiturzeitung gab sie als Berufswunsch "Hausfrau oder Bundeskanzlerin" an. Als erste Fraktionschefin der SPD hätte sie gute Chancen, 2021 auch erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei zu werden. Es sei denn, Sigmar Gabriel bremst sie auf dem Weg dahin aus.

Quelle: ntv.de

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