Person der Woche Die Linksaußen-Präsidentin der WM
24.06.2014, 17:27 Uhr
Brasiliens Präsidentin nutzt die große Bühne der WM für ihren Wahlkampf. Dilma Rousseff muss um ihr Amt kämpfen, denn ihre sozialistische Partei ist korrupt. Und Brasilien leidet unter der linken Regierung.
Die Fußballweltmeisterschaft hat eine Siegerin bereits sicher: Dilma Rousseff gewinnt mit der Euphorie in Brasilien an Popularität und legt in den Umfragen Tag für Tag zu. Das Spektakel rückt nicht nur den Fußball ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, sondern auch Brasilien und seine Präsidentin. Am 5. Oktober sind Wahlen und Dilma Rousseff macht mit dem Fußball leichtfüßig ihren Wahlkampf.
Zu Jahresbeginn waren ihre Zustimmungswerte noch eingebrochen, die Stimmung im Land kühlte ab wie die Konjunktur, die WM schien die Regierung eher zu belasten. Sechs Prozentpunkte sackte Rousseff in den Umfragen ab, die sicher geglaubte Wiederwahl schien zu wanken. Doch seit der Ball rollt, die Fahnen wehen und die Stadien jubeln, hat Rousseff ihr Comback. Sie liegt derzeit zwischen 34 und 38 Prozent der Umfragezustimmung, der bürgerliche Konkurrent Aécio Neves bei 20 bis 24 Prozent und der Sozialist Eduardo Campos bei 10 bis 15 Prozent. Damit bekäme sie so viele Stimmen wie ihre beiden wichtigsten Konkurrenten zusammen. Ein Kantersieg scheint wieder möglich.
Politische Beobachter führen dies auf die enorme Präsenz der Präsidentin rund um die WM zurück. Eine Woge des Patriotismus erfasst Brasilien und die Staatschefin profitiert davon wie ein Mannschaftskapitän. Dabei war es beim WM-Auftaktspiel in São Paulo anfangs zu unschönen Szenen gekommen. Als die Präsidentin kurz auf dem Großbildschirm gezeigt wurde, schallten sofort obszöne Chorgesänge durch das Stadion. Vier Mal musste die Präsidentin die derb-sexuellen Schmähungen ertragen. Dagegen war das Pfeifkonzert, das sie im vergangenen Jahr beim Confed Cup zu hören bekommen hatte, noch harmlos.
Doch der Eklat erwies sich für Rousseff als ein erster überraschender WM-Treffer. Denn ein Großteil des Fernsehpublikums empfand offenbar Mitgefühl mit ihrer Staatschefin. Umfragen großer Zeitungen zeigen, dass die wüste Verbal-Attacke der Sympathie Rousseffs genutzt hat - insbesondere bei Frauen. Sie selbst reagierte geschickt und erklärte zu dem Vorfall, die Beleidigungen spiegelten nicht die Meinung der brasilianischen Bevölkerung wider. Brasilianer seien "zivilisiert, gutmütig und gebildet". Sie habe schon andere "extrem schwierige" Situationen gemeistert und werde sich nicht einschüchtern lassen von unflätigen Beschimpfungen, die "Kinder und Familien nicht hören sollten". Rousseff kann seit dem Eklat auch ihre eigene Opfergeschichte gefühlsstark ausbreiten. Denn sie wurde zu Zeiten der Militärdiktatur als engagierte Studentin verfolgt, exmatrikuliert und ins Gefängnis gesteckt - und erwarb sich den Nimbus einer tapferen, unbeugsamen Frau. Dieser Eindruck vertiefte sich, als sie vor einigen Jahren mit ihrer Krebserkrankung offen und kämpferisch umging. Nun bekommt das Image eine neue, aktuelle Facette. Besser hätten es sich Wahlkampfstrategen nicht ausdenken können.
Günstlings-Genossensystem mit verzweigter Vetternwirtschaft
Dabei steht Rousseff aus politischen Gründen seit Monaten schwer in der Kritik. Ihr werden nicht nur die ausufernden Kosten der WM angelastet, sondern vor allem die nicht erfüllten Versprechen für mehr Sicherheit, für ein ordentliches Gesundheitssystem, bessere Schulen und eine moderne Infrastruktur. Seit zehn Jahren regiert Rousseffs Partido dos Trabalhadores (Arbeiterpartei, PT), eine reichlich linke Gruppierung, der einst die Herzen zuflogen, die heute aber Protest provoziert. Das Symbol der Partei ist der rote Sowjetstern, ihre Leitlinie ist nicht die Bürgerrepublik sondern der Genossenstaat. Die Präsidentin höchstselbst stammt aus einer sehr linken Tradition, ihr Vater war bulgarischer Kommunist, sie schloss sich als Jugendliche der marxistisch-leninistischen Guerillaorganisation "VAR Palmares" an, die einst gegen die Militärdiktatur kämpfte. Heute sucht sie ihr Heil im "demokratischen Sozialismus". Doch der Sozialismus der PT ist weniger demokratisch als vielmehr bürokratisch und korrupt.

"Das Ende der Armut ist nur der Anfang. Die Leute wollen mehr, und sie haben auch mehr verdient", sagt Rousseff. Viele Brasilianer haben jedoch keine Geduld mehr.
(Foto: REUTERS)
Die linken PT-Netzwerke haben über die Jahre ein Günstlings-Genossensystem mit verzweigter Vetternwirtschaft geschaffen. Selbst Stimmenkäufe gehörten dazu: Die Regierung zahlte Abgeordneten monatliche Beträge, damit sie heikle Abstimmungen nicht blockierten. Dieses Bestechungssystem, "Mensalao" genannt, ist inzwischen aufgeflogen und Keim der Wut gegen die roten Machthaber. Das Ausmaß der PT-Korruption, die den Staat zusehends zum Selbstbedienungsladen linker Cliquen gemacht hat, zeigte sich im Bundesstaat Parát und der illegalen Genehmigungen für das Fällen von gewaltigen Mengen Regenwaldholzes durch Mitglieder der PT. Die Einnahmen und die Gegenleistungen der Begünstigten wurden wiederum dazu benutzt, PT-Kandidaten im Wahlkampf zu helfen.
Zugleich hat die PT-Regierungsclique den von ihr kontrollierten Staat immer dreister in die Taschen seiner Bürger greifen lassen, die Steuern und Gebühren (bis hin zum Busticket) allenthalben erhöht, dafür aber nur eine dürftige Gegenleistung an Infrastruktur und öffentlicher Dienstleistung geboten. Straßen, Krankenhäuser und Schulen sind in bescheidenem Zustand, und auch die schlecht bekämpfte Kriminalität empört das Bürgertum.
30 Prozent wollen leeren Stimmzettel abgeben
Die Schwäche der Infrastruktur Brasiliens ist dabei direkte Folge der sozialistischen Eingriffe in den Markt - von Gewinnbeschränkungen für Bauunternehmer bis zur ausufernden Steuer- und Planungsbürokratie wird das Land vielfach in seinem Aufstieg gehemmt. Die Investitionsquote ist nicht einmal halb so hoch wie in China und auch deutlich unterhalb der von Indien. In der "Doing Business"-Rangliste der Weltbank belegt unter 183 Ländern Brasilien auf dem beschämenden Platz 126 - Tendenz fallend. Bei "Steuern" wird Brasilien auf einem dramatisch unternehmensfeindlichen Rang Nummer 150 gelistet.
Die Massenproteste sind daher weder Armenaufstand noch linke Anti-Kapitalismus-Bewegung. Es ist der neue, junge Mittelstand Brasiliens, der auf die Straße geht. Der korrupte, von linken Politikern zur Beute genommene Staat und seine unfähige Bürokratie entfachen die Wut des neuen, selbstbewussten Bürgertums. Das ist die Konfliktlinie in Brasilien - und an dieser Front steht Dilma Rousseff.
Die "rote Dilma" ist klug genug, darauf zu reagieren. Sie kündigt daher für den Fall eines Wahlsiegs Investitionen in Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen und den Bildungssektor an. "Das Ende der Armut ist nur der Anfang. Die Leute wollen mehr, und sie haben auch mehr verdient", appelliert sie nun an die Geduld. Rousseff kündigte sogar eine Initiative zum Bürokratieabbau an. "Kein Land der Welt hat sich entwickelt, ohne die alten Fesseln der Bürokratie abzuwerfen", tönt sie. "Um voranzukommen, müssen wir das brasilianische Staatswesen verändern - in einen effizienten, transparenten und modernen Staat."
Das klingt gut, doch die meisten Brasilianer bleiben skeptisch, wittern Wortgeklingel und zweifeln, ob sie ein liberales Modernisierungsprogramm gegen die links-korrupten Seilschaften überhaupt durchsetzen kann. Die WM mag Rousseff Rückenwind geben, und die Wiederwahl scheint wieder wahrscheinlich. Doch stabile, echte Zustimmung hat sie in der Breite nicht. In Brasilien herrscht Wahlpflicht, und einer Umfrage zufolge wollen mehr als 30 Prozent einen leeren Stimmzettel abgeben.
Quelle: ntv.de