Europa und die Flüchtlinge "Das Ergebnis ist Chaos"
02.09.2015, 20:44 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Die große Anzahl an Menschen in Not bringt das "Dublin"-System zum kollabieren. Länder wie Ungarn und Italien sind von der schieren Menge an Flüchtlingen überfordert. Die Asylsuchenden reisen nach ihrer Ankunft in diesen Ländern ungeprüft weiter. Der EU fehlt eine einheitliche Linie. Während sich unter anderem Großbritannien, Ungarn und Bulgarien abschotten, nehmen Deutschland und Schweden die Mehrheit der Flüchtlinge auf. Eine verbindliche Quotenregelung scheitert am Widerstand zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten. Die Presse diskutiert.
"Europa macht in der Asylfrage keinen Staat", kommentiert die Nürnberger Zeitung. An das geltende Quotensystem halte sich kaum ein EU-Staat. Jetzt versuche, so das Blatt weiter, die EU-Kommission die Mitgliedsländer zum Handeln zu bewegen: "Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will am kommenden Mittwoch im Europaparlament seine Vorschläge auszubreiten. Doch was will er schon anbieten? Ein Gipfeltreffen der Staatschefs, bei dem noch einmal der Ernst der Lage dargelegt werden müsste, ist das mindeste. Noch dringlicher wäre ein einheitliches europäisches Asylrecht, das von Estland bis Portugal gilt. Wobei ein Verteilschlüssel angewandt werden muss, der wirtschaftlich schwächere Länder nicht überfordert. Auch die Asylkriterien sollten noch einmal überprüft und angepasst werden."
Der Trierische Volksfreund sieht ein Gerechtigkeitsproblem innerhalb Europas als eine der Ursachen von Fremdenfeindlichkeit: "Es ist eine Binsenweisheit, dass Europa nicht jeden aufnehmen kann. Die aktuellen Zahlen aber sind unter der Voraussetzung bewältigbar, dass es in Europa selbst gerechter zugeht als jetzt. Das gilt nicht nur für die Verteilung der Flüchtlinge, sondern die ökonomischen Perspektiven der Europäer selbst. Wer sich als wirtschaftlicher Verlierer fühlt, sieht leider oft einen Konkurrenten, nicht einen Schutzbedürftigen. Europa muss sich also in vielerlei Hinsicht ändern, will es die Generationenaufgabe meistern, für die keine Generation Zeit ist. Die Abschottung hat sich als Sackgasse erwiesen. Mehr Öffnung, mehr Solidarität, mehr Europa ist nötig. Ob es im aktuellen Zustand die Kraft dazu findet, steht in den Sternen. Zu wünschen wäre es.
Auch die Aachener Zeitung pocht auf ein gerechtes Quotensystem für Flüchtlinge: "Die EU muss unter ihren Mitgliedern eine verbindliche Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen durchsetzen, die sich nach Bevölkerungszahl, Bruttosozialprodukt und Arbeitslosenrate richtet. Wenn sie das nicht schafft, kann sie alles Gerede über Gemeinsamkeit und solidarisches Miteinander sparen. Dass sich ausgerechnet die baltischen Staaten, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn dem verweigern, ist umso unverständlicher, als gerade diese Länder vor nicht allzu langer Zeit in die EU drängten, weil sie genau das wollten: Solidarität, Beistand, Unterstützung."
Der Münchner Merkur wirft der Bundeskanzlerin mangelnde Kohärenz in ihrer Flüchtlingspolitik vor: "Die Geister, die sie rief, wird die Flüchtlings-Kanzlerin nicht mehr los: Noch am Dienstag versprach Merkel, dass alle Syrer, die es bis nach Deutschland schaffen, auch hier einen Status als Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten. Einen Tag später fleht das Bundesinnenministerium Italien an, die Grenzkontrollen am Brenner wieder aufzunehmen. Ja was denn nun, Frau Merkel? Tore auf? Oder Schotten dicht? Erst die Mutter Theresa der Flüchtlinge geben und dann die Nachbarn auffordern, den Deutschen die Zuwanderer vom Hals zu halten? So geht das nicht. Mit seinen widersprüchlichen Signalen ist Berlin drauf und dran, ganz Europa gegen sich aufzubringen. Die EU und ihre Führungsmacht, sie finden in der Flüchtlingskrise nicht zueinander. Das Ergebnis ist Chaos."
Zusammengestellt von Aljoscha Ilg.
Quelle: ntv.de