Abgas-Manipulationen bei VW "Die Deutschen stehen da wie übertölpelt"
22.09.2015, 20:31 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Volkswagen steht vor den Trümmern des eigenen Saubermann-Images. Der Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Diesel-Fahrzeugen hat das Vertrauen in den Konzern tiefgreifend erschüttert. Doch auch das Siegel "Made in Germany" bekommt Risse. Tausende Arbeitsplätze seien gefährdet, warnt die deutsche Presse und richtet scharfe Worte an Martin Winterkorn. Zuvor hatte sich der VW-Chef in einem Video-Statement zu den Abgas-Manipulationen geäußert.
Bei den Nürnberger Nachrichten stößt die Video-Botschaft Winterkorns auf harte Kritik: "VW: Das Kürzel steht seit dem Wochenende für 'Vertrauen weg'. (...) Deutschlands wichtigster Konzern steckt in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Und was sagt der Mann, der an der Spitze dieses Konzerns steht? Er bittet um Entschuldigung. Das soll es tatsächlich gewesen sein, diese windelweiche Erklärung, die Martin Winterkorn da abgab? Da sind Politiker schon oft wegen viel geringerer Anlässe zurückgetreten."
"Volkswagen, einer der Inbegriffe deutscher Wertarbeit, hat betrogen. Das schädigt eben nicht nur den Konzern aus Niedersachsen, es betrifft all die Waren und Ideen, die in Deutschland teuer hergestellt werden und für die ausländische Kunden bisher einen höheren Preis zu zahlen bereit waren", kommentiert die Schwäbische Zeitung. Noch gravierender könne aber die Wirkung auf den deutschen Markt sein: "Wenn (…) deutsche Käufer den Glauben an die eigenen Marken verlieren, wird das den Markt verändern. Das würde Tausende Arbeitsplätze kosten. Die Deutschen stehen da wie übertölpelt, nicht von ausländischen Mächten, sondern von der kriminellen Kreativität der eigenen Autobauer."
Auch die Welt sieht im VW-Skandal eine Gefahr für den Industriestandort Deutschland: "Die deutschen Unternehmen sind unter anderem deshalb weltweit so erfolgreich, weil 'Made in Germany' eine Auszeichnung ist. Dass man liefert, was man verspricht, ist eine Tugend, der sich alle Unternehmen verpflichtet fühlen müssten. Für deutsche Unternehmen gilt das besonders. Speziell für die Automobilhersteller. Wer eines ihrer Produkte im Ausland kauft, tut das auch, weil er damit das Gefühl erwirbt, etwas Werthaltiges und vor allem Verlässliches zu besitzen. Gibt es dieses Gefühl nicht mehr, ist das Image weg, von dem gerade die deutschen Premium-Autobauer leben. Und was es bedeutet, wenn die Absatzzahlen der Autohersteller bröckeln, hat Daimler-Chef Dieter Zetsche erst jüngst beschrieben: 'Die deutsche Industrie, das sind die Automobilhersteller. Und noch ein bisschen was.'"
Die Neue Presse aus Hannover ist der Ansicht, dass der Skandal Winterkorn seinen Posten kosten wird: "Der Abgas-Skandal stürzt Volkswagen in eine bedrohliche Krise. Die Konsequenzen sind längst nicht absehbar, weil die finanziellen und ideellen Unwägbarkeiten immer größer werden - und zwar weltweit. Vor diesem Hintergrund kann es ernsthaft nicht sein, dass der Skandal ohne einen Neuanfang an der Spitze ablaufen sollte. Ein plausibler Nachfolger für Martin Winterkorn wäre in der Tat Matthias Müller. Der Porsche-Chef gilt im Konzern ohnehin als Feuerlöscher. Bittere Ironie der Vorgänge: Piech könnte am Ende zum großen Sieger in Abwesenheit werden. Sein Rückzug verhinderte wie beabsichtigt, dass Winterkorn an die Spitze des Aufsichtsrates rücken konnte. Der Skandal stürzt den VW-Chef vielleicht jetzt ganz vom Thron, und Piëchs Wunschkandidat Müller könnte aufrücken."
Die Neue Osnabrücker Zeitung sieht Winterkorn ebenfalls in der Verantwortung: "Kaum zu glauben, dass nur einzelne Mitarbeiter von den offenbar systematischen Manipulationen gewusst haben sollen, wie VW-Chef Winterkorn jetzt glauben machen will. Die letzte Verantwortung dafür liegt in jedem Fall beim Vorstand. Er zieht die Leitplanken, zwischen denen sich alle Mitarbeiter bewegen müssen. Offenbar sind ihm dabei Maß und Mitte verloren gegangen. Spätestens nach Vorliegen aller Details ist es Zeit für einen Neuanfang an der Spitze von VW."
Zusammengestellt von Aljoscha Ilg.
Quelle: ntv.de