Umgang mit Erdogan und EU-Beitritt "Die Türkei gehört nicht dazu"
04.08.2016, 21:15 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Die kritischen Worte von Österreichs Bundeskanzler Christian Kern zum Kurs der Türkei schlagen hohe Wellen. Kerns Aussage, der EU-Beitritt der Türkei sei "nur noch diplomatische Fiktion", sorgt für einen Eklat - Stimmen aus Ankara werfen der Alpenrepublik gar Rechtsextremismus vor. Während sich die EU um Schadensbegrenzung bemüht, diskutiert die deutsche Presse den Dialog mit Ankara kontrovers.
Die Schwäbische Zeitung stellt die Frage nach dem bestmöglichen Umgang mit Erdogan: "Manchmal tut es ganz gut, wenn einer im politischen Betrieb ein Tabu bricht und sagt, was alle denken." So hätte Kern ausgesprochen, was die meisten in der EU seit langem wüssten: "Die Türkei gehört nicht dazu." Allerdings stelle sich nun die Frage, wie mit Erdogan umgegangen werden solle. Der türkische Präsident weise im mangelnden Respekt vor demokratischen Institutionen Parallelen zu Wladimir Putin auf, stellen die Kommentatoren fest. "Und mit dem hat besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel umzugehen gelernt." Ein solches Konzept aus Dialog und klarer Kante brauche man auch für den Umgang mit Recep Tayyip Erdogan, fordert die Schwäbische Zeitung.
Die Kommentatoren der Rhein-Neckar-Zeitung sind sich einig: Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei kommt so lange nicht in Frage, "so lange Ankara den Auflagen nicht nachkommt". Angesichts der aktuellen Lage, in der sich der anatolische Staat immer weiter von der Europäischen Union entferne, rücke der Beitritt ohnehin in weite Ferne: "Wieso sollte die EU also deshalb die Gespräche abbrechen?", fragt das Blatt. Zudem seien die Möglichkeiten der Einflussnahme noch weiter beschränkt, würden alle diplomatischen Kanäle dichtgemacht, mahnt die Zeitung aus Heidelberg.
Das Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung fordert eine klarere Botschaft der EU an Ankara: "Wer die Grundrechte der EU mit Füßen tritt, muss auch Konsequenzen spüren." Nachdem bereits der Tourismus eingebrochen und die türkische Reisebranche in eine Krise gestürzt sei, müsse Europa mehr Klarheit in Sprache und Auftreten wagen, fordern die Kommentatoren. Das entspräche dem Motto: "Herr Erdogan, es reicht - mit diktatorischen Methoden können Sie kein Mitglied in der EU sein."
Der Reutlinger General-Anzeiger beurteilt die Lage verhaltener: Erdogan, so das Blatt, werde seinen Kurs nur ändern, wenn die Türkei die Perspektive für die Westbindung behalte. Aus den ergebnislosen Beitrittsverhandlungen der letzten zehn Jahre resultiere Enttäuschung - das sei eine Ursache für den momentanen Kurs, schreibt das Blatt. Wer das außer Acht lasse, warnen die Kommentatoren, stärke die ohnehin wiedererstarkende Freundschaft zwischen "den kurzfristigen Erzfeinden Erdogan und Putin".
"Wer den Gesprächsfaden abreißt, beschleunigt die Entfremdung" - so kommentiert die Badische Zeitung einen drohenden Gesprächsabbruch zwischen Ankara und der EU. Damit beraube man sich allerdings der Möglichkeit, Einfluss auf das Gegenüber zu nehmen. Auch wenn die Chancen derzeit bescheiden stünden, gibt das Blatt aus Freiburg zu bedenken, "Reden - möglichst Klartext - ist allemal besser als Sprachlosigkeit." Hinzu käme, so die Badische Zeitung, dass der Abbruch der Verhandlungen einen einstimmigen EU-Beschluss erfordere - und der wäre mehr als ungewiss. "Das Scheitern einer solchen Drohung aber wäre ein Triumph für den Sultan von Ankara", konstatiert die Zeitung.
Zusammengestellt von Judith Günther
Quelle: ntv.de