Böhrnsen-Rücktritt in Bremen "Eine konsequente Entscheidung"
11.05.2015, 20:27 Uhr
Jens Böhrnsen ist ein trauriger Sieger: Zwar bleibt seine SPD mit 32,9 Prozent der Stimmen nach der Bürgerschaftswahl stärkste Kraft in Bremen, heimst dort aber gleichzeitig das schlechteste Ergebnis seit 1946 ein. Grund für die Misere ist vor allem die schlechte Wahlbeteiligung der Hanseaten - nur 50 Prozent der Bremer gingen ins Wahllokal. Als Reaktion auf das Abschneiden der Sozialdemokraten tritt Böhrnsen nach zehn Jahren im Amt als Bürgermeister zurück. Die Presse zollt Respekt für diese Entscheidung und zieht eine Wahlbilanz.
"Das Wahldesaster hatte weniger mit der Person Böhrnsen zu tun als vielmehr inhaltliche Gründe", analysiert die Heilbronner Stimme. Bei Themen wie Finanzen, Soziales oder Bildung habe die SPD einen herben Vertrauensverlust erlitten. Gleichzeitig seien vor allem die sozial Schwächeren nicht zur Wahl gegangen. "Für die Partei beginnt mit dem Verzicht des angesehenen Bürgermeisters eine Zeitenwende. Das Ergebnis zeigt, ein SPD Wahlsieg ist in Bremen kein Selbstläufer mehr, Wählerbindungen lösen sich." Um zurück in die Erfolgsspur zu finden, empfiehlt das Blatt den Sozialdemokraten, wieder als "Kümmer-Partei" aufzutreten. "Sonst verliert sie weiter Stimmen an Protestparteien und Nichtwähler."
Auch die Frankfurter Rundschau ist der Überzeugung, dass die Wahlschlappe der SPD nicht allein an Böhrnsen gelegen habe, sondern "an verfestigten Strukturen, an Selbstbezogenheit und Selbstzufriedenheit, am mangelnden Austausch mit der Umgebung". "Die Bremer SPD steht nach 70 Jahren ununterbrochener Machtausübung vor einer Zeitenwende. Vielleicht - hoffentlich - auch die mit großen Problemen kämpfende Hansestadt."
Für die Neue Osnabrücker Zeitung kommt der Rücktritt des Bremer Bürgermeisters zu diesem Zeitpunkt überraschend. "Vom Alter her - Jens Böhrnsen ist jetzt 65 - lag ein Wechsel zur Mitte der Wahlperiode nahe." Der Sozialdemokrat habe sich im Vorfeld "zu selbstgewiss, zu siegessicher" gegeben. Damit habe er die niedrige Wahlbeteiligung mitverschuldet und sich selbst geschadet. "Zwar ist der Bürgermeister wegen seiner sachlichen Art allseits anerkannt, doch ihm gelang es nicht, Bremen aus den Negativschlagzeilen herauszubringen."
Böhrnsens Rücktritt sei "eine konsequente Entscheidung", urteilt Die Welt. Ein Schnellschuss "hätte auch nicht gepasst zu diesem bürgerlichen Sozialdemokraten". Mit seiner Entscheidung sei er würdevoll aus einem Amt geschieden. Trotzdem: "Leichter, anders, besser wird dadurch allerdings nichts an der Weser." Das läge vor allem an den Oppositionsparteien. Die Bremer "wollten endlich einen Wechsel an der Spitze. Allein, es fehlte an einem zugkräftigen Angebot. Ob die SPD weiter mit den Grünen, vielleicht doch wieder mit der Union oder womöglich mit den Linken paktiert, ist da fast schon Wurst."
Die Lüneburger Landeszeitung sieht in Böhrnsens Reaktion auf das Ergebnis einen erheblichen Unterschied zu anderen Spitzenpolitikern. "Normalerweise klopfen sich am Wahlabend alle Parteichefs selbst auf die Schulter, um sich zum Wahlerfolg zu gratulieren - welche körperlichen und analytischen Verrenkungen dafür auch immer nötig sind." In Bremen beweise Böhrnsen das Gegenteil: Er werfe das Handtuch, obwohl er mit einer Mehrheit ausgestattet sei, "wenn auch mit der denkbar knappsten". Sei er deshalb konsequent oder doch "narzisstisch, weil er das Wählervotum gekränkt als nicht ausreichend einstuft?", fragt sich die Zeitung. Beides sei denkbar. Aber "man würde sich von Regierenden etwas dickere Haut und etwas mehr Lust, künftig besser zu gestalten, wünschen".
Ein Hauptproblem für den Ausgang der Wahl in Bremen sieht das Mindener Tageblatt in der Tatsache, "dass aus Bürgern Verbraucher werden, gleichzeitig Wählererwartungen und Lieferfähigkeit der Politik immer weiter auseinanderklaffen". Auch ein so ehrenhafter Rücktritt wie der von Jens Böhrnsen ändere nichts daran, dass "Handlungsrahmen wie das Bremer Zwerg-Land" keine großen Gestaltungsräume mehr böten. "Bindungen nehmen weiter ab, politische Fragmentierungen dafür zu. Der - durchaus nicht immer gerechte - Wählerfrust sucht sich dann eben andere Denkzettel", so das Fazit des Blatts.
Zusammengestellt von Katja Belousova
Quelle: ntv.de