Anschlag auf Kanadas Parlament "Fixierung auf Tatverhinderung"
23.10.2014, 21:58 Uhr
Der Anschlag auf das Parlament Kanadas und die hinterhältige Ermordung eines Soldaten treffen mit Kanada eine Gesellschaft, die viel auf ihre "Kultur der zivilen Gelassenheit" hält. Die Tat räumt nun mit der Illusion auf, dass man Radikale dort weniger zu fürchten habe als die USA. Doch in der deutschen Presse herrscht auch weitgehende Einigkeit darüber, dass sie die Grenzen einer Politik zeigt, die Tatverhinderung über Ursachenforschung stellt.

Ein Moslem betet an der Stelle, an welcher der kanadische Soldat Nathan Cirillo von einem Islamisten in Ottawa erschossen wurde.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Berliner Zeitung sieht durch den Anschlag die Grenzen "verschärfter Strafgesetze und Erfolgsaussichten von Androhungen sozialer Sanktionen" aufgezeigt. Der internationale Islamismus ziehe seinen Erfolg ja gerade auch aus "dem maximalen Schrecken, den er erzeugt und wie eine kulturelle Signatur vor sich herträgt". Angst sei dabei die Währung, von der man nicht genug kriegen könne.
Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung greift die in Kanada durchaus bestehende Vorbereitung auf eine derartige Tat auf. Tatsächlich habe man sich "fast schon übergründlich auf die unvermeidliche Eventualität vorbereitet", dass ein einzelner Dschihadist ohne Komplizen, ein 'einsamer Wolf', "unschuldige Opfer reißt". Dies sei nun geschehen, obgleich die Behörden dem Täter schon über Monate zuredeten, sich nicht weiter zu radikalisieren. Jedoch sei es entgegen der Aussage eines Provinzpolitikers nicht so, dass Kanada erst jetzt " seine Unschuld verloren" habe. Der kanadische Staat als Produkt einer kolonialen Landnahme sei "nie unschuldig gewesen". Und die Kandier wüssten nur zu genau, dass sie "mit ihren inneren Feinden leben müssen", so die FAZ.
Ebenso steht beim Münchner Merkur nach den Schüssen von Ottawa die "ganze Hilflosigkeit der Debatte über den Umgang mit potenziellen 'Gefährdern'" im Mittelpunkt – diese zöge von "von Passentzug über Ausweisvermerke bis zur Abschiebung" zwar viele Strafmaßnahmen in Betracht, verdecke aber dabei die Tatsache, dass sich Blutbäder auch ganz ohne Terrorcamp-Erfahrung anrichten lassen. Eine "Fixierung auf Tatverhinderung" dränge dabei die "Ursachenforschung in den Hintergrund", so das Münchner Blatt. Der kürzlich vereitelte Versuch dreier Teenager aus den USA, über Frankfurt in den Dschihad zu reisen, dürfe dabei als "drastische Mahnung" verstanden werden.
Die Welt aus Berlin sieht Kanada in vielerlei Hinsicht Europa näher als seinem Nachbarn USA. Dies treffe vor allem auf die "Kultur der zivilen Gelassenheit" zu, derer man sich dort rühme. Der Angriff auf das Parlament und die Ermordung des Soldaten sei daher auch "ein Schlag gegen Kanadas Kultur der Offenheit". Denn er zerstöre die Illusion, dass Kanada Radikale weniger zu fürchten habe als die USA. Die kanadische Reaktion, "jetzt bloß keine drastischen Maßnahmen" einzuleiten, erhalte dieses Selbstbild dabei weiter aufrecht. Doch gleichzeitig dürfe man es "Terroristen auch nicht so leicht machen, ins Herz unserer Demokratien vorzustoßen", meint Die Welt. Wachsamkeit und Vorbereitung blieben für eine gelassene Haltung unerlässlich.
Die Frankfurter Rundschau schließlich erinnert daran, dass trotz der Bedrohung unseres zivilen Alltags, die der Anschlag von Ottawa deutlich mache, "sich der islamistische Terror vor allem auch gegen die in ihre jeweiligen Gesellschaften integrierten Muslime richtet". Die islamische Welt befinde sich in Aufruhr – und der "räuberische Feldzug des Islamischen Staates" richte sich in erster Linie "gegen die Funktionstüchtigkeit jener staatlichen Strukturen, in denen Muslime leben".
Quelle: ntv.de, bwe/dpa