Merkel gibt die Richtung vor "Keiner weiß so recht, wo es hingeht"
15.11.2010, 20:22 UhrMit Blick auf miese Umfragewerte und anhaltenden Streit innerhalb der Koalition gibt sich Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe kämpferisch. Ob das aber reicht? Die Presse hält den veränderten Politikstil der Kanzlerin für risikoreich.
Merkel will ihre Partei neu positionieren. Aber wirklich gelingen tut ihr das nicht, findet die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Im tiefen Tal der Umfrageergebnisse, in das sich die schwarz-gelbe Koalition selbst gestürzt hatte, entschloss sich Frau Merkel, auf einigen Feldern das zu zeigen, was Politiker 'klare Kante' nennen. (…) Merkel will die CDU wieder als eine Partei präsentieren (…), die für das kämpft, was sie für richtig hält. Was das im Einzelnen und auch in der Summe ist, hatte zuletzt bei weitem nicht mehr jeder (ehemalige) CDU-Wähler zu sagen gewusst."
"Wer für eine 75-minütige Rede zehn Minuten Applaus und 90,4 Prozent Zustimmung erhält, könnte zufrieden sein. Doch Merkel hat ihr zweitschlechtestes Ergebnis eingefahren. Ihre Rede sollte ein Weckruf sein an eine Partei, (…). Doch der Unmut in den eigenen Reihen über die öffentliche Wahrnehmung der CDU ist zu groß. Denn Steuer- und Energiepolitik haben die Gesellschaft mehr gespalten als zusammengekittet", urteilt die Lüneburger Landeszeitung.
"Getrieben davon, eine angebliche konservative Leerstelle in der Partei besetzen zu müssen, verändert sie den Politikstil, der sie populär gemacht hat: Sie wechselt vom eher Präsidialen zum eher Brachialen." Damit aber, so die Süddeutsche Zeitung, gefährde Angela Merkel ihre Partei, die zudem ein Sparpaket geschnürt habe, das nichts enthält, was zu einer Volkpartei passen will: "Es nimmt den Eltern und den Hartz-IV-Empfängern, aber nicht den Vermögenden. Der schwerste Fehler, den Merkel aber je gemacht hat, ist die Verlängerung der Laufzeiten für die Kernkraftwerke. Ohne Not hat sie dem Drängen der Industrie nachgegeben und ein Fass aufgemacht, aus dem Unheil quillt - nicht nur für sie und die Union."
"Angela Merkel führt die Partei seit nunmehr zehn Jahren. Wenn der Kurs so wenig deutlich wird, ist das auch ihr Versäumnis." Auch für das Badische Tagblatt reicht es nicht aus, dass die Kanzlerin "von Auftrag" spricht, denn "der Auftrag an sie ist längst schon ergangen. Die Beschwörungsformeln der CDU-Chefin wirken daher etwas aufgesetzt. Die Verunsicherung der Partei sorgt dafür, sich noch mehr in Schlagworte zu flüchten: die politischen Gegner etwa nur als Neinsager zu titulieren und sie der Ideologie zu bezichtigen. Das beruhigt die Delegierten, erwärmt sie, trägt sie durch einen Parteitag. Für den politischen Alltag bedeutet es: nichts."
Für die CDU und ihre gerade bestätigte Vorsitzende hängt alles von den Landtagswahlen im nächsten Jahr ab, analysiert die Stuttgarter Zeitung: "Ein unfallfreier Parteitag reicht nicht aus, alle Risiken auszuräumen. Noch gibt es keine Konkurrenz am rechten Rand, aber viele, sie sich danach sehnen. In den Großstädten (und nicht nur dort) machen die Grünen den bürgerlichen Parteien Wähler abspenstig." Daher stelle sich die Frage, ob die Integrationskraft noch ausreiche, "um irritierte Konservative, frustrierte Wirtschaftsliberale und das urbane Bürgertum an die Union zu binden? Das werden die Wahlen im kommenden Jahr zeigen. Wenn sie für die CDU schlecht laufen, dann hat Merkels Autorität als Parteichefin und Kanzlerin ein Verfallsdatum. So wetterwendisch ist Politik."
"Was ist mit dieser CDU los?" fragt sich auch die Leipziger Volkszeitung. "Sie steckt, mit Merkel, in einer tiefen Zäsur und keiner weiß so recht, wo es hingeht und womit man demnächst punkten will. Wer führen will, muss Antworten wagen. Abgrenzung von Schwarz-Grün bis zur Anti-Atomkraftbewegung ersetzt keine durchdachte Politik." Das Blatt spekuliert darüber, wer in der Lage wäre, die CDU anstelle der Kanzlerin aus ihrer Krise zu führen: "Direkt hinter Angela Merkel ist nur einer zu erkennen, dem die Rückkehr zu alter Verlässlichkeit mit neuem konservativen Geist zuzutrauen wäre: Norbert Röttgen. Wenn der sich der Erkenntnis bewusst bleibt, dass die Union in erster Linie auch wirtschaftspolitisch wieder erkennbar werden muss, dann ist die Frage nach der nächsten Nummer eins geklärt - ganz ohne Karl-Theodor zu Guttenberg."
Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Katja Sembritzki