Debatte um Schweigepflicht "Notfall-Definition muss überdacht werden"
30.03.2015, 21:07 Uhr
Über eine psychische Erkrankung des Germanwings-Copiloten gab es viele Spekulationen. Jetzt gibt die Staatsanwaltschaft bekannt: Andreas Lubitz war Jahre vor dem Absturz als suizidgefährdet eingestuft und in psychotherapeutischer Behandlung. Hätte der behandelnde Arzt den Arbeitgeber über die Krankschreibung informieren sollen - oder müssen? Neben Politikern und Experten diskutieren auch die Kommentatoren der deutschen Zeitungen, wie weit die ärztliche Schweigepflicht reichen sollte.
Die Neue Osnabrücker Zeitung schreibt: "Dass nach der Katastrophe nach Antworten gesucht wird, ist nur zu verständlich". Aber eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht für sensible Berufe, die Politiker jetzt ins Gespräch bringen, ist für die Zeitung aus Niedersachsen "nicht sinnvoll, sondern lediglich Aktionismus": "Die seelischen Nöte von psychisch kranken Patienten wären bei einer Lockerung noch größer und die Heimlichtuereien auch. Vielen Betroffenen fällt es ohnehin schwer genug, sich gegenüber einem Therapeuten offen zu äußern. Wem können sie sich denn künftig noch anvertrauen, wenn sie befürchten müssen, dass die Informationen an ihren Arbeitgeber weitergeleitet werden? In bestimmten Fällen käme es sogar zum Verzicht auf eine Therapie".
Der Tagesspiegel hat eine andere Sicht auf die Dinge: "Die ärztliche Schweigepflicht ist ein hohes Gut. Und dennoch: Erfährt ein Arzt davon, dass sein Patient eine Gefahr für andere Menschen darstellt, sollte er Möglichkeiten haben zu handeln. In Notfällen ist das schon jetzt erlaubt. Wahrscheinlich muss aber die Definition eines 'Notfalls' neu überdacht werden".
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung erinnert: "Kandidaten für die Verbeamtung sind bei der amtsärztlichen Untersuchung aufgerufen, auch lange zurückliegende psychiatrische Diagnosen anzugeben. Erst durch zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vor zwei Jahren wurde die strikte Handhabung bei der Verbeamtung gelockert, auch im Sinne der Inklusion von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dass Berufsgruppen wie die der Piloten nicht engmaschiger im Hinblick auf schwere psychische Krankheiten überprüft werden, wirkt wie eine Schieflage". Lücken, so der Kommentator, "wird es immer geben, und sei es, dass Therapien privat bezahlt werden, um nicht aktenkundig zu werden. Den Gedanken, dass auch Menschen in höchst verantwortungsvollen Positionen betroffen sein könnten, deshalb auszublenden, sobald Berufseinstiegsprüfungen erst einmal bestanden sind, kann aber keine Lösung sein".
Zusammengestellt von Susanne Niedorf
Quelle: ntv.de