Pressestimmen

Minderheitsregierung in NRW "Sie muss auf Händen gehen können"

Mit der Wahl Hannelore Krafts zur neuen Ministerpräsidentin nimmt in Nordrhein-Westfalen eine rot-grüne Minderheitsregierung die Arbeit auf. Ein Experiment, das scheitern kann. Oder ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, denn laut n-tv.de hat Kraft zwei wesentliche Vorteile. Aber egal wie lange das Bündnis hält, es wird nicht nur massive Auswirkungen auf die Regierungsgeschäfte der Berliner Koalition haben, sondern auch auf die politische Kultur in Deutschland.

Sylvia Löhrmann gratuliert der neuen Ministerpräsidenten Hannelore Kraft.

Sylvia Löhrmann gratuliert der neuen Ministerpräsidenten Hannelore Kraft.

(Foto: dpa)

"Eine stabile Regierung hat Kraft versprochen. Nun lässt sie sich auf ein Wagnis ein, dessen Abgründe wie eine opportunistische Rekordverschuldung zum Teil schon offensichtlich, zum Teil aber noch gar nicht absehbar sind. Der Versuch kann grandios scheitern." Aber die Stuttgarter Zeitung sieht auch die "beachtliche" Chance, dass sich "von Düsseldorf aus die politische Kultur in der Republik verändert. Genau dies macht das Experiment so reizvoll."

"Das Experiment Minderheitsregierung beginnt" und könnte ein Zeichen setzen, meint auch die Süddeutsche Zeitung. "Der 'Tag der Kraft' war natürlich nicht schon die Gesellenprüfung dieser Minderheitsregierung, er war erst der Beginn einer schwierigen, aber vielleicht doch lohnenden demokratischen Lehrzeit. Eine Minderheitsregierung ist nämlich nicht demokratisch minderwertig; ihre Wertigkeit und Werthaltigkeit zeigen sich aber, sehr viel mehr als bei einer Mehrheitsregierung, im parlamentarischen Alltag. Eine Minderheitsregierung muss notfalls auf Händen gehen können, wenn sie auf diese Weise um Zustimmung der Opposition werben kann. Von NRW kann das Signal ausgehen, dass man auch in schwieriger Lage Schwierigkeiten meistern kann."

Das Düsseldorfer Modell wird nicht lange halten, vermutet die Rhein-Neckar-Zeitung: "Die Ankündigung, mal könne doch die CDU zustimmen, dann wieder FDP oder Linke - das ist politikfernes Wunschdenken. Kommt es hart auf hart, bleibt nur die Linke als Abnick-Koalitionspartner. Eine Weile wird das funktionieren, alleine schon weil alle drei - Linke, SPD und Grüne - von der neuen Blockademacht im Bundesrat profitieren. Fraglich nur: Wendet sich erst das Publikum angewidert ab oder scheitert zuvor der rot-grüne Dreier an sich selbst?"

Der Machtpoker in NRW ist zwar vorbei, signalisiert aber gleichzeitig den Beginn eines neuen Spiels um die Macht in Berlin. "Die Einsetzung einer rot-grünen Minderheitsregierung im bevölkerungsreichsten Bundesland ist dabei ein riskanter, aber guter Zug von SPD-Chef Sigmar Gabriel", findet die Lüneburger Landeszeitung, denn "stand sich das Kabinett Merkel/Westerwelle beim Regieren bisher vor allem selbst im Weg, drohen jetzt Vetos bei der Gesundheitsreform und der Verlängerung der Laufzeiten der Atommeiler in der Länderkammer. Ein Schreckgespenst könnte der möglichen rot-grün-roten Eröffnungsvariante für den Bund zum Erfolg verhelfen: Neuwahlen. Die möchten CDU und FDP angesichts verheerender eigener Umfragewerte am liebsten so lange wie möglich hinauszögern."

Bei den Sozialdemokraten rufe das neue Bündnis am Rhein auch gemischte Gefühle hervor, mutmaßt die Schwäbische Zeitung (Leutkirch): "Auf der einen Seite ist die kurze CDU-Ära in NRW beendet, was sie beflügelt. Auf der anderen Seite ist man auf die Unterstützung einer Chaotentruppe von Linken angewiesen, was das Risiko eines schnellen Scheiterns birgt. Das aber würde auf Jahre hinaus rot-rot-grüne Zukunfts-Chancen diskreditieren."

Hannelore Kraft ist nicht nur die erste Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, sondern auch "wenn man so will" die zweitmächtigste Frau in Deutschland. "Schon allein deshalb wird man sie ernst nehmen müssen", stellt das Badische Tagblatt fest. Jürgen Rüttgers allerdings hat das nicht getan. Die gesamte Union, allen voran Angela Merkel, haben dafür "die bittere Rechnung serviert bekommen: Kraft hat aus einer weiteren Niederlage für die SPD einen Sieg gemacht und mit ihrem Schachzug dafür gesorgt, dass die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat zumindest vorübergehend Geschichte ist. Das Regieren in Berlin dürfte nun noch etwas komplizierter werden, als es schon ist."

Quelle: ntv.de, Zusammengestellt von Katja Sembritzki

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