Auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur Steinbrück eröffnet Wahlkampf
26.09.2012, 18:40 Uhr
Peer Steinbrück hält sich nach eigenen Worten für "systemrelevant".
(Foto: dpa)
Der Poker um den SPD-Kanzlerkandidaten geht in eine neue Runde: Mit seinem Bankenpapier geht Peer Steinbrück in die Offensive gegen die Bundesregierung und positioniert sich als potentieller Kanzlerkandidat. Er erbost damit nicht nur seine parteiinternen Kollegen, sondern auch die CDU/CSU-Fraktion. Die Presse streitet über Steinbrücks Kanzler-Chancen.
Das Hamburger Abendblatt hält eine Kandidatur Steinbrücks für unwahrscheinlich, einen Wahlsieg für ausgeschlossen. Obwohl Frank-Walter Steinmeier für die Agenda 2010 mitverantwortlich sei, treffe die Wut über die Reformen wider die sozialdemokratische Seele vor allem Peer Steinbrück: "Wenn die SPD den 65-Jährigen doch aufs Schild heben sollte, hat dies auch mit seinem Versprechen zu tun, er werde als Kandidat nur auf Sieg setzen, nicht auf einen Posten. Vor dem Hintergrund der Umfragen, die die Sozialdemokraten mit 26 Prozent zwölf Prozentpunkte hinter der Union verorten, dürften viele SPD-Linke kalkulieren, Steinbrück in zwölf Monaten los zu sein."
Die Süddeutsche Zeitung empfiehlt den Mitgliedern der SPD, sich ein Beispiel an der CDU zu nehmen. "Der nächste SPD-Kanzlerkandidat braucht die volle Unterstützung seiner Partei im schweren Wahlkampf, ob er nun Steinbrück heißt oder nicht." Die Rolle des Motivators fällt der Süddeutschen zufolge Parteichef Gabriel zu. "Viele Christdemokraten waren 2002 entsetzt bei dem Gedanken, für Edmund Stoiber, den Chef der Christsozialen, in den Wahlkampf zu ziehen. Merkel, die damalige Verliererin im Kandidatenrennen, motivierte ihre Leute, sich für den Bayern ins Zeug zu legen. Die Rolle, die einst Merkel in der CDU spielte, obliegt in der SPD nun Gabriel."
Das Bankenpapier, das er in Berlin vorgestellt hat, sei bloß der Vorwand hinter Steinbrücks eigentlicher Intention, der Kanzlerkandidatur, meint die Tageszeitung Die Welt: "Steinbrück will sich mit seinem Konzept wenn schon nicht ins Herz, so doch zumindest in den Verstand der Parteilinken spielen. Denen werden nämlich so einige nette Happen serviert. Die lassen den Leser allerdings fragen, ob Steinbrück ordnungspolitisch die Orientierung verloren hat." Was Steinbrück wolle, klinge zwar gut, sei jedoch ganz und gar realitätsfern, kommentiert die Welt. "Sollte Steinbrück Bundeskanzler werden, dann wird von seinen Konzepten dennoch nicht viel übrig bleiben. Das weiß der Finanzexperte selbst nur zu gut. Aber sein Ziel ist es ja auch nicht, die Vorschläge wirklich umzusetzen. Das Papier soll vielmehr seine Kanzlerkandidatur sichern."
Steinbrück hat die Zügel in die Hand genommen und seine Position klar gemacht: Als Kanzlerkandidat der SPD will er die Regierung im Falle eines Wahlsiegs anführen, eine Große Koalition kommt für ihn nicht in Frage. Dieser Standpunkt sei aber längst nicht so interessant wie die Haltung der Partei insgesamt, schreiben die Münsteraner Westfälischen Nachrichten: "Natürlich herrscht Wahlkampf für 2013: Und jeder läuft seine Kür, so gut er kann. Steinbrück hat sich in Stellung gebracht. Mit einer großen Koalition, wie sie sich die meisten Deutschen nach jüngsten Umfragen wünschen, will er sich offensichtlich nicht zufriedengeben. Darin wäre die SPD eindeutig Juniorpartner der Union. Die Frage, was will Steinbrück, spielt allerdings eine untergeordnete Rolle. Die Frage ist eher: Was will die SPD?"
Mit seinem Bankenpapier suche Steinbrück die offene Konfrontation mit der Kanzlerin, schreibt Spiegel Online. "Gabriel hat aufgegeben, Steinmeier wartet ab - und Steinbrück will", steht für Spiegel Online fest. "Soll bloß niemand denken, hier mache einer Wahlkampf für sich selbst. Aber Steinbrück weiß auch: So aufmerksam, wie jede Wendung in der K-Frage in den vergangenen Monaten begleitet wurde, wäre es naiv zu glauben, ausgerechnet sein Banken-Papier würde rein sachlich betrachtet. Tatsächlich ist sein Konzept nur ein weiteres Indiz, das nahe legt, dass sich bei den Sozialdemokraten gerade etwas zu verfestigen scheint. Der gefühlte Genossen-Trend bewegt sich Richtung Steinbrück - in diesem Moment."
Steinbrück beweist mit seinem Bankenpapier Gespür fürs richtige Thema, schreibt die Rhein-Zeitung. Er habe die Stimmung in der Bevölkerung richtig gedeutet und erkannt, dass er als Einziger in der SPD eine Alternative zu Angela Merkel sein könnte, urteilt das Blatt. "Diese Unzufriedenheit greift er auf, um anschließend deutlich zu machen, dass er selbst auch das Format hätte, um mit den Akteuren der entfesselten Finanzwelt auf Augenhöhe zu verhandeln. Seinen Masterplan in jenem Moment vorzustellen, als die Bundesregierung mit der Beschränkung des Hochfrequenzhandels einen kleinen Schritt in Richtung mehr Regulierung geht, war auch nicht eben ungeschickt. Steinbrück hat erkannt, dass er der einzige in der SPD-Troika ist, der Angela Merkel beim Thema Euro-Krise wirklich ein Gegner sein kann."
Die Präsentation seines Bankenpapiers wertet die Financial Times Deutschland als inoffizielle Kür des SPD-Kanzlerkandidaten. Aufzuhalten sei Steinbrück nur noch von der Parteibasis. "Wer kann jetzt noch an Peer Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidaten zweifeln? Mit der Präsentation des SPD-Finanzmarktkonzepts dürfte er so manche Bedenken an seiner Nominierung ausgeräumt haben. Das hat allerdings mehr mit seiner politischen Taktik zu tun als mit der sachlichen Güte des Papiers. Wer soll ihn noch als Kanzlerkandidaten in der SPD aufhalten? Gabriel kann es nicht, Steinmeier will es offenbar nicht. Bleibt die Basis: Wenn sie etwa eine Abkehr von der Rente mit 67 beschließt. Das kann Steinbrück niemals mittragen."
Die Lübecker Nachrichten halten jeden Punkt von Steinbrücks Vorschlägen zur Regulierung von Banken für vernünftig. "Hinzu kommt freilich, da stellt einer sein Programm vor, mit dem er als SPD-Kanzlerkandidat Wahlkampf machen würde. Wenn er denn dürfte. Ganz chancenlos ist Steinbrück nicht, denn weder Frank-Walter Steinmeier noch Sigmar Gabriel können ihm auf diesem Gebiet das Wasser reichen."
Die Karlsruher Badischen Neuesten Nachrichten bescheinigen Steinbrück einen kleinen Vorsprung gegenüber seinen Mitbewerbern Steinmeier und Gabriel. "Mit seinem neuen Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte verfolgt Peer Steinbrück ein Jahr vor der Bundestagswahl vor allem zwei Ziele: Er will die Kanzlerin und ihre gegenwärtige Koalition als unentschlossene schicksalsergebene Zauderer vorführen - und sich selbst als zupackende Alternative in Szene setzen. Noch ist das Kandidatenrennen der SPD zwar nicht entschieden - beim Einbiegen auf die Zielgerade allerdings hat ausgerechnet der älteste der drei Läufer einen kleinen Vorsprung."
Quelle: ntv.de