Gericht gibt Pflegerin recht Pflege rund um die Uhr bedeutet auch Lohn rund um die Uhr
09.09.2022, 07:08 Uhr (aktualisiert)
Ein Betreuer geht in einem Pflegeheim mit einer Bewohnerin über den Flur.
(Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Symbolbild)
Eine Agentur für Pflegekräfte bietet eine 24-Stunden-Betreuung an. Die von der Firma vermittelte Sozialassistentin wird allerdings nur für 30 Wochenstunden bezahlt. Dagegen klagt sie. Ein Gericht stellt nun klar, dass die Frau für die Rundumbetreuung entsprechend entlohnt werden muss.
Einer Bulgarin, die eine über 90-jährige Frau rund um die Uhr betreute, steht hierfür auch rund um die Uhr der Mindestlohn zu. Das entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Lediglich einzelne Stunden, in denen die Seniorin Besuch hatte, nahmen die Berliner Richter davon aus.
Die klagende Sozialassistentin aus Bulgarien hatte einen Arbeitsvertrag über 30 Wochenstunden und erhielt monatlich rund 1560 Euro. Arbeitgeber war ein bulgarisches Unternehmen, das mit einer deutschen Vermittlungsagentur kooperierte. Diese warb mit einer "24-Stunden-Pflege zu Hause". In ihrem Vertrag mit der Pflegebedürftigen hatte sich die Agentur zu einer umfassenden Betreuung einschließlich des kompletten Haushalts verpflichtet.
2015 betreute die Bulgarin eine schon damals über 90-jährige Frau in einer Seniorenwohnanlage in Berlin. Mit ihrer Klage macht sie geltend, sie habe faktisch rund um die Uhr gearbeitet oder nachts Bereitschaft geleistet. Daher verlangt sie den Mindestlohn für 24 Stunden täglich, insgesamt 42.636 Euro für sieben Monate. Von ihrem Arbeitgeber bekam sie 6680 Euro.
In einem aufsehenerregenden Urteil hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt im Juni 2021 entschieden, dass Pflege- und Betreuungskräften bei einer Betreuung und Bereitschaft rund um die Uhr auch durchgehend der Mindestlohn zusteht, auch für Bereitschaftszeiten. Allerdings sollte das Landesarbeitsgericht nochmals prüfen, inwieweit die Bulgarin tatsächlich einen 24-Stunden-Dienst geleistet hatte.
Nach neuerlicher Vernehmung der Klägerin und weiterer Zeugen hielt das Landesarbeitsgericht dies nun für weitgehend glaubwürdig. Es zog nur einzelne Stunden ab, in denen die alte Frau Besuch hatte und mit diesem beispielsweise im Restaurant der Seniorenwohnanlage war. Im Ergebnis sprach es der Bulgarin insgesamt 38.709 Euro zu.
Inwieweit die Sozialassistentin diese Forderung gegenüber ihrem bulgarischen Arbeitgeber durchsetzen kann, ist offen. Nicht zu entscheiden hatte das Gericht, ob das bulgarische Unternehmen hierbei auch die deutsche Vermittlungsagentur mit ins Boot nehmen kann, weil diese trotz des Arbeitsvertrags über nur 30 Wochenstunden eine 24-Stunden-Betreuung versprochen hatte.
Die bulgarische Sozialassistentin war vom DGB-Rechtsschutz vertreten worden. Nach der Urteilsverkündung forderte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Berlin, "die Pflegeversicherung zu einer 'solidarischen Pflegegarantie' weiterzuentwickeln: Jeder und jede zahlt ein, und pflegebedingte Kosten werden vollständig von der Solidargemeinschaft getragen".
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 06. September 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, jpe/AFP