
Die Handball-Europameisterschaft in Deutschland beginnt mit dem größten Handballspiel aller Zeiten. Und für die deutsche Mannschaft ist es sofort eine große Herausforderung. Der Druck ist groß, aber Angst hat niemand. Im Gegenteil.
Weltrekord! Meilenstein! Das "alles entscheidende Spiel"! Für die deutsche Handball-Nationalmannschaft beginnt die Heim-Europameisterschaft mit einem Spektakel, dem größten Hallen-Handballspiel, das es bisher gab. 53.000 Menschen werden im seit Monaten ausverkauften Fußball-Stadion von Düsseldorf dabei sein, wenn das DHB-Team auf die Schweiz trifft. Mehr als jemals zuvor bei einem Handballspiel nach der Ära des Feldhandballs. Es ist ein Szenario, das keiner der Beteiligten kennt, die Dimensionen sind für den Handball einzigartig.
Und dann geht es sofort um nicht weniger als alles: Eine gute Ausgangsposition auf dem Weg ins fest anvisierte Halbfinale, um die Euphorie, die die Mannschaft dringend braucht, um die weiter vorhandene Lücke zur absoluten Weltspitze zu überbrücken. "Wir setzen das Highlight gleich an den Anfang. Wir hoffen, dass wir von der Euphorie, die wir hier entfachen, die gesamte EM bis zum 28. Januar getragen werden", erklärte Thomas Freyer, Leiter Internationale Veranstaltungen beim Deutschen Handballbund, den Anspruch an das gewaltige Spektakel. Der bisherige Rekord steht bei 44.189 Fans, die 2014 die Bundesliga-Partie zwischen Rhein-Neckar Löwen und HSV Hamburg in Frankfurt verfolgten.
"Spieler müssen in Vorleistung treten"
Während Deutschland bei Minusgraden bibbert, wird in der gewaltigen Arena niemand frieren: Das Dach ist natürlich geschlossen, angenehme 18 Grad werden auf dem Feld während des Spiels mindestens herrschen, oben unter dem Dach sollen es sogar bis zu 30 Grad werden können. Aber natürlich hofft das DHB-Team, dass es ab 20.45 Uhr (ZDF/Dyn und im Liveticker auf ntv.de) richtig heiß wird. "Für die Interaktion zwischen Mannschaft und Zuschauern müssen die Spieler in Vorleistung gehen. Der Funke muss vom Parkett auf die Tribüne überspringen", sagte Gislason und forderte: "Wir müssen uns auf unseren Handball konzentrieren und gut spielen. Dann kommt die Stimmung von selbst."
Die Dimensionen, in denen dieses für den gesamten Turnierverlauf möglicherweise schon vorentscheidende Spiel stattfindet, sind selbst für die erfahrensten unter den Nationalspielern unbekannt. "Es wird schon spannend sein, zu sehen, wie lange es dauert, bis die Reaktion der Zuschauer bei uns auf dem Feld unten ankommt", sagte Golla.
Der Rasen, auf dem sonst der Fußball-Zweitligist Fortuna Düsseldorf spielt, war schon vor Silvester aus der Arena gefahren worden, um Platz für die Umbauten fürs große Handball-Spektakel zu schaffen: Tribünen für 9000 Menschen wurden im Innenraum aufgebaut, um die Fans näher an die Spieler zu bringen, zwei zusätzliche insgesamt 450 Quadratmeter große LED-Leinwände sollen dafür sorgen, dass niemandem etwas von diesem so wichtigen Spiel entgeht.
"40 mal 20 Meter"
Für die ganz große Show sind 250 Lautsprecher, 50 Verstärker, 500 bewegliche Lampen und 30 Lasersysteme in der Arena verteilt. "Ich gehe davon aus, dass die EHF EURO 2024 von zentraler Bedeutung für den Stellenwert und die Zukunft des Handballs sein wird", sagt EHF-Boss Michael Wiederer. Für den europäischen Verband, der große Bilder braucht, um Partner und Sponsoren zu gewinnen, ist das Handball-Spektakel ein "Meilenstein".
"Ein Spiel in so einer Form hat kein Spieler unserer Mannschaft je erlebt, und ich schon gar nicht. Ich kenne eine solche Atmosphäre nur als Zuschauer im Fußballstadion", hatte Spielmacher Knorr der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, Kapitän Johannes Golla berichtete in "Handball Inside", dass der DHB seinen Nationalspielern Sportpsychologen zur Seite stellte, um den durch die Heimkulisse steigenden Druck zu kanalisieren.
Umso besser, dass sie in Gislason einen Trainer haben, der wenigstens die Umstände in seiner gewohnt unaufgeregten, isländischen Art relativiert. "Ich sage meinen Spielern immer, dass es ein Handballspiel ist und das Handballfeld wird genauso groß sein wie in anderen Hallen. 40 mal 20 Meter", sagte der 64-Jährige. Wie Gegner Schweiz hatte auch das deutsche Team nur zwei Trainingseinheiten, um sich an die ungewohnten Umstände zu gewöhnen.
"Das alles entscheidende Spiel"
Bob Hanning, langjähriger DHB-Vize und mitverantwortlich für die letzten großen deutschen Erfolge mit dem sensationellen EM-Titel der "Bad Boys" 2016 und der anschließenden Bronzemedaille bei Olympia in Rio, sieht die Dinge ohnehin gnadenlos unkompliziert: "Bei allem Respekt vor der Schweiz, aber egal, ob vor einem oder einer Million Zuschauern: Dieser Job muss einfach erledigt werden. Wenn ich Spitzensport betreiben will, darf das alles keine Rolle spielen", sagte der Geschäftsführer der Füchse Berlin. "Da einzulaufen und vor dieser Kulisse spielen zu dürfen, das kitzelt doch. Das ist doch der Reiz, den wir wollen. Positiver Druck ist das Geilste, was es gibt."
Gislason deutete die Signale seiner Spieler, die am Montag staunend und mit gezückten Handys die Arena zum ersten Training betreten hatten, ausschließlich positiv: "Die Stimmung ist außergewöhnlich gut. Ich nehme bei den Spielern keine Nervosität wahr. Jeder sehnt den Anpfiff herbei", sagte der Bundestrainer. Bei Rückraumspieler Julian Köster ist "die Vorfreude extrem groß. Ich kann kaum erwarten, bis das Ding voll ist." Und Kapitän Golla ist sich sicher: "Das wird überwältigend, wenn wir hier einlaufen und wenn die Nationalhymne gespielt wird."
Der Druck aufs deutsche Team ist dennoch da, er ergibt sich aus der Konstellation bei einer Handball-Europameisterschaft, deren Leistungsdichte deutlich höher ist als bei einem Weltturnier. "Die Schweiz ist der schwerstmögliche Gegner zum Auftakt. Wir brauchen eine sehr gute Leistung", bekräftigte Gislason. Das Auftaktspiel gegen die mit zahlreichen Bundesligaspielern und dem langjährigen Weltklassespieler Andy Schmid besetzte Schweiz ist wegweisend für den weiteren Turnierverlauf: "Das ist das alles entscheidende Spiel", sagte Stefan Kretzschmar, Europameister von 2004 und heute Hannings Partner bei den Füchsen Berlin im "Kicker".
Nur die ersten beiden Mannschaften in jeder Vierergruppe erreichen die Hauptrunde, nach Außenseiter Nordmazedonien wartet im Gruppenfinale Olympiasieger und Rekord-Weltmeister Frankreich auf das DHB-Team. "Wir müssen die Schweizer schlagen. Und da lastet ein hoher Druck auf unserer Mannschaft. Verlieren wir dieses Spiel, kommen wir in eine schreckliche Bredouille", so Kretzschmar weiter.
"Das war der Killer"
Aus Düsseldorf zieht die deutsche Mannschaft per Sonderzug aus Düsseldorf für die weiteren Vorrundenspiele nach Berlin weiter, ab der Hauptrunde wäre die gewaltige Lanxess-Arena in Köln die Heimat des DHB-Teams. Und das ist ein Handballtempel, den sie alle lieben: 20.000 Menschen sind es dort, die Halle, in der Champions League und DHB-Pokal ausgespielt werden, gilt als Richtmaß für Handballveranstaltungen. Eine Reiseplanung, die dem Team helfen kann!
"Wir haben den Fehler von der Heim-WM 2019 vermieden, als wir von der gigantischen Halle in Köln zum Halbfinale in die kleinere Halle in Hamburg umgezogen sind. Gefühlt die Hälfte der Zuschauer waren Funktionäre und nur eine Hälfte Fans", erinnert sich Hanning an die Weltmeisterschaft, als die deutsche Mannschaft nach einer begeisternden Hauptrunde im Halbfinale sang- und klanglos Norwegen unterlag. "Das war der Killer, da war der Stecker gezogen. Daraus wurde gelernt. Klar, das Auftaktspiel findet im Fußballstadion statt, aber dann ziehen wir von Berlin nach Köln weiter. Diese Organisation kann der Mannschaft helfen."
Favoriten sind andere, die Franzosen, Weltmeister Dänemark, die ewigen und unverwüstlichen Spanier. "Aber mit Millionen deutschen Fans im Rücken ist vieles möglich. Ziel ist, ganz klar Europameister zu werden", sagte Torhüter Andreas Wolff, einer von vier Europameistern von 2016 im Kader. Der Auftakt ist ein Meilenstein. Die Bilder werden fantastisch sein, der Weltrekord wird lange in den Büchern bleiben. Ob das größte Hallenhandballspiel aller Zeiten auch für den deutschen Handball in bester Erinnerung bleibt, das wird nun der Abend zeigen.
Quelle: ntv.de