Doping-Vorwürfe gegen Russland Bericht belastet Sportminister Mutko schwer
08.06.2016, 20:55 Uhr
Auch Sportminister Witali Mutko wird sich einer Reihe kompromittierender Fragen stellen müssen.
(Foto: dpa)
Eine ARD-Dokumentation bringt die Sportmacht Russland weiter in Bedrängnis - und zumindest die Leichtathleten näher an einen Olympia-Ausschluss. Direkt belastet wird Sportminister Witali Mutko.
Russlands Sportführung und der umstrittene Sportminister Witali Mutko geraten nur eine Woche vor der Entscheidung über ein Olympia-Aus für die russischen Leichtathleten stärker unter Druck. Nach Recherchen von ARD/WDR soll trotz der Beteuerungen Mutkos der berüchtigte Geher-Trainer Wiktor Tschegin weiter mit den Top-Athleten arbeiten. Mutko soll zudem maßgeblich an der Vertuschung eines Dopingfalls in Russlands oberster Fußball-Liga mitgewirkt haben.
Der 58 Jahre alte Mutko, Intimus von Staatschef Wladimir Putin und Mitglied des Councils des Fußball-Weltverbandes FIFA, wies in der Dokumentation "Geheimsache Doping: Showdown für Russland" jede Schuld von sich. "Welchen Einfluss können wir auf die Mitarbeiter der Anti-Doping-Organisationen ausüben? Der Staat hat sich sowieso schon vom Spielfeld des Sports zurückgezogen", sagte Mutko und ergänzte über Interfax: Ziel des ARD-Filmes sei es, den Leichtathletik-Weltverband IAAF vor seiner Entscheidung zu beeinflussen.
"Tschegin arbeitet überhaupt nicht mehr"
Aufnahmen in dem Film von Hajo Seppelt, Florian Riesewieck und Felix Becker zeigen einen Mann, der offenbar aus einem abgedunkelten Fahrzeug in der Nähe von Sotschi das Training der russischen Spitzengeher um die nach jahrelangen Sperren wieder (derzeit nur bei nationalen Wettkämpfen) startberechtigte Olympiasiegerin Olga Kaniskina und Weltmeister Sergej Kirdjapkin leitet. Dabei soll es sich um Tschegin handeln, der als Leiter des Geher-Zentrums ins Saransk für mehr als ein Dutzend Dopingfälle verantwortlich war und lebenslang gesperrt wurde.
Ein von der ARD zurate gezogener Gesichtserkennungs-Experte bestätigte, dass die Person mit einer Wahrscheinlichkeit von "95 bis 99 Prozent" Tschegin sei. Dies wäre ein eklatanter Verstoß der Russen gegen die Auflagen der IAAF, um die Wiederzulassung zu erlangen. Der Weltverband entscheidet darüber am 17. Juni in Wien. "Tschegin arbeitet nicht mehr. Weder als Trainer noch als Direktor. Er arbeitet überhaupt nicht mehr im Sport. Ja, er hat kein Recht mehr. Er darf nicht mehr im Sport arbeiten. Und ich hoffe, dass er auch in Zukunft nicht mehr arbeiten wird", sagte Mutko der ARD und verwies auf große Anstrengungen im Anti-Doping-Kampf: "Russland hat nie behauptet, dass es kein Problem mit Doping hat. Aber wir haben in den letzten fünf bis sechs Jahren konsequent an dem Dopingproblem gearbeitet. Wir haben nach WADA-Empfehlung das gesamte Personal bis runter zur vierten Ebene gefeuert. Alle, von denen sie gesagt haben, sie seien korrupt. Die sind nicht mehr da."
Mutko wird sich erklären müssen
Im Falle eines positiven Dopingtests eines Spielers von FK Krasnodar, in der abgelaufenen Saison Gegner von Borussia Dortmund in der Europa League, legten die ARD-Rechercheure einen E-Mail-Verkehr zwischen Sportministerium und Kontrolllabor vor. Demnach solle das Labor die Entscheidung über den Fußballer, der positiv auf Hexarelin, ein Mittel zur Ausschüttung von Wachstumshormonen, getestet worden war, mit einem gewissen "WL" abstimmen - dies sind die Initialen von Mutkos Vornamen. Der positive Test wurde nie öffentlich, auf ARD-Nachfragen diesbezüglich reagierte Mutko nicht.
Offenbar müssen auch internationale Dopingkontrolleure in Russland weiterhin mit großen Behinderungen rechnen. Die deutsche Kontrolleurin Angelika Wiesmann berichtete von einem Vorfall in der Stadt Trjochgorny, wo Sportler in einem militärischen Sperrgebiet trainieren. "Nach circa zehn Minuten kamen drei Sicherheitsleute des russischen Geheimdienstes, des FSB, und forderten uns dazu auf, unsere Papiere zu zeigen und sagten uns klipp und klar, dass wir eigentlich in dieser Stadt überhaupt nichts verloren hätten", sagte Wiesmann. Erst Stunden später habe sie die Kontrollen durchführen können.
In dem ARD-Beitrag sagte 800-m-Olympiasieger Juri Borsakowski, seit 2015 russischer Cheftrainer: "Wenn Dopingkontrolleure kommen, müssen sie reingelassen werden und die Proben nehmen. Wir sind für alle offen, bitte kommen Sie! Testen Sie."
Russische Justiz will ermitteln
Noch am Mittwochabend teilte die zuständige Moskauer Ermittlungsbehörde mit, die russische Justiz habe im "Rahmen der Aufarbeitung des Dopingskandals" Ermittlungen gegen mehrere ehemalige Sportfunktionäre aufgenommen. Im Fokus stünden "Personen, die in Führungspositionen des Leichtathletik-Verbandes zwischen 2009 und 2013 ihren Einfluss missbraucht und damit zur Verurteilung russischer Leichtathleten beigetragen" hätten.
Sollte den Beschuldigten ein Vergehen nachgewiesen werden, werde man sie "mit voller Härte des Gesetzes bestrafen", hieß es in dem Statement. Im russischen Justizsystem droht bei "Amtsmissbrauch" eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
DOSB fordert Konsequenzen
Michael Vesper, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), fordert nach den neuen Details über staatlich gesteuertes Doping in Russland Konsequenzen. "Ich finde den Film schockierend. Er zeigt: Doping zerstört das Ansehen des Sports, das Vertrauen in den Sport, die Werte des Sports und die Sportler, die es nehmen", sagte Vesper in der Talkshow Maischberger: "Es muss dazu führen, dass es Konsequenzen gibt."
Ob die derzeit suspendierten russischen Leichtathleten daher von Olympischen Spielen in Rio ausgeschlossen werden sollten, sei aber "eine sehr schwierige Entscheidung", so Vesper: "Bei kollektiven Vergehen ist man geneigt, kollektive Strafen auszusprechen. Aber es wird auch Sportler in Russland geben, die nicht dopen."
Quelle: ntv.de, ppo/hul/dpa/sid