Stimmen zur Neuansetzung "Das Spiel wird weitergehen. So oder so."
13.04.2017, 13:09 Uhr
Julian Weigl mit Genesungswünschen für Marc Bartra auf dem T-Shirt.
(Foto: imago/Horstmüller)
The Show must go on: Nur 22 Stunden nach der Attacke auf die Fußballprofis von Borussia Dortmund rollte das runde Leder wieder. Ist das nun eine gute oder schlechte Botschaft? Die Presse ist uneins.
Eine Übersicht über die Reaktionen der Presse auf die Neuansetzung des Champions-League-Spiels des BVB gegen Monaco einen Tag nach dem Anschlag:
Die französische Regionalzeitung "L'Alsace": "Musste man gestern Abend in Dortmund ein Fußballspiel austragen, keine 24 Stunden nach dem sehr wahrscheinlich terroristischen Anschlag auf den Team-Bus des deutschen Clubs? Die Frage ist legitim, vor allem mit Blick auf die Spieler, von denen man annehmen kann, dass sie schockiert sind. (...) Gestern, heute oder morgen, dieses Match in Dortmund musste gespielt werden. Der Anschlag vom Dienstag hat die sportliche Begegnung zu einem Symbol gemacht. Egal, was das Ergebnis ist. (...) Nichts wäre schlimmer, als aufzuhören zu leben und sich einzuigeln, um nicht zum Opfer von Terrorakten zu werden. Widerstehen heißt weiterleben."
"Fränkischer Tag": In den dunklen Stunden bewiesen vor allem die Fans, dass das Gerede von der verbindenden Kraft des Fußballs kein hohles Marketing-Sprech ist. Französische Fans artikulierten ihre Solidarität mit "Dortmund, Dortmund"-Rufen, viele Borussen-Fans beherbergten im Gegenzug die von der Spielabsage kalt erwischten Franzosen. Dieses Lebensbejahende, Unbeugsame und auch Völkerverbindende vermag viele Menschen zu provozieren, offenbar bis hin zu einer Gewalttat. Für die geschäftige Nüchternheit, mit der die Verantwortlichen das Spiel lediglich um einen Tag verschoben haben, gilt dies im Übrigen wohl auch."
"General-Anzeiger": "Angesichts dieser Einmütigkeit geht völlig unter, dass es ja durchaus eine Alternative gegeben hätte. Nämlich, das Spiel abzusagen oder erst einmal nicht neu zu terminieren. Die Dinge zunächst zu verarbeiten, ehe man wieder an Fußball denkt. Vielleicht sind Spieler, die so etwas erlebt haben, 22 Stunden später noch gar nicht in der Lage, ihrem Job nachzugehen. Vielleicht überfordert man sie mit dieser Art der verordneten Normalität."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Dass die Spieler von Borussia Dortmund nur einen Tag nach diesem Anschlag auf ihr Leben zum Spiel antraten, verdient größten Respekt. Das ist die richtige Antwort an jene, die - ein Zufall? - in der Karwoche ein Blutbad in Deutschland anrichten wollten. Freie und offene Gesellschaften dürfen sich trotz ihrer unvermeidlichen Verwundbarkeit den Einschüchterungsversuchen von Terroristen jeglicher Couleur nicht beugen. (...) Polizei, Geheimdienste und Justiz müssen daher so gut wie möglich ausgestattet und von der Politik unterstützt werden. Dennoch wird sich nicht jeder Anschlag verhindern lassen. Aber jedes verhinderte Attentat und jeder verhinderte Attentäter werden die Überzeugung der Bürger stärken, ihr Staat tue wirklich das ihm im Rahmen des Rechts Mögliche, um ihre Sicherheit zu gewährleisten."
"Münchner Merkur": "Nicht einmal 24 Stunden nach der Attacke rollt schon wieder der Ball. Zu Recht? Nüchtern betrachtet ist dies nur dem dicht getakteten Zeitplan im Milliardengeschäft Fußball geschuldet. Von den jungen Multimillionären wird auch nach einem solchen Schock erwartet, dass sie funktionieren. Doch tatsächlich ist die trotzige Haltung von Dortmund ein Signal an jene, die unsere Gesellschaft spalten wollen. Die tollen Szenen einer neuen Fanfreundschaft von Dortmund und Monaco und die Solidaritätsbekundungen aus aller Welt zeigen, dass der freie, offene Westen stärker ist als seine engstirnigen Feinde."
"Nürnberger Nachrichten": "Bei allem Verständnis für Rahmenterminkalender: Weniger, also ein Champions-League-Mittwochabend ohne Dortmunder Beteiligung, wäre mehr gewesen. Denn die Show muss nicht zwangsläufig weitergehen. Kurz innehalten, das sollte gestattet werden - nicht zuletzt den unmittelbar betroffenen Dortmunder Akteuren, die Mittwoch Abend anderes im Kopf hatten als gegen den Ball zu treten. Eine Verschnaufpause hätte auch genutzt werden können, um den Tätern zuzurufen: You'll walk alone!"
"Mitteldeutsche Zeitung": "Dass die Entscheidung, das Spiel am Tag darauf stattfinden zu lassen, so kurz nach dem Anschlag fiel, ist fragwürdig - mit Rücksicht auf die Spieler wie aus prinzipiellen Gründen. So lange die Hintergründe nicht geklärt sind, kann man auch keine vernünftige Gefahrenprognose abgeben. Doch offenbar sind die kommerziellen Interessen für solche Erwägungen zu stark."
"Kölner Stadt-Anzeiger": "Fragwürdig ist die Entscheidung so kurz nach dem Anschlag, das Spiel am nächsten Tag stattfinden zu lassen - fragwürdig mit Rücksicht auf die Spieler wie auch prinzipiell. Solange die Hintergründe der Tat ungeklärt sind, ist auch keine vernünftige Gefahrenprognose möglich. Doch offenbar haben solche Erwägungen keine Chance gegen kommerzielle Interessen. The Show must go on? Das ist alles andere als eine gute Botschaft."
"Südwest Presse": "'The games must go on', die Spiele müssen weitergehen - so lautete die Botschaft, die Avery Brundage als Präsident des Olympischen Komitees bei der Trauerfeier für die elf von palästinensischen Terroristen ermordeten Mitglieder der israelischen Mannschaft 1972 in München verkündete. 45 Jahre später heißt es schlicht: Das Spiel wird weitergehen. So oder so."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Der Terror in Deutschland hat eine neue Dimension erreicht. Der Fußball ist ein potenzielles Ziel von Attentätern geworden, die zerstören wollen, was anderen lieb ist. Der Sport muss darauf vorbereitet sein, verstärkt Schauplatz von kriegerischen Attacken zu werden. Denn nichts anderes sind derartige heimtückische Taten. Die Demokratie ist stark genug, sich dem Terror nicht zu ergeben. Deshalb war es gut, das Champions-League-Spiel gleich am nächsten Tag anzusetzen. Leid tun können einem die Profis, die unter hohem emotionalen Druck gespielt haben. Ihnen gebührt besonderes Lob. Sie haben im Sinne der Fans gehandelt und damit im Großen für die freiheitliche Grundordnung dieses Landes, das sich nicht gewaltbereiten Extremisten beugt."
"Nordwest-Zeitung": "Es war keine Spielabsage, sondern eine Spielverlegung um nicht einmal 24 Stunden. Das Beispiel zeigt einmal mehr, in welchen Sphären die Entscheidungen in der Fußball-Champions-League getroffen werden, nämlich an der Kasse. Dass das Spiel irgendwann nachgeholt werden muss, war jedem klar. Die Entscheidung, es am Tag danach anzusetzen, offenbart jedoch eine gewisse Kühnheit. Zu jenem Zeitpunkt konnte noch gar nicht geprüft werden, ob die Sicherheit für Mannschaften und Besucher gegeben war. Zur ungewöhnlichen Zeit zwei Stunden vor dem üblichen Spielbeginn wurde angepfiffen. Ein Anpfiff um 20.45 Uhr hätte ja auch die Übertragung des zweiten Abendspiels mit deutscher Beteiligung beeinträchtigt. So konnten beide ihre Übertragungen starten, ohne große Einbußen an Zuschauern und Werbeeinnahmen befürchten zu müssen."
"Mannheimer Morgen": "Es ist die Haltung, die nach solchen Vorkommnissen gefragt ist. Wollen wir einknicken vor Bombenlegern? Wollen wir unser Leben in Freiheit einschränken oder umwerfen? Nein, das wollen und werden wir nicht! Der getroffene Fußballverein Borussia Dortmund hat dazu ein klares Signal ausgesendet, ohne die Attacke zu mystifizieren, zu überhöhen, für eigene Zwecke zu entfremden. Die Ruhrgebietsstadt, ihre Einwohner, ihre Fans und die aus Monaco haben damit auch ein starkes Zeichen für die Freiheit, für die Demokratie - und für den Fußball als gesellschaftliche Aufgabe - gesetzt. Danke Dortmund!"
"Westfälische Nachrichten": "Hand aufs Herz! Konnte man wirklich so unbeschwert wie immer den Spieltag der Champions League verfolgen? Frei im Kopf für das Geschehen auf dem Rasen? Nein! Vielleicht gewinnt man auch diese Erkenntnis: Die von Leistung und Wettbewerb berauschte Sportwelt sollte sich nach so einem Vorfall mehr Zeit nehmen. Kein vernünftiger Mensch erwartet, dass schon 24 Stunden später der Ball wieder rollt."
"Der neue Tag": "Bei der Frage, ob es richtig war, die Champions-League-Partie nur 24 Stunden später erneut anzusetzen, gibt es nur ein Ja als Antwort, trotz der enormen mentalen Herausforderung für die Spieler und trotz der Niederlage. Denn so haben der oder die Täter nicht erreicht, was sie wollten, wie BVB-Boss Hans-Joachim Watzke vielen aus der Seele spricht: "Terror und Hass dürfen unser Handeln niemals bestimmen."
Quelle: ntv.de, dsi/dpa