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Man Uniteds große Probleme Der freie Fall des Rekordmeisters

Ole Gunnar Solskjær steht nach drei Spieltagen mal wieder heftig in der Kritik.

Ole Gunnar Solskjær steht nach drei Spieltagen mal wieder heftig in der Kritik.

(Foto: imago images/PA Images)

Mit sechs Toren vermöbelt Tottenham den stolzen Traditionsklub aus Manchester und fügt dem Team die höchste Niederlage seiner Premier-League-Geschichte zu. Die Klatsche zeigt: Auch in dieser Saison wird der Rekordmeister mal wieder nichts mit der Meisterschaft zu tun haben.

Vor dem Spiel gegen Tottenham ist sie wieder erklungen, die berühmte Vereinshymne von Manchester United. Wären Fans im Stadion gewesen, hätten sie auch an diesem Spieltag ihre roten Schals hochgehalten und selig "Glory, glory Man United" skandiert. Seit fast 40 Jahren gehört die Hymne zum festen Repertoire eines jeden ManUnited-Fans. Als knapp zwei Stunden später Schiedsrichter Anthony Taylor die Partie abpfeift, wird jedoch auch dem letzten Fan klar gewesen sein: Glorreich ist an dieser Mannschaft überhaupt nichts mehr.

Sechs Tore hat José Mourinhos Tottenham dem einst so stolzen englischen Rekordmeister eingeschenkt. Es ist die höchste Niederlage für den Klub in seiner großen, ruhmreichen Premier-League-Geschichte. Schaut man sich die teils haarsträubenden Fehler in der Defensive der Elf von Ole Gunnar Solskjaer an, schießen dem deutschen Fußball-Fan unwillkürlich die Szenen vom ersten Spieltag in den Kopf, als hilflose Schalker von schlicht konsequenten Bayern-Profis überfordert wurden. Die Abwehrkette der "Red Devils" verteilte Geschenke, ließ dem Gegner in vielen Situationen mehrere Quadratmeter Raum und wirkt bisweilen vogelwild.

Nach Ausreden wollte Solskjaer deshalb gar nicht erst suchen: "Solche Leistungen können wir nicht akzeptieren", sagte der Norweger sichtlich verärgert. Dabei hätte er sogar eine Ausrede parat gehabt. So mussten seine Männer über eine Stunde in Unterzahl gegen die Londoner spielen: Stürmer Martial wurde schon nach 28 Minuten nach einer Tätlichkeit an Lamela vom Schiedsrichter in die Kabine geschickt. Es war die vielleicht spielentscheidende Szene, dennoch erklärt sie nicht, was drei United-Verteidiger 180 Sekunden später im eigenen Strafraum veranstalteten.

"Gegen United sieht jedes Team aus wie Bayern München"

In völliger Unbedrängnis spielte da Eric Bailly einen haarsträubenden Fehlpass an die Strafraumlinie, bevor Son mit einem Querpass die gesamte zurückgeeilte Abwehr aushebelte und sein Kollege Harry Kane nur noch einschieben musste. Ein grober Schnitzer, der in der Nachbetrachtung des Spiels nur noch von Harry Maguire in den Schatten gestellt wurde. Der hatte mit einem Kopfball-Rückpass-Versuch das erste Tor der Spurs durch Ndombélé vorbereitet. Tormaschine Harry Kane und ein starker Son komplettierten den Horror-Abend für den zwanzigfachen englischen Meister.

United-Legende Patrice Evra war nach dem Spiel stinksauer auf seinen alten Arbeitgeber. "Gegen Manchester United sieht jede Mannschaft aus wie Real, Barcelona oder Bayern", sagte der Franzose dem britischen TV-Sender Sky Sports. Später legte der einstige Weltklasse-Außenverteidiger in einem Instagram Video nach. Darin kritisiert er Sportdirektor Matt Judge für seine Untätigkeit auf dem Transfermarkt.

Neben Evra fordert auch die Fangemeinde von Manchester - die nach wie vor die womöglich größte der Welt ist - lautstark mehr Transfers. Mit Donny van de Beek konnten die Verantwortlichen erst einen namhaften Spieler im Old Trafford vorstellen. Der hat zwar 39 Millionen Euro gekostet und sein Talent bei Ajax bereits mehrfach und auf großer Bühne unter Beweis gestellt. Dennoch ist für viele englische Fußballfans ein Sommer-Shoppingtrip, dessen Ausgaben nicht mindestens neunstellig ausfallen, ein misslungener Ausflug auf den Transfermarkt. Dass der Verein alle Leistungsträger halten konnte, wird dabei kaum jemanden trösten, nicht mal die eigene Mannschaft. "Wenn man sich anschaut, wie sich andere Teams verstärken, dann müssen wir was tun, um mit den anderen mitzuhalten", forderte Verteidiger Luke Shaw nach der Niederlage am ersten Spieltag gegen Crystal Palace.

Nur in einer Kategorie ist Man United besser als Bayern

Immerhin gelangen Judge dann doch noch in letzter Sekunde drei Transfers: Stürmer Edinson Cavani kommt ablösefrei von Paris Saint-Germain, Verteidiger Alex Telles kommt für 15 Millionen Euro vom FC Porto. Außerdem holte Man United den 18 Jahre alten ivorischen Jungstar Amad Diallo von Atalanta Bergamo, der aber erst ab Januar für den englischen Klub spielen wird. 21 Millionen Euro plus Bonuszahlungen muss Manchester bezahlen.

Und dennoch wird Manchester auch in dieser Saison kein Wort um die englische Meisterschaft mitreden. Dazu fehlt dem seit Jahren manövrierunfähigen Riesentanker schlicht ein nachhaltiges Konzept. Eben jenes Erfolgsrezept, das den Verein ab den späten 1990er-Jahren für eine Dekade zu einem der gefragtesten Adressen im Weltfussball gemacht hat. Noch immer und wahrscheinlich auch noch viel länger sehnen sie sich in Manchester nach dem notorischen Kaugummikauer und Weltklasse-Trainer Alex Ferguson.

In einer beispiellosen Karriere führte der Schotte zwischen 1986 und 2013 den Klub zu 38 Titeln und formte zahlreiche Spieler wie Bryan Robson, Paul Scholes, David Beckham und schließlich auch Cristiano Ronaldo zu historischen Fußballfiguren. Mit einer klugen Einkaufspolitik und einem äußerst autoritären Führungsstil verhalf er dem Verein zu Weltruhm, der sich bis heute in Zahlen niederschlägt. Obwohl der Verein sowohl national, als auch international schon lange keine nennenswerte Rolle mehr spielt, vermeldete der Traditionsverein im letzten Jahr den dritthöchsten Umsatz aller europäischen Vereine. Mit 711 Millionen Euro setzte der Verein mehr Geld um, als der FC Bayern oder der Dauerrivale aus Liverpool.

Viele Fans blicken derzeit neidisch an die knapp eine Autostunde entfernte Anfield Road. Dem FC Liverpool gelang in den letzten fünf Jahren ein beeindruckender Aufstieg auf den Gipfel des englischen Fußballs. Mit einem wohlüberlegten Konzept und einer klaren Idee vom Fußball gewann der Verein vor anderthalb Jahren die Champions Leauge und daraufhin die langersehnte Meisterschaft - genau wie Manchester vor elf Jahren. Und auch davon abgesehen verbindet die Klubs mehr, als eingefleischte Fans vermutlich jemals zugeben würden.

Was United von Liverpool lernen kann

Beide Vereine haben weltberühmte Stadien, unfassbar große Fangemeinden und eine einzigartige Strahlkraft. Es gibt nur ganz wenige Vereine, bei denen man Spielern bei der Pressekonferenz die Aussage "Als Kind habe ich schon in der Bettwäsche des Vereins geschlafen" abnimmt - Liverpool und Man United gehören dazu. Beide Vereine gaben für diese Spieler in den letzten fünf Jahren unglaublich viel Geld aus (Manchester 718 Millionen Euro und Liverpool 523 Millionen Euro) und nahmen im Gegensatz dazu kaum Geld ein. Der erste große Unterschied in dieser Entwicklung jedoch ist, dass bei Liverpool neue Spieler regelmäßig einschlagen, während sie bei Manchester mit wenigen Ausnahmen eher zu Mitläufern statt zu Leistungsträgern avancieren.

Das wird vor allem beim Vergleich der jeweils teuer eingekauften Chef-Innenverteidiger deutlich: Während Virgil Van Dijk mit seiner kompromisslosen Spielweise fast Weltfußballer geworden wäre, sorgte Harry Maguire eher mit Skandalen statt mit sauberen Tacklings für Schlagzeilen. Auf dem Platz gilt der Kapitän zwar als solide, dennoch unterlaufen dem 27-Jährige öfter Schnitzer wie am Sonntag gegen Tottenham. Von einem 85-Millionen-Euro-Transfer darf man in Manchester zu recht mehr erwarten. Und auch sonst wirkt der United-Kader wie ein wild zusammen gestellter Haufen Hochbegabter, die bei ihren vorherigen Klubs zwar Top-Leistungen gebracht haben - sie aber bei Manchester United nur selten bestätigen. Ein weiteres Beispiel ist der Brasilianer Fred, der seine 60 Millionen Euro Ablöse bislang kaum rechtfertigen konnte.

Bei Liverpool hingegen liefen die Geschäfte deutlich besser. Laut transfermarkt.de konnten die meisten neuen Spieler ihren Wert deutlich steigern, das Stürmertrio Mané-Firmino-Salah schießt Tore wie am Fließband und ist international gefürchtet. Liverpools Erfolgssträhne auf dem Transfermarkt ist jedoch kein Zufallsprodukt, sondern begann 2016 mit dem Kommen eines Deutschen: Jürgen Klopp.

"Ja, es gibt ein bisschen Eitelkeit"

Klopp hat seinem Klub eine DNA eingeimpft, der sowohl eine klare Idee vom Fußball und eine entsprechende Personalstrategie verfolgt. Der Verein besitzt eine einzigartige Scoutingabteilung, die nach klaren Vorgaben Spieler auswählt. In Manchester scheint es solche Vorgaben nicht zu geben. Nur in vereinzelten Spielen lassen die Hochbegabten ihre Fähigkeiten aufblitzen, Trainer Solsjkaer ist es in seiner knapp zweijährigen Amtszeit bislang noch nicht gelungen, dem Team seine Handschrift zu verpassen. Gegen die englischen Top-Klubs gelingen ihm zwar immer wieder beachtliche Siege, doch vor allem in der letzten Saison ist seine Mannschaft mehrfach über vermeintlich kleine Mannschaften vom Kaliber West Ham United oder Bournemouth gestolpert.

Der Mannschaft fehlt es an Team-Spirit, wie Mittelfeldspieler Fred Anfang des Jahres sogar unumwunden zugab. "Unserer Mannschaft fehlt die ‚Wir-gehen-durch-dick-und-dünn-Mentalität‘. Wir haben eine Menge Probleme", sagte der 26-Jährige im Februar dem brasilianischen Fußballkanal "De Sola". "In der Kabine wird immer diskutiert, und ja, es gibt ein bisschen Eitelkeit."

Dank eines starken Endspurts, der vor allem den Namen des Winter-Neuzugangs Bruno Fernandes trägt, gelang dem Verein letztendlich noch ein guter dritter Platz und ist damit für die Champions League in dieser Saison qualifiziert. Ein wichtiges Argument für Spieler wie Edinson Cavani, der gestern Abend noch verpflichtet wurde. Allein auf Grund der Strahlkraft des Vereins will im Augenblick wohl kein großer Spieler mehr im "theatre of dreams" spielen.

Quelle: ntv.de

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