Super-Däne Gidsel hat immer Bock Der größte Handball-Star der Welt benimmt sich wie ein kleines Kind
01.02.2025, 20:07 Uhr
Mathias Gidsel hat Spaß trotz des Schmerzes.
(Foto: IMAGO/Ritzau Scanpix)
Niemand hat mehr Druck als er und niemand hat dabei so viel Spaß: Mathias Gidsel ist ein Phänomen. Der beste Handballer der Welt ist nicht aufzuhalten und konterkariert dabei die berechtigten Klagen der anderen Topspieler.
Mathias Gidsel stand nach dem Einzug ins WM-Endspiel schwer bandagiert in der Interviewzone, ein Eisbeutel war um sein linkes Knie gewickelt. Doch der Welthandballer lachte und scherzte. 45 Minuten stand er nach dem 40:27 seiner Super-Dänen über Deutschland-Schreck Portugal vor den Journalisten und berichtete gut gelaunt über den Triumphzug des Serienweltmeisters durch das Turnier. Das Knie? Kein Problem: "Ich bin in der ersten Halbzeit wirklich nur getroffen worden - Knie an Knie. Das hat das ganze Knie lahmgelegt - also haben wir die Pause genutzt, um herauszufinden, ob alles in Ordnung ist", sagte der Linkshänder, der zuvor neun Tore erzielt hatte. "Und so wie es aussieht, ist es das auch."
Der 25-Jährige ist der beste Handballspieler der Welt, bei den Olympischen Spielen wurde er im Sommer genauso zum wertvollsten Spieler gewählt wie bei der Europameisterschaft im Januar und der WM im Jahr zuvor. Seit er 2021 seinen WM-Titel gewann, gehört er stets zum Allstar-Team. Es besteht kein Zweifel daran, dass er auch MVP dieses Turniers wird. Es ist der pure Bock auf Handball, der ihn antreibt - und niemand kann ihn daran hindern, Handball zu spielen. Auch nicht ein schmerzendes Knie und auch nicht, wenn ein Spiel längst entschieden ist. Gegen Portugal ging Gidsel, um dessen Gelenke sich eine ganze Nation sorgt, erst nach 54 Minuten vom Platz. Widerwillig. Seine Mannschaft führte da mit zwölf Toren. "Ich denke, es wird morgen blau und wund sein, und dann werde ich für Sonntag bereit sein", beruhigte der Hochgeschwindigkeits-Handballer seine Landsleute.
"Wenn Sie das glauben ..."
Am Sonntag trifft Dänemark im Finale in einer ausverkauften Arena in Oslo auf Kroatien - und Mathias Gidsel garantiert, dass er spielbereit sein wird. "Sie kennen mich nicht, wenn Sie glauben, dass ich am Sonntag nicht dabei sein werde. Unabhängig davon, ob das Knie in Ordnung ist oder nicht. In einem Finale werde ich auf jeden Fall dabei sein." Sein Trainer Nikolaj Jacobsen stand zwischenzeitlich daheim unter Beschuss, weil er Gidsel zu wenige Pausen gönnen würde. Der Weltmeistertrainer, der sein Team zum vierten WM-Sieg in Serie führen möchte, reagierte ärgerlich: Gidsel wolle am liebsten immer spielen. Wenn er vom Platz müsse, werde sein bester Spieler stets sehr sauer. Jede Minute Schonung muss hart verhandelt werden.
Nach dem Auftaktspiel gegen Algerien, in dem Dänemark 47 Tore erzielte, stand der Superstar in jedem Match mindestens 49 Minuten auf dem Feld - gegen Deutschland und Brasilien waren es sogar 58. In Abwehr und Angriff, hoch und runter, Angriff für Angriff Vollkontakt. 64 Tore hat Gidsel erzielt, führt die Rangliste mit gewaltigem Vorsprung auf Frankreichs Super-Shooter Dika Mem (50) an. Gidsel läuft jeden Angriff im Vollsprint, immer an der Grenze zur Körperverletzung mit sich selbst als Opfer. Egal, wie es steht und egal gegen wen. Gidsel wuchtet sich, nicht selten mit dem Kopf voran, durch die gegnerischen Abwehrreihen, mit 1,90 Metern wirft er selten über die Verteidiger, stattdessen findet er andere Wege. Niemand findet sie so gut wie er.
Mathias Gidsel passt eigentlich nicht in eine Welt, in der viel von Belastungssteuerung die Rede ist. Wo Trainer sich über jede Gelegenheit freuen, ihre Stars frühzeitig vom Feld nehmen zu können und wo das Scheitern nicht selten mit Verweis auf die überhohe Belastung der Schlüsselspieler erklärt wird.
Ob er denn nun wirklich jede Partie durchspielen müsse, hatte ihn Stefan Kretzschmar gefragt, erzählte dieser im "Harzblut"-Talk. Die Antwort des 25-Jährigen an seinen Chef, der Kretzschmar als Sportvorstand der Füchse Berlin ist: "Come on, just a little cardio." Trainer und Vorgesetzte haben es nicht leicht mit dem Mann, der auch abseits der Platte eine enorme Ausdauer beweist: Nach den 45 Minuten in der Interviewzone ging er zurück in die Halle, erfüllte Autogramm- und Fotowünsche von kleinen und großen Fans.
"Belastung ist unfassbar"
Tatsächlich besteht kein Zweifel daran, dass der Umgang der Verbände mit ihren Stars hart ist, bisweilen unmenschlich. Schon am kommenden Wochenende, wenige Tage nach dem WM-Finale, müssen auch die Weltmeister wieder in der Bundesliga, der härtesten Liga der Welt, ran. Auch vor der WM hatte es keine Pause gegeben: Mit den Füchsen Berlin hatte Gidsel zuletzt am 26. Dezember in der Bundesliga gespielt, ehe sich das Nationalteam kurz nach dem Jahreswechsel zur Vorbereitung traf und am 9. sowie 10. Januar Testspiele gegen Bahrain absolvierte. Am 14. Januar starteten die Dänen dann in die WM.
Da sagt auch Gidsel: "Die Belastung ist unfassbar, meiner Meinung nach ist das nicht in Ordnung", sagte er im vergangenen November dem RBB. "Wir haben jetzt eineinhalb Jahre ohne Pause Handball gespielt und dann kommt noch die Weltmeisterschaft im Januar. Es ist zu sehen, dass die Spieler, die bei Olympia dabei waren, mit der Stabilität und Motivation zu kämpfen haben. Es ist wirklich hart."
Renars Uscins, der deutsche Shootingstar, der bei Olympia in neue Sphären vorgestoßen war, ist der beste Beleg für diese These: Der deutsche Rückraumschütze wirkte bei der WM vom ersten Tag an überspielt und schien überhaupt nur wenige Augenblicke des Turniers genossen zu haben. Julian Köster hatte sich genauso angeschlagen zur WM geschleppt wie Kapitän Johannes Golla. Die deutsche Mannschaft strahlte stets mehr Schwer- als Leichtmut aus auf dem Weg ins Viertelfinale. Am Ende steht mit dem Verpassen der ersehnten ersten WM-Medaille seit 18 Jahren eine Enttäuschung, die sich seit dem Auftaktspiel gegen Polen emotional angebahnt hatte. Mathias Gidsel sagte nun: "Ich bin einfach nur glücklich, auf dem Platz zu stehen. Ich glaube, jeder, der sieht, dass ich ein Teil dieses herrlichen Spiels bin, weiß, wie sehr ich es genieße."
Nur einmal im Laufe der WM war Gidsel früh aus dem Spiel genommen worden: Im Hauptrundenspiel gegen die Schweiz hatte deren Trainer Andy Schmid den Spaßhandballer in Manndeckung nehmen lassen und parkte ihn damit an der Mittellinie. Und das machte Gidsel richtig sauer. Er war mehr verärgert, als hätte ihn sein eigener Trainer vom Platz genommen. "Für mich persönlich war es ein stinklangweiliges Spiel", schimpfte er - ausnahmsweise ohne Lächeln im Gesicht. "Man verliert irgendwie die Freude am Handballspielen. Das war nicht der Grund, warum ich überhaupt angefangen habe zu spielen - um in der Mitte zu stehen und mit jemandem Schweizerdeutsch zu sprechen." Er habe "in der Halbzeit Andy Schmid gefragt, ob er wisse, wie langweilig es sei, in der Mitte an der Mittellinie rumzustehen. Er hat geantwortet, ich könne mich ja einfach umziehen gehen, dann würden sie wieder in die normale Formation wechseln." Den Umgang mit ihm nannte Gidsel "eine idiotische Idee." Will man ihm das Handballspielen vermiesen, benimmt sich der beste Handballer der Welt wie ein kleines Kind. Es ist begeisternd.
"Ich will jede Minute spielen"
Im deutschen Lager waren sie heilfroh, als sie ihr Toppersonal im letzten Hauptrundenspiel gegen Tunesien schonen konnten. Bei den Dänen wäre so etwas nie infrage gekommen, Jacobsen lässt die erste Sieben stets länger als eigentlich nötig auf der Platte - vor allem der Welthandballer persönlich hat auf Schonung überhaupt keine Lust: "Ich will jede Minute spielen", sagte Gidsel nach dem Halbfinalsieg gegen Portugal der Sportschau. Die Deutschen waren 48 Stunden zuvor am Sensationsteam gescheitert, Experten hatten beim DHB-Team Spiellust, Fluss, Mut und Tempo vermisst. Es schien, wie so oft zuvor in diesem Turnier, als hätten die deutschen Hochbegabten um Juri Knorr, Uscins und Co. einen schweren Rucksack auf den Schultern gehabt. Die Nachwehen des sensationellen Flugs zu Olympischem Silber schien das DHB-Team diesmal stets mehr belastet als beflügelt zu haben. Gerade, als es gegen Portugal in die entscheidenden Phasen ging. Die Dänen überrannten Portugal in der zweiten Hälfte einfach.
Vom spektakulären Dänen, der den Handball - durch seine Präzision, seine außergewöhnliche Technik, sein schieres Tempo - in ein neues Zeitalter geführt hat, werden in jedem Spiel Großtaten erwartet. Dazu muss Gidsel nach dem Abschied von Welttorwart Niklas Landin und dem langjährigen Anführer Mikkel Hansen - beide hatten ihren Abschied aus dem Nationalteam nach einer glänzenden Ära bei den Olympischen Spielen vergoldet - noch eine neue Rolle im Team einnehmen. "Ich kann mich nicht mehr hinter Landin verstecken", sagt der 25-Jährige, "ich muss nun auch daran arbeiten, dass wir eine Gemeinschaft bleiben. Ich muss mehr darstellen, als meine eigene Leistung - ich war bisher zu sehr der Junge aus Westjütland, der sich um sich selbst gekümmert hat." Um all das schultern zu können, hatte sich der Junge aus Westjütland, der heute der außergewöhnlichste Handballer der Welt ist, psychologische Hilfe geholt. Kein Handballer auf diesem Planeten steht unter größerem Druck als Mathias Gidsel.
Alles andere als der vierte Weltmeistertitel in Serie wäre eine nationale Tragödie. Mit niemandem wäre ein Scheitern - und das wäre eine Finalniederlage in den Augen der Dänen - so eng verbunden wie mit dem Gesicht Gidsels, das seine Landsleute quer durchs Land von Plakatwänden aus anstrahlt. Doch bisher gibt es wenige Indizien dafür, dass Scheitern eine echte Option ist. Am Sonntag wird Mathias Gidsel wohl bis zur letzten Sekunde auf der Platte stehen, auch wenn es wehtut, selbst wenn das Spiel entschieden und sich der Druck im Triumph auflösen sollte.
Sieben Tage nach dem Finale spielen Gidsels Füchse Berlin in der Bundesliga gegen den Vfl Potsdam. Der Nachbar ist der Tabellenletzte, hat in seiner ersten Bundesligasaison noch keinen einzigen Punkt gesammelt. Undenkbar, dass Gidsel dann - Weltmeister oder nicht - eine Auszeit einfordert. Handball ist Spaß, auch wenn man der beste Spieler der Welt ist. Wahrscheinlich hängt das eine mit dem anderen zusammen.
Quelle: ntv.de