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"Mertens macht ein Riesenspiel" Ein neuer Topentscheider begeistert im DHB-Krimi

Lukas Mertens begeisterte gegen Serbien.

Lukas Mertens begeisterte gegen Serbien.

(Foto: picture alliance / Marco Wolf)

Lukas Mertens macht für die deutsche Handball-Nationalmannschaft zum richtigen Zeitpunkt ein "Riesenspiel": Gegen Serbien ebnet der Linksaußen dem DHB-Team einen leichten Weg durch die Weltmeisterschaft. Daran ändert auch ein Fauxpas des 26-Jährigen nichts.

33 Gegentore kassiert die deutsche Handball-Nationalmannschaft im so wichtigen WM-Vorrundenspiel gegen Serbien. Und 33 Tore, das sind viel zu viele. Eigentlich. In seiner langen Geschichte hat das DHB-Team nämlich überhaupt noch nie ein Weltmeisterschaftsspiel gewonnen, in dem es nach 60 Minuten mehr als 30 Tore kassiert hatte. 2023 war es nun so weit, weil in einem wilden Scheibenschießen die deutsche Mannschaft das ganze Spiel führte und am Ende einen knappen Vorsprung ins Ziel rettete. 34 Tore mussten es sein. Es reichte, weil Torwart Joel Birlehm in den letzten zehn Minuten vier frei Würfe hielt und weil mit Lukas Mertens einer eine Traumquote lieferte, den man zuvor noch nicht als Topentscheider im Ensemble von Bundestrainer Alfred Gislason auf dem Zettel hatte.

Sieben Versuche, sieben Treffer: Mehr Effektivität auf höchstem Niveau geht nicht und vor allem für Außen ist das eine Wunderquote. Die Spieler müssen innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden, ob sie mit dem Ball in der Hand zum Wurf in den Kreis fliegen. Drei schnelle Schritte maximal, ein kurzer Flug, null Zeit zum Zaudern. Ist die Entscheidung getroffen, gibt es kein Zurück mehr. Landen sie im Kreis, ist der Ball weg. Beim Gegner oder im Tor. Das Tor aber ist nirgendwo auf dem Feld kleiner als von außen, der Winkel, der sich öffnet, variiert je nach Flugbahn. Tore von außen zu erzielen, ist sehr, sehr kompliziert - "besonders wenn man weiß, dass er in der ersten Halbzeit viermal mit einem relativ kleinen Winkel gegen Vladimir Cupara geworfen und alle sehr souverän reingehauen hat", sagte Bundestrainer Gislason bei Sport1 nach dem Spiel über seinen Linksaußen und ergänzte: "Cupara ist einer der Besten der Welt von außen. Mertens macht ein Riesenspiel."

"Daran werde ich mich öfter erinnern"

Seit dem Abschied von Uwe Gensheimer, der unbestritten einer der besten Linksaußen der Welt war, sehnt man sich im DHB-Team nach einer Dauerlösung draußen auf dem linken Flügel. Gensheimer hatte nach der Weltmeisterschaft 2021 seine oft unglückliche Nationalmannschaftskarriere beendet, danach versuchten sich mit Matthias Musche und Marcel Schiller zwei erfahrene Leute auf der Position, ohne sich fest spielen zu können. Schiller hatte sich in der laufenden Bundesligasaison verletzt, wurde wieder fit - und später zu einem der "Härtefälle" bei der Nominierung. Gislason setzte auf Lukas Mertens als klare Nummer eins, der weit erfahrenere Schiller musste ganz zu Hause bleiben - und soll darüber überhaupt nicht begeistert gewesen sein.

16 Länderspiele hat der 1,82 Meter große Wilhelmshavener Mertens nun in der Statistik stehen. Dass es nicht mehr sind, liegt auch am Coronavirus: Bei der Chaos-EM 2022 nahm ihn ein positiver Test schon nach dem zweiten Spiel aus dem Turnier, Mertens kehrte nicht mehr zurück. Nun nutzt er die Zeit, um sich unverzichtbar zu machen. Gislason setzt voll auf Mertens, der seinen SC Magdeburg in der vergangenen Bundesligasaison zum Meistertitel und zur Titelverteidigung bei der Klub-WM warf. Vier Treffer gegen Katar zum Auftakt, sieben gegen Serbien. Gute Werbung.

Spektakuläre Identifikationsfigur

Es ist auch nicht die Quote allein, es ist auch die Art, wie der 26-Jährige seine Treffer erzielt: Anders als der - so scheint es bisweilen - mit einem Gummigelenk ausgestattete Gensheimer, der die Bälle wahlweise ins Tor schnippelte, streichelte, jedenfalls meistens kunstvoll versenkte, kommt Mertens mehr noch über die Sprungkraft und die Präzision bei großer Dynamik. Gegen Katar angelte sich Mertens einen langen Pass von Simon Ernst artistisch aus der Luft und knallte ihn aus großer Distanz mit der Halbzeitsirene ins Tor. "Dass es so krass gewesen ist, habe ich mir nicht vorstellen können. Es war schon ein cooles Tor - und dann auch noch mein erstes bei einer WM. Daran werde ich mich noch öfter erinnern", hatte er nach dem Auftaktspiel geschwärmt.

Gegen Serbien wiederholte er den Treffer nun nahezu exakt: Gegen Weltklassetorhüter Cupara, der in einer Unterzahlaktion zurück ins Tor eilte, erkannte der Deutsche die Situation und zimmerte den Ball aus dem Rückraum ins obere Toreck. Zuvor hatte der sprunggewaltige Außen noch vor der Halbzeit Teamkollege Christoph Steinert zum Kempatrick bedient. Aktionen, die die Fans begeistern. Das DHB-Team ist ja auch mal wieder auf einer Mission, die über das Sportliche hinausgeht.

"Es ist unser Ziel, die Menschen zu begeistern - und da gehören Erfolge nun mal dazu", sagte Kapitän Johannes Golla im Gespräch mit ntv.de. "Wir wollen guten Handball zeigen, dass die Leute sagen, das ist die Mannschaft, die uns repräsentiert, denen schauen wir gerne zu. Wenn uns das gelingt, lenken wir die Aufmerksamkeit automatisch auf den Handball." 6,27 Millionen Menschen verfolgten in der Spitze das Spiel gegen Serbien, das für den weiteren Fortgang des Turniers so wichtig war. "Dieser Sieg gibt Selbstvertrauen und kann noch sehr wertvoll für uns sein", sagte Gislason. Routinier Philipp Weber schwärmte: "Es ist in kurzer Zeit extrem viel zusammengewachsen. Jeder gibt sein Bestes und steht seinen Mann", sagte der 30-Jährige. "Spätestens jetzt hat uns jeder auf dem Zettel. Man wird uns nicht mehr unterschätzen." Die vollen vier Punkte wird das Team sicher in die Hauptrunde mitnehmen - damit könnte schon ein weiterer Sieg in drei Spielen zum Einzug ins Viertelfinale reichen.

"... dann war ich Dominik Klein"

Als Lukas Mertens nun zum Interview in der ARD antrat, waren im Hintergrund ausdauernde "Lukas Mertens"-Sprechchöre zu hören - wie auch schon während der Partie. Sie brachten den Profi sichtbar in Verlegenheit, so wie ihn wohl auch ein bisschen die ungewohnte Position neben dem ARD-Experten Dominik Klein freute: Er habe zwar ein Trikot von Christian Zeitz vom THW Kiel gehabt, erzählte er im letzten Jahr dem Magazin "Bock auf Handball", "aber wenn wir Handball spielten, dann war ich Dominik Klein oder Gudjon Valur Sigurdsson." Klein, Weltmeister von 2007, durfte sich nun über die Vorstellung seines Nach-Nachfolgers auf Linksaußen freuen. Der ehemalige Kieler berichtete von einem "Blickkontakt während eines Jubels, bei dem man ganz genau weiß, was man übermitteln möchte." Bei Sieben von Sieben war die Botschaft klar.

Am Ende eines turbulenten Abends, der 67 Treffer bereithielt, ohne dass zwischendurch auch nur einmal die Führung gewechselt hätte, ging dann auch beinahe unter, dass Bundestrainer Gislason einen letztlich folgenlosen Fauxpas Mertens' locker wegmoderierte: "Einmal wollte er das Spielfeld nicht verlassen, das hat uns ein bisschen gekostet", kommentierte er gegenüber Sport1 einen Wechselfehler seines besten Torschützen des Abends lächelnd. Die unnötige Unterzahl blieb diesmal letztlich folgenlos. Auch vier Tore von Serbiens Rechtsaußen Bogdan Radivojevic über die Abwehrseite des gefeierten Publikumslieblings hätten teuer werden können. Aber weil Lukas Mertens offensiv das größte Spiel seiner DHB-Karriere genau zum richtigen Zeitpunkt lieferte, behielt die deutsche Nationalmannschaft in der Torflut den Kopf letztendlich oben.

Quelle: ntv.de

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