Viel Lob für Keeper Birlehm Der Mann, der dem DHB-Team "den Arsch rettet"


Birlehm begeisterte auch mit seiner Emotionalität.
(Foto: picture alliance / Marco Wolf)
Nach dem knappen Sieg gegen Serbien bei der Handball-WM schließen die deutschen Nationalspieler einen Teamkollegen ganz fest in die Arme: Torhüter Joel Birlehm. Der 25-Jährige kommt für den weitgehend blassen Andreas Wolff ins Spiel und hält den Sieg fest.
Ganz am Ende erlaubte sich Teammanager Oliver Roggisch seine eigene Bewertung des Spiels. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hatte bei der Weltmeisterschaft in Katowice gerade 34:33 gegen den ärgsten Vorrunden-Konkurrenten Serbien gewonnen und Kapitän Johannes Golla war zum Spieler des Spiels auserkoren worden. Die für die TV-Kameras und Fotos entsprechend großzügig gestaltete Tafel mit dieser Auszeichnung wollte Roggisch aus der Halle tragen, kam aber bei Joel Birlehm vorbei, der gerade bei der ARD zum Interview bereitstand. Kurzerhand wollte der Mann, der zugleich sportlicher Leiter der Rhein-Neckar Löwen ist, seinem Vereinstorhüter das Schild in die Hand drücken. Nicht, weil der nominell zweite Keeper der DHB-Auswahl die Drecksarbeit erledigen soll, sondern weil sich dieser die Auszeichnung ebenfalls verdient hatte. Und das nicht nur durch die gelb-blaue Vereinsbrille gesehen.
Der Torhüter war zuvor schon von seinen Teamkollegen gefeiert worden, er war es, der mitten rein in den Jubelkreis geschickt worden war. Er war es, den Andreas Wolff mehrfach herzte, der sich die Glückwünsche jedes Mitspielers abholte, der auch von Bundestrainer Alfred Gislason unbedingt in die Arme geschlossen werden musste. Gegen Katar hatte Wolff noch überragt, nach seiner Wadenblessur und einem eher blassen Spiel gegen Serbien - "Man hat Andi das mit der Wade angemerkt" (Gislason) - wurde er nach 25 Minuten gegen Birlehm ausgetauscht.
"Unfassbar, was er macht"
Auch der 25-Jährige habe "ein bisschen gebraucht, um reinzukommen", so Gislason. Es war lange Zeit kein Spiel, in dem einer der Torhüter den Unterschied machte. Der Bundestrainer erlebte seinen Schlussmann anfangs "ein bisschen zögerlich", doch als es drauf ankam, war Birlehm da. In der Schlussphase habe er "wirklich überragend" gehalten, so Gislason. "Ich glaube schon, dass Joel das Spiel für uns in den letzten 15 Minuten gewinnt, weil er ein paar freie Bälle hält", lobte auch Golla.
Mit acht Paraden konnte sich Birlehm gegen die Serben auszeichnen, auch einen Siebenmeter konnte er parieren. Auch von einem härteren Treffer ins Gesicht ließ er sich nicht beirren, nach kurzer Behandlung ging es weiter. "Wir müssen uns besonders bei Joel bedanken, der uns den Arsch rettet", formulierte es Spielmacher Juri Knorr überdeutlich. "Unfassbar, was er macht. Ich weiß nicht, wie viele freie Bälle er zum Schluss gehalten hat. Er war ein starker Rückhalt heute."
Und genau solch einer war nötig gegen die robusten Serben, die im Gegensatz zum Auftaktgegner Katar über viel mehr individuelle Klasse verfügen und mit viel Körperlichkeit spielen. Die Osteuropäer ließen sich nie abschütteln, die deutsche Abwehr hatte durchaus ihre Mühe. Zwar überzeugten im Angriff Linksaußen Lukas Mertens mit sieben Toren aus sieben Chancen und eben Kapitän Golla mit sechs Treffern, doch Sportvorstand Axel Kromer sagte schon in der Pause: "Ich glaube, dass wir in der Abwehr noch etwas resoluter zupacken müssen." Das gelang dann insbesondere Birlehm.
Fünf Minuten versuchten die Serben noch einmal alles, während sich das deutsche Team kleine Patzer erlaubte. Nach dem 33:31 wäre der direkte Anschlusstreffer drin gewesen, wenn nicht Birlehm die kurze Ecke zugemacht und den Wurf von Rechtsaußen Bogdan Radivojevic mit der Hüfte pariert hätte. Es war der einzige Fehlwurf des 29-Jährigen im Spiel. Als Birlehm dann direkt in der nächsten Szene vor seinem Tor - Jannik Kohlbacher und Kai Häfner hatten den Ball inzwischen zweimal hergeschenkt - auch noch den Wurf von Dragan Pechmalbec mit dem rechten Fuß stoppte, war der Triumph für Deutschland bereits zum Greifen nah. Das 34. Tor für Deutschland durch Mertens und die noch verbleibende Auszeit für das DHB-Team 50 Sekunden vor Schluss brachten die endgültige Entscheidung, Serbien kam nur noch ran, konnte aber nicht mehr aufschließen oder gar vorbeiziehen.
Erstes Turnier für Birlehm
Das lag mitentscheidend an Birlehm, der Keeper selbst aber gab sich bescheiden. "Natürlich ist es einfacher, wenn man mit einem Torwart wie Andi Wolff das Gespann bildet", erklärte er in der ARD. Es gebe "viel, viel weniger Druck". Er habe viel vom Europameister von 2016 mitgenommen. "Er lebt von seiner Schnelligkeit und seinen Emotionen. Das hat er sehr eindrücklich gezeigt", so Gislason, der nicht nur stolz, sondern auch erleichtert sein dürfte, dass Birlehm im nominell schwersten Gruppenspiel so überzeugt hat. "Er hat gezeigt, warum wir ihn gewählt haben."
Denn dass Birlehm mit zur WM nach Polen und Schweden fährt, war nicht selbstverständlich. Für den Mann, der im nordrhein-westfälischen Herford geboren wurde, ist es das erste Turnier. Er stand zwar im erweiterten Kader für die EM im vergangenen Jahr, wurde dann aber nicht für das Turnier nachnominiert. Den Vorzug hatte neben dem gesetzten Wolff, der 2019 für den polnischen Topklub Vive Kielce spielt, Till Klimpke erhalten, als das Corona-Chaos mit neun Infizierten im deutschen Team perfekt war, reiste Johannes Bitter vom Hamburger SV nach Bratislava - und war der einzige einsatzbereite Keeper im Kader. Klimpke gehörte auch diesmal zum erweiterten Kader, genauso wie der langjährige DHB-Keeper Silvio Heinevetter vom TVB Stuttgart und dem Göppinger Daniel Rebmann, der wie Birlehm bislang nur wenige Länderspiel-Einsätze vorweisen kann.
Auch ohne Einsatz bei der EM 2022 hatte Birlehm vor einem Jahr genügend Trubel. Satt nach Bratislava war er nach Mannheim gereist, um bei seinem neuen Arbeitgeber einzusteigen. Schon im November 2021 hatte der damalige Spieler des SC DHfK Leipzig einen Vertrag unterzeichnet, der sollte aber erst ab der Saison 2023/24 laufen. Große Personalprobleme bei den Löwen, zwei Torhüter hatten sich verletzt, einer den Klub verlassen, brachten dann den überraschend früheren Amtsantritt. Mit seinen Einsätzen beim derzeitigen Liga-Dritten konnte er sich nun gegen die Konkurrenz durchsetzen - und sich so für das DHB-Tor empfehlen.
Im dritten Vorrundenspiel der Gruppe E gegen Algerien (Dienstag, 18 Uhr/ZDF und im ntv.de-Liveticker) geht es um die optimale Punkteausbeute, der Einzug in die Hauptrunde ist dank des Erfolgs gegen Serbien bereits sicher. Sollte Wolff, dessen vorzeitiges Humpeln aus der Halle im Auftaktspiel gegen Katar schon zum Drama hochstilisiert wurde, auch dann noch ein Ziepen in seiner Wade spüren, weiß nicht mehr nur der Bundestrainer: auf Birlehm ist Verlass.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 16. Januar 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de