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Tamberi packt Sprungfedern aus Der Showman mit den zwei Gesichtshälften lässt Rom beben

Da wo Tamberi ist, ist die Euphorie.

Da wo Tamberi ist, ist die Euphorie.

(Foto: IMAGO/Photo News)

Die italienischen Leichtathleten liefern bei ihrer Heim-Europameisterschaft in Rom voll ab. Allen voran Gianmarco Tamberi. Der Hochsprung-Olympiasieger bietet seinen Fans die ganz große Show auf dem Weg zur Titelverteidigung - Zittern und Schrecken inklusive.

Da bleibt der Jubel plötzlich im Halse stecken: Gerade noch liefert Italiens Leichtathletik-Held Gianmarco Tamberi im Hochsprung einen meisterlichen Sprung über 2,34 Meter und lässt das Europameisterschafts-Stadion in Rom völlig eskalieren, dann aber humpelt er zurück zu seinem Platz, hält sich den Fuß und lässt sich auf den Boden fallen.

Der linke Fuß, sein Sprungfuß, war bereits einmal gebrochen, die Sorgen spiegeln sich in den Gesichtern der Fans auf der Tribüne. Auch seine Leute, die sein Konterfei auf T-Shirts gedruckt haben, schlagen die Hände vor den Mund, blicken wie erstarrt auf Tamberi. Ihr Held, der bei den Olympischen Spielen 2021 mit dem geteilten Gold mit dem Katarer Mutaz Essa Barshim für eine der rührendsten Geschichten gesorgt hatte, wird sich doch nicht wieder verletzt haben? Wenige Wochen vor den Spielen in Paris?

Für die Show hat Tamberi sogar Sprungfedern dabei.

Für die Show hat Tamberi sogar Sprungfedern dabei.

(Foto: REUTERS)

Tamberi streift sich den Schuh ab - um dann seine Schauspielerqualitäten zu offenbaren. Denn von wegen Schmerzen. Der 32-Jährige zieht Sprungfedern aus seinem Schuh. Oder er tut zumindest so, denn eigentlich zieht er sie aus seinen Ersatzschuhen, die er unter einem Handtuch versteckt hat. Klar, er kann sie nicht die ganze Zeit in seinem Schuh gehabt haben, in den engen Spikes würden sie arg stören. Noch dazu, da der linke Fuß wirklich seine Baustelle ist, er eine Bandage um den Knöchel trägt. Pure Show also des Mannes, der die Massen, die nur seinetwegen ins Stadion gekommen sind, bestens unterhält. Da kommt der Puls so richtig in Wallung.

Eins ist zu diesem Zeitpunkt bereits klar: Tamberi holt in seiner Heimat Gold. Titelverteidigung geglückt. Die Italiener räumen bei ihrer Heim-EM so richtig ab, 20 Medaillen haben sie vor dem letzten Wettkampftag bereits gesammelt, zehn davon glänzen golden. Klarer Platz eins im Medaillenspiegel, Frankreich folgt mit gerade einmal vier Goldmedaillen, die Deutschen haben noch keine gewonnen. Ja, Sprinter Marcell Lamont Jacobs wird gefeiert, zeitgleich mit Tamberi ist die 10.000-Meter-Läuferin Nadia Battocletti auf der Bahn erfolgreich. Wo Italien draufsteht, steckt bei diesen Titelkämpfen Qualität drin. Aber niemand elektrisiert die Massen so sehr wie Tamberi.

Halber Bart als Markenzeichen

Der Kapitän des italienischen Teams fällt auf, nicht nur wegen seiner Erfolge. Auf den Olympiasieg folgte im vergangenen Jahr der Weltmeister-Titel, nun ist er dreifacher Europameister. Er ist aber auch der Entertainer, der Mann mit den zwei Gesichtshälften. Ein halber Bart ziert auch diesmal wieder pünktlich zum Finale sein Gesicht - bei der Qualifikation war der noch vollständig gewesen. "Das ist mein Markenzeichen. Ich mag es, dazustehen und die Leute zu entertainen", sagte er schon 2015, bevor er 2016 seinen ersten EM-Titel gewann. Längst bezeichnet er den halben Bart auch als seinen Glücksbringer.

Und der hat auch diesmal funktioniert. Bei 2,29 Meter ist Tamberi schon kurz vor dem Ausscheiden. Zweimal hat er die Höhe bereits gerissen, der Ukrainer Vladyslav Lavskyy dagegen ist im ersten Versuch über die Latte geflogen. Auch im dritten Versuch des Italieners wackelt die Latte, fällt aber nicht. Er schlägt die Hände vor die Augen und kreiselt seinen Körper auf der Matte, während der Jubel im Stadion explodiert. "Das ist immer etwas, das passieren kann. Du musst Probleme lösen, die während des Wettkampfes auftreten können", sagt er hinterher in der ARD. Die anschließenden 2,31 Meter überspringt er dann im ersten Versuch souverän - das schon bringt ihm Gold. 2,33 Meter reißt er zweimal deutlich, weil aber auch sein ärgster Konkurrent Lavskyy nicht drüberkommt, steht Tamberi als Europameister fest. Dritter wird der Ukrainer Oleh Doroshchuk (2,26).

Verletzungspech für Deutschen

Der Deutsche Mateusz Przybylko hat mit den Medaillen nichts zu tun. Der Europameister von 2018 schafft die Einstiegshöhe von 2,17 Meter, verletzt sich dann aber im ersten Versuch über 2,22 Meter an seinem ohnehin lädierten Fuß und muss den Wettkampf frühzeitig abbrechen. Im vergangenen Jahr hatte sich der Leverkusener einen Mittelfußbruch zugezogen und war operiert worden, die Titanschraube ist noch in seinem Fuß, die Narbe zwickt. "Am Knochen ist nichts mehr, da haben wir vor den Europameisterschaften noch mal einen Test gemacht, der ist verheilt. Ich glaube, es liegt daran, dass der Fuß noch nicht so belastbar ist, wie ich es mir erhofft habe", sagt Przybylko in der ARD. "Ich habe immer ein bisschen Probleme gehabt mit Entzündungen, dem Narbengewebe und der Schraube, die ein bisschen die Sehne reizt. Jetzt müssen wir noch mal gucken, was die Ärzte sagen und hoffen, dass es nichts Schlimmes ist."

Bundestrainer Hans-Jörg Thomaskamp verweist vor allem auf die in wenigen Wochen anstehenden Olympischen Spiele: "Wir wollten mit Blick auf Olympia kein Risiko eingehen." Als er sich noch den schmerzenden Fuß hält und die Entscheidung zur Aufgabe trifft, ist Tamberi bei ihm. Die beiden sind seit 14 Jahren Konkurrenten, längst dicke Freude, wie Przybylko vor dem Wettkampf erzählt. Der Italiener tröstet in der Stunde der Niederlage - so wie er in der Qualifikation motiviert hatte, als der Deutsche den Endkampf zu verpassen drohte. Eine deutliche Ansprache hatte es da vor dem entscheidenden dritten Versuch über 2,21 Meter gesetzt und dann den gemeinsamen Jubel über den Einzug ins Finale.

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Wie sehr Tamberi die Extreme beherrscht, zeigt er an diesem Abend ebenfalls. Zwischen Mitgefühl, Jubel und Witz einerseits und voller Konzentration andererseits. Denn mit dem symbolischen Gold bereits um den Hals macht er nicht Schluss, sondern lässt die Latte höher legen, einen Zentimeter fährt das Gestänge rauf, eben auf jene 2,34 Meter. Drüber als Showman und Entertainer mit den metallenen Sprungfedern. Und selbst das ist weiterhin nicht das Ende, es folgen noch 2,37 Meter, die der alte und neue Meister auflegen lässt.

Eigentlich sollen parallel die Zehnkämpfer zu ihrem finalen Lauf über 1500 Meter starten, doch der Hochspringer hält sie mal eben mit seinem Anlauf zum neuen Meisterschaftsrekord auf. Im ersten Versuch fliegt er formvollendet über die Höhe. Der Jubel kennt keine Grenzen mehr, zwei seiner Kumpels hüpfen und stolpern zu ihm herunter, von der Tribüne auf die Laufbahn. Ein Kampfrichter hat Mühe, die Umarmungen so weit einzudämmen, dass der Start für die Zehnkämpfer möglich wird. Längst vergessen ist Tamberis Stocken bei 2,29 Meter. "Ich bin sehr stolz, mit Meisterschaftsrekord gewonnen zu haben. Jetzt möchte ich auch gerne in Paris Gold gewinnen", sagt Tamberi anschließend bei der ARD. Dort wird er wieder auf Barshim treffen - und die Fortsetzung des Olympia-Märchens wird sicherlich wieder mit einer großen Show des Italieners drapiert.

Quelle: ntv.de

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