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"Setz dich bitte woanders hin" Mihambo trägt schwer an Deutschlands Rassismus

Die WM im August verpasste Mihambo verletzungsbedingt.

Die WM im August verpasste Mihambo verletzungsbedingt.

(Foto: picture alliance / Laci Perenyi)

Schon im Kindergarten und in der Grunschule muss Malaika Mihambo feststellen, dass Rassismus in Deutschland alltäglich ist. Die erfolgreiche deutsche Leichtathletik ihrer Generation empfindet dies als "enorme Last", von der sie sich nur langsam befreien kann. Darüber hat sie ein Buch geschrieben.

Malaika Mihambo war wieder unterwegs. So wie sie das am liebsten mag: Mit Rucksack und vielen Gedanken wanderte die Weitsprung-Olympiasiegerin über einen fremden Kontinent. Wie stets nach einer aufwühlenden Saison. Das Wesentliche, was sie beschäftigte, hatte Mihambo aber diesmal schon vorher formuliert. In einem Buch, das anders ist als gemeine Sport-Autobiographien: eine eindrückliche und ganz persönliche Auseinandersetzung mit dem Alltagsrassismus in Deutschland.

"Schon in sehr jungen Jahren habe ich einen großen Rucksack auf meinen Rücken geladen bekommen, eine enorme Last", schreibt die 29-Jährige in "Spring Dich frei", das in dieser Woche erschienen ist: "Es ist mir gelungen, den Rucksack (...) nicht noch mehr vollzustopfen, sodass ich am Ende womöglich gar nicht mehr hätte gehen können. Er hat mich nicht in die Knie gezwungen."

Auf fast 300 Seiten erzählt die erfolgreichste Weitspringerin der Gegenwart, wie sie wurde, was sie ist. Obwohl sie ist, wie sie ist. "Lange Zeit traute ich mich nicht, anders zu sein, ich zu sein", schreibt Mihambo: "Doch als ich endlich lernte, mich so anzunehmen, dass es mich glücklich machte (...), begann ein neues, ein viel freieres Leben."

Mihambo erzählt vom Vater, der von der zu Tansania gehörenden Insel Sansibar stammt. "Es war für mich schwer zu verstehen, warum mein Vater uns verlassen hat. Immer wieder stellte ich mir die Frage: Hat er mich trotzdem lieb?" Sie erzählt, wie sie sich mit dessen afrikanischen Wurzeln befasste, die auch die ihren sind. Und die das Verhalten der Menschen ihr gegenüber prägten.

"Malaika, dann setz dich bitte woanders hin"

"Bereits im Kindergarten wurde ich aufgrund meiner Hautfarbe anders behandelt. Damals wusste ich noch nicht genau, dass das mit meinem Aussehen zu tun hatte", schreibt sie. Die spätere Erkenntnis, dass ihre Hautfarbe "tatsächlich einen Unterschied machte", war "mit einem gewissen Schmerz verbunden".

Sie berichtet, wie ihr unverhohlener Rassismus begegnete. In der Grundschule, als sie sich neben einen Mitschüler setzte: "Entsetzt sah der Junge mich an, (...) als hätte er den schlimmsten Abscheu vor mir. Schließlich sagte er (...): Ich will nicht neben der sitzen. Die Lehrerin holte tief Luft, bevor sie die Worte (...) aussprach, die sich für immer in mich eingraben sollten: Malaika, dann setz dich bitte woanders hin."

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Mihambo schlägt den Bogen von Kindheits-Erlebnissen bis zu den rassistischen Attentaten von Halle und Hanau. Die Erkenntnis: "Wir müssen verstehen, dass unser System rassistisch geprägt ist." Ihr Schluss: "Wenn die Politik es nicht nachhaltig schafft, aktiv gegen Rassismus vorzugehen, müssen wir uns selbst auf Werte wie Toleranz, Offenheit und Empathie besinnen."

Mihambo hat sich viel von der Seele geschrieben. Um sich jetzt wieder auf den Sport konzentrieren zu können. Auf dem Weg zu einem zweiten Olympiasieg 2024 in Paris wartet viel Arbeit auf sie. Ihr Werdegang hat Mihambo gelehrt: Selbstverständlich ist nichts.

Quelle: ntv.de, tsi/sid

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