Reformer Pieth über Fortschritte und Fehler der Fifa Ohne Blatter geht "zehn Jahre nichts"
06.11.2013, 11:05 Uhr
Der umstrittene Fifa-Boss Joseph Blatter und sein Chef-Reformer Mark Pieth. Am Jahresende trennen sich ihre Wege. Mit welchem Erfolg, darüber streiten die Experten.
(Foto: picture alliance / dpa)
Mark Pieth ist der Chef-Reformer von Fifa-Präsident Joseph Blatter. Der Schweizer Korruptionsexperte und Strafrechtler sitzt der unabhängigen Governance-Kommission (IGC) vor, die beim skandalumwitterten Fußball-Weltverband Fifa aufräumen und für Transparenz sorgen sollte. Ende des Jahres beendet das IGC seine Reformarbeit. Während sich die kanadische Compliance-Fachfrau Alexandra Wrage schon vorher zermürbt von der Blockadehaltung in der Fifa aus dem IGC zurückzog und die erzielten Fortschritte als Stühlerücken auf der Titanic abkanzelte, riskierte Pieth bis zum Schluss seinen Ruf als unabhängiger Korruptionsbekämpfer, um den von Blatters Fifa aufzupolieren. Im Interview mit n-tv.de erklärt er, warum der Fifa-Kongress wie der chinesische Volkskongress ist, wie der Fußball-Weltverband in fünf Jahren aussieht, wie Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner die Reformen behindert hat - und warum sein umstrittener Landsmann Blatter noch lange Präsident bleiben sollte.
Herr Pieth, am Jahresende beendet die unabhängige Governance-Kommission seine Reformarbeit für die Fifa. Würden Sie den Job nochmal annehmen?
Mark Pieth, geboren 1953, ist Professor für Strafrecht an der Universität in Basel. In seiner Karriere beschäftigte er sich u.a. für die Schweizer Regierung und die OECD mit Korruption, Geldwäsche und Organisierter Kriminalität. Seit November 2011 saß er der IGC vor, der unabhängigen Governance-Kommission der Fifa. Sie sollte Vorschläge zur Verbesserung der Führung und der Transparenz in der Fifa erarbeiten. Für ihre Arbeit im IGC wurden die Mitglieder von der Fifa bezahlt. Am Jahresende beendet das IGC seine Arbeit.
Laut einer unabhängigen Studie wurden von insgesamt 33 Reformvorschlägen von Pieth (2011) und vom IGC (2012) bislang 6 implementiert, 7 teilweise umgesetzt und 20 ignoriert. Die Evaluation des US-amerikanischen Governance-Experten Roger Pielke jr. wurde auf der "Play the Game"-Konferenz 2013 im dänischen Aarhus vorgestellt (zum Download).
Es gäbe sicher einfachere Jobs, aber man ma cht ja nicht nur einfache Dinge in seinem Leben.
Sie haben über Ihre Anfangszeit bei der Fifa gesagt, Sie waren naiv. Inwiefern?
Ich bin kein großer Fußballer, weder aktiv noch als Fan. Ich habe die Emotionalität des Ganzen unterschätzt. Wir haben ja schon mehreren großen Konzernen geholfen, die Governance-Probleme hatten, und ich nahm zunächst an, das sei ein ähnlicher Job.
Zwischendurch haben Sie die Fifa immer wieder hart kritisiert und wurden dafür brüsk zurechtgewiesen. Inzwischen scheinen Sie im Gegensatz zur Öffentlichkeit vom Gelingen der Reformen überzeugt. Was genau stimmt Sie jetzt so optimistisch?
Wir dürfen den Stand nicht am Papier messen, das wir produziert haben. Sondern wir müssen schauen: Was hat sich effektiv in der Institution Fifa geändert? Das Entscheidende ist: Wir hinterlassen Institutionen mit unabhängigen Leuten. Man hat zudem für vergangenes Unrecht eine unabhängige Ethik-Kommission mit einer starken Gewaltenteilung geschaffen. Die kann aufgreifen, was sie will. Drittens ist auch wichtig, dass nicht neue Leute mit zweifelhaftem Leumund in die Fifa kommen. Dafür gibt es den Ethik-Check.
Wer macht diesen Check?
Wir wollten den Ethik-Check, der von professionellen Prüfern, wie etwa den Big Four durchgeführt werden sollte, bei der Fifa zentralisieren. Aber die kontinentalen Verbände haben gesagt: Das machen wir selber, wir lassen uns nicht vorschreiben, wen wir schicken dürfen und wen nicht. Der Ausweg ist der: Wenn jemand lügt bei seiner Prüfung, hat er ein Ethikvergehen begangen und kann von der Ethikkommission rausgeworfen werden.
Die neuen Leute werden geprüft. Was ist mit denen, die geblieben sind?
Der Ansatz ist: Gecheckt wird bei der Wahl. Sei es Neuwahl oder Wiederwahl.
Wäre es nicht notwendig, dass alle Fifa-Funktionäre überprüft werden?
Der mächtigste Mann in der Fifa ist Präsident Joseph S. Blatter. Er steht dem Exekutivkomitee vor, das er selbst einberuft. Bei Stimmgleichheit in diesem Gremium entscheidet seine Stimme. Gewählt wird der Präsident vom Fifa-Kongress (dem er selbst vorsitzt) für die Dauer von vier Jahren, eine Amtszeitbegrenzung gibt es nicht. Blatter bekleidet das Präsidentenamt seit 1998. Er allein kann die Ein- oder Absetzung des Generalsekretärs vorschlagen.
Im Exekutivkomitee sitzen neben Blatter noch 23 Vertreter der Konföderationen und Verbände. Es bestimmt über die Mitglieder der Ständigen Kommissionen der Fifa, wo die Entwicklung in den einzelnen Bereichen festgelegt wird (z.B. in der Finanzkommission oder im Dopingkontroll-Ausschuss). Das Exekutivkomitee ratifiziert die Beschlüsse der Kommissionen.
Der Fifa-Kongress findet einmal pro Jahr statt. Jeder Mitgliedsverband der Fifa entsendet einen Delegierten mit einer Stimme - Deutschland genauso wie die Karibik-Insel Montserrat. Der Kongress hält die wichtigen Wahlen ab und entscheidet über die Statuten.
Das werden Sie, sobald sie wiedergewählt werden. Bis dahin muss man vielleicht zwei Jahre mit jemandem leben, den man wegen seiner Vergangenheit nicht da behalten würde. Ein Drittel der Leute im Exekutivkomitee hat man ja schon ausgetauscht.
Was erwarten Sie, wie die Fifa in fünf bis zehn Jahren aussieht?
Ein Drittel des Fifa-Exekutivkomitees ist reformfreudig, und das lässt sich leicht ausbauen. Viele, die gegen die Reformen sind, sind schon sehr alt. Sie werden in den nächsten zwei, drei Jahren vermutlich gehen.
Die Fifa wird jünger. Was noch?
Auf Kongressen sind viele Leute auf mich zugekommen und haben gesagt: Machen Sie weiter. Es gibt die Fifpro, eine Institution von 50.000 Spielern, die haben gesagt: Wir brauchen diese Reform.
Reformen sind kein Wert an sich. Nochmal: Wie optimistisch sind Sie, dass die Fifa in fünf Jahren demokratischer ist, weniger korrupt, transparenter?
Ich glaube, die haben was losgetreten, das sie so leicht nicht stoppen können. Auch ein neuer Präsident würde mit Sicherheit weiter in diesem Reformzug fahren müssen.
Es würde also in der neuen Fifa nicht mehr passieren, dass wie für 2018 und 2022 die beiden Bewerber mit der schlechtesten Bewertung den WM-Zuschlag kriegen?
Richtig. Und wie verhindert man das? Nicht, indem man sagt: Am Ende entscheidet künftig nicht mehr das Exekutivkomitee, sondern der Fifa-Kongress. Der ist wie der chinesische Volkskongress, da wird nichts diskutiert. Wir brauchen eine rein technische Ebene, die nicht politisiert ist.
Sie sind für eine Limitierung der Amtszeiten eingetreten. Joseph Blatter aber ist seit 1998 Präsident und will 2015 wohl wieder antreten. Was spricht gegen einen Neuanfang mit neuem Präsidenten?
Es ist nicht gesagt, dass ein neuer Präsident sofort mit Reformen beginnen würde. Der hat zunächst mal andere Probleme - er will seine Macht etablieren. Meine Befürchtung ist: Ein neuer Präsident ist schwächer, weil er in diesem Patronage-System in den Geldtopf greift und Allianzen bildet, sich Leute gefügig macht. Wir wären wahrscheinlich in zehn Jahren mit dem neuen Präsidenten da, wo wir jetzt sind.
Also ist es besser, wenn Blatter Präsident bleibt?
Das will ich so nicht sagen. Das ist mir relativ unwichtig. Ich denke, Herr Blatter hat, ob wir das mögen oder nicht, etwas Wichtiges losgetreten. Er hat eine Reform eingeleitet. Entscheidend ist, was jetzt noch passiert.
Sie legen bestimmte Maßstäbe an eine gut geführte Organisation an. Zum Beispiel sollten ihre Institutionen unabhängig sein. Sie selber als Governance-Komitee auch. Nun wurde Ihnen aber Michael Garcia als Fifa-Chefermittler vorgesetzt. Warum haben Sie damals nicht hingeschmissen?
Da bestand keine Veranlassung. Natürlich hatte ich meinen Wunschkandidaten, sogar mehrere.
Garcia war nicht darunter.

Luis Moreno Ocampo war von 2003 bis 2012 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Bei der Fifa durfte er nicht aufräumen.
(Foto: REUTERS)
Richtig. Mein Wunschkandidat war Luis Moreno-Ocampo. Wenn er Chefankläger des Internationalen Gerichtshofes sein kann, schafft er es auch bei der Fifa. Der Grund, warum er nicht genommen wurde, war nicht die Fifa oder Julio Grondona [Seit 1979 Chef des argentinischen Fußballverbandes, Mitglied im Fifa-Exekutivkomitee - Anm.d.Red.]. Es war die argentinische Präsidentin, die sich quer gestellt hat.
Aber es geht doch um einen Grundsatz, nämlich: Ist ihre Kommission unabhängig?
Ja. Die anderen beiden unabhängigen Vorsitzenden [gemeint sind Hans-Joachim Eckert als Ethik-Richter und Domenico Scala als Vorsitzender des Compliance-Komitees - Anm.de.Red.] waren unsere Vorschläge.
Wie kann es sein, dass die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner Entscheidungen in der Fifa beeinflusst?
Weil das ein hochpolitisches Gremium ist und wir da ein Transparenzproblem haben. Die Fifa hat einerseits eine ganz große Nähe zur Politik. Andererseits ist sie demokratisch zu wenig legitimiert, und das ist unser Thema.
Ein anderes Thema ist Korruption. Nach der Definition von Transparency International - Missbrauch von anvertrauter Macht zum eigenen Nutzen - war das Handeln von Fifa-Präsident Blatter im ISL-Skandal korrupt. Auch das war kein Grund, hinzuschmeißen?
Nein. Die Definition ist die weitestmögliche in einem sozialwissenschaftlichen Kontext. Daneben gibt es juristische Definitionen. Was ist Bestechlichkeit? Im ISL-Fall wurde keine Untreue bei Blatter festgestellt.
Aber Blatter hat von Schmiergeldzahlungen an Exekutivkomitee-Mitglieder gewusst und sie geduldet. Und seine Fifa hat 2010 gegen Zahlung einer Millionensumme einen sogenannten Korruptionsverdunkelungsvertrag mit den Strafverfolgern geschlossen, damit der Prozess eingestellt wird.
Der frühere Rechtehändler ISMM/ISL hat jahrelang hochrangige Sportfunktionäre bestochen, um lukrative Marketingverträge zu erhalten. Gerichtsfest dokumentiert sind Zahlungen von 142 Mio. Schweizer Franken von 1989 bis zum ISL-Konkurs im Jahr 2001. Die Dunkelziffer wird von Experten weitaus höher angesetzt.
Zu den bekannten Empfängern der Gelder gehörten hochrangige Fifa-Funktionäre, auch Joseph Blatters Vorgänger als Fifa-Präsident, Joao Havelange. Belegt sind unter anderem Zahlungen von 21,9 Mio. Franken an Havelange und Ricardo Teixeira.
Im Juni 2011 schloss die Fifa einen von manchen Juristen als Korruptions-verdunkelungsvertrags bezeichneten Vergleich mit der Staatsanwaltschaft Zug. Gegen Zahlung von 5,5 Mio. Franken blieben die Schmiergeldempfänger geheim. Erst im Juli 2012 wurde die Einstellungsverfügung öffentlich. Aus ihr geht hervor, dass Blatter die Bestechungsvorgänge gekannt und geduldet hat. Dennoch verzichtete die Ethik-Kommission der Fifa auf Sanktionen gegen ihren Präsidenten.
Die Fragestellung ist problematisch. Die Staatsanwaltschaft schaffte es nicht, den Fall vor Gericht zu bringen, deshalb einigte man sich, wie in solchen Fällen üblich, auf einen außergerichtlichen Vergleich. Dabei handelt es sich um einen recht häufig angewandten Vorgang, nicht um einen Verdunklungsvertrag oder Ähnliches. In der Sache kann ich Ihnen nicht weiterhelfen: Ich kenne die Akten nicht, es war nicht unsere Aufgabe. Dafür gab es ein Komitee. Die haben festgestellt, dass er im entscheidenden Moment nicht wusste, was läuft. Aber ich weiß da genauso viel oder wenig wie sie.
Der Untersuchungsbericht von Herrn Eckert war schwach. Er sollte eine ethische Bewertung vornehmen, hat sich aber auf juristische Überlegungen zurückgezogen.
Es heißt zwar Ethikkommission, die haben aber ein Ethikreglement. Da drin wird trotz allem juristisch definiert, was erlaubt und was verboten ist. Es geht nicht darum, gute und schlechte Menschen zu unterteilen, das macht der liebe Gott. Die Ethikkommission muss das Recht anwenden, und da gibt es Tatbestände, so ähnlich wie im Strafgesetzbuch.
Wir versuchen es noch einmal: Blatter hat im ISL-Fall Schmiergeldzahlungen an andere geduldet und den Nutzen davon gehabt, dass er sein Amt behalten hat und später sogar Präsident geworden ist. Ist das ethisches Verhalten?
Das müsste man nachweisen, dass er genau deshalb sein Amt behalten hat. Aus der heutigen Perspektive würden wir sagen: Das ist für Manager kein gutes Verhalten. Aber die Anti-Korruptionsregeln sind relativ jung im internationalen Bereich, und wir können nicht einfach unsere heutigen Kriterien in die Vergangenheit projizieren in eine Zeit, in der andere Regeln gegolten haben. Wir können nicht weiter zurückgehen und von der Fifa Dinge verlangen, die wir von Staaten nicht verlangen. Das haben wir uns abgewöhnt seit der Französischen Revolution.
Haben Sie Verständnis für den öffentlichen Eindruck, Blatter habe die Reform erst notwendig gemacht durch sein Handeln? Und auch für die Zweifel, dass es mit ihm geht?
Das kann ich mir gut vorstellen, das tut aber nichts zur Sache. Gewisse Teile der Reform sind von Blatter isoliert, Stichwort Gewaltenteilung. Die Öffentlichkeit müsste drauf achten, dass sie am richtigen Ort interveniert. Zu sagen, alles war nur ein Trick, hilft gar nicht. Manchmal frisst eine Revolution auch ihre Kinder.
Sie haben nicht das Gefühl, Sie arbeiten, um Sepp Blatters Ruf zu retten?
Wenn das nebenbei dabei rauskommt ... Solange der Ertrag da ist, ist mir das recht. Wenn die Reform ernsthaft betrieben wird, ist mir egal, was die Leute daraus noch machen.
Was ist Blatters Motivation für die Reform?
Er will durch die Vordertür hinausgehen.
Erhobenen Hauptes.
Ist das schlecht, dass wir irgendwann in die Geschichte eingehen wollen? Das würde ich nicht beurteilen. Dass man sich vorher auf ihn eingeschossen hat, wissen wir alle ...
Aber das ist doch nicht die Frage. Sondern: Hat er vorher etwas falsch gemacht?
Wenn irgendwas passiert wäre, dann müsste er damit rechnen, dass seine Feinde in der Fifa das präsentieren würden. Das ist bisher nicht passiert - ein Indiz dafür, dass man es sich zu einfach macht. Aber ich bin nicht sein Verteidiger. Er hat eine Gelegenheit geschaffen, egal aus welchen Motiven. Und die muss man nutzen. Mit dem nächsten Präsidenten bekommen sie erst einmal zehn Jahre nichts auf die Reihe.
Quelle: ntv.de, mit Mark Pieth sprachen Christoph Wolf und Christian Bartlau