"Betrügern einen reingedrückt" Pechstein triumphiert vor Gericht - vorerst
15.01.2015, 10:29 Uhr
Etappensieg vor dem Oberlandesgericht: Claudia Pechstein.
(Foto: REUTERS)
Eisschnellläuferin Claudia Pechstein will beweisen, dass sie nie gedopt hat und Schadenersatz vom Weltverband. Ein ziviles Gericht nimmt die Klage an - eine Entscheidung, die revolutionäre Folgen für alle Sportler haben könnte.
Das Oberlandesgericht in München hat die Schadenersatzklage der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gegen den Weltverband ISU zugelassen. Für die 42 Jahre alte Berlinerin ist das ein Etappensieg im Kampf gegen ihre Dopingsperre und für eine finanzielle Entschädigung. "Dieser Sieg ist mehr wert als alle meine Medaillen", sagte Pechstein. "Das ist ein sehr großer Tag für mich. Nicht nur für mich. Das ist ein Sieg für alle Sportler."
In der Tat könnte die Entscheidung des Gerichts gravierende Folgen für die deutsche und internationale Sportgerichtsbarkeit haben. Denn zum ersten Mal zieht ein deutsches Zivilgericht ein Verfahren an sich, für das eigentlich der Internationale Sportgerichtshof Cas im schweizerischen Lausanne zuständig ist. Will heißen: Es könnte sein, dass Sportler sich künftig in Streitfällen auch an ein ziviles Gericht wenden können und nicht mehr wie bisher einzig und allein der Sportgerichtsbarkeit unterworfen sind.
Richter Rainer Zwirlein wies darauf hin, dass die Neutralität des Cas grundlegend fraglich sei, weil Verbände gegenüber Sportlern bei der Bestellung von Richtern bevorzugt werden. Außerdem widerspreche die Praxis, dass sich Athleten nur vor dem Cas wehren könnten, dem Kartellrecht. Darüber freut sich Pechstein, die bisher mit all ihren Klagen vor eben dieser Sportsgerichtsbarkeit gescheitert war.
"Ich habe nie gedopt"
"Das ist ein Meilenstein. Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin. Es ist eine Genugtuung, aber es ist noch nicht zu Ende. Der Kampf geht weiter", kündigte sie an. Und machte kein Hehl daraus, dass die Entscheidung des OLG auch ein ganz persönlicher Triumph für sie ist. "Den Betrügern von der Isu habe ich einen reingedrückt." Ganz nebenbei geht es auch noch um sehr viel Geld. Die erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin hat den Eisschnelllauf-Weltverband Isu auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 4,4 Millionen Euro verklagt. Sie geht damit gegen die zweijährige Sperre vor, die die Isu gegen sie wegen zu hoher und schwankender Retikulozyten-Blutwerte verhängt hatte. Der Cas war am 25. November 2009 dem Urteil des Weltverbandes gefolgt, hatte die schwankenden Werte als indirekten Dopingbeweis anerkannt und die Sperre bestätigt. Pechstein will beweisen, dass diese Werte auf eine vererbte Anomalie zurückzuführen sind - und nicht auf Doping.
Von Beginn an hatte sie stets ihre Unschuld beteuert. Und tat das auch heute wieder. "Ich habe nie gedopt. Von mir wird es nie eine positive Probe geben." Aber wie geht's nun weiter? Das OLG München erkennt also die Entscheidung des Cas zur ihrer Sperre nicht an. Doch der Eisschnelllauf-Weltverband will als unterlegene Partei nun vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe in Revision gehen. Das bestätigte Isu-Anwalt Christian Keidel.
Der Bundesgerichtshof wird dann abermals darüber entscheiden, ob die Klage angenommen wird. Wenn ja, wird das Hauptverfahren an das Oberlandesgericht zurückverwiesen und der Fall neu aufgerollt. Sollte der BGH dem Urteil des OLG folgen, würden Sportler tatsächlich künftig ein Wahlrecht zwischen Sportgerichtsbarkeit und ordentlichen Gerichten erhalten. Erst nach dem BGH-Urteil wird vor dem Oberlandesgericht über die finanziellen Forderungen der Athletin verhandelt. Dann könnte Pechstein am Ende auch Schmerzensgeld erhalten. Erst einmal aber genießt sie ihren Sieg. Oder wie es ihr Anwalt Thomas Summerer formulierte: In München wurde heute Sportgeschichte geschrieben. Wir haben einen fulminanten Sieg gelandet." Und: "Das ist eine epochale Entscheidung: Noch nie hat sich ein ordentliches Gericht auf diese Weise mit einem Dopingfall beschäftigt. Das Urteil eröffnet jetzt alle Möglichkeiten, auch die Frage, ob Claudia gedopt hat oder nicht, völlig neu aufzurollen."
Quelle: ntv.de, mit dpa und sid