
Gunther Steiner
(Foto: picture alliance / Federico Basile)
Nach zehn Jahren endet die Ära Günther Steiner bei Haas. Der US-amerikanische Formel-1-Rennstall setzt seinen populären Teamchef vor die Tür. Das wirft Fragen auf: zu den Gründen der Trennung, zur Zukunft von Haas, zu einem möglichen Mega-Deal.
Die Formel 1 verliert einen ihrer Superstars. Das wirft gleich mehrere große Fragen auf. Denn Günther Steiner, der charismatische und streitbare Italiener, wurde zwar "technisch gesehen" nicht von Haas entlassen. So schreibt die britische BBC, Steiners Vertrag beim US-Rennstall sei schlicht nicht erneuert worden. Trotzdem kommt die Trennung nach zehn Jahren einem Rauswurf gleich. Zumal sie erst jetzt stattfindet: Sechseinhalb Wochen nach dem letzten Rennen 2023, sieben Wochen vor dem Saisonauftakt 2024.
Steiner hatte Haas ab 2014 federführend auf den Formel-1-Einstieg vorbereitet und war somit schon vor dem Debüt beim Großen Preis von Australien 2016 die zentrale Figur in den Plänen von Gründer und Eigentümer Gene Haas. Der neue Teamchef Ayao Komatsu, bislang leitender Renningenieur, hat nun den "Auftrag, das Potenzial des Teams durch die Förderung der Mitarbeiter sowie strukturelle Prozesse und Effizienz zu maximieren". Was Steiner offenkundig nicht mehr zugetraut wurde.
Der 58-Jährige kommt in der Teammitteilung selbst nicht zu Wort, was angesichts seiner Verdienste mindestens kurios erscheint - und auf ungelöste, womöglich eskalierte Konflikte hinweist. "In jüngerer Vergangenheit wuchsen innerhalb des Teams die Spannungen", berichtet ESPN, im Kern ging es dabei um "Ressourcen und Investment - beziehungsweise deren Mangel". Was zur wohl größten Frage führt, auf die in erster Linie Teameigentümer Gene Haas eine Antwort finden muss: Wo will Haas hin?
Die F1-Konkurrenz investiert fleißig - was macht Haas?
"Wir hatten einige Erfolge, aber wir müssen beständig Ergebnisse liefern", schreibt der Rennstall, der zwei der vergangenen drei Saisons auf dem zehnten und letzten Platz der Konstrukteurswertung beendet hat. Dabei wird als Ziel formuliert, "in der Formel 1 richtig mitzuhalten." Dafür aber braucht es massive Investitionen in die Infrastruktur, wie diverse andere Rennställe aktuell beweisen.
Weltmeister Red Bull Racing baut in Kürze einen neuen Windtunnel, der von McLaren ist schon fertig, Audi macht Sauber ab 2026 zum Werksteam. Aston Martin hat sein Hauptquartier neu gebaut und Honda als schlagkräftigen zukünftigen Partner gewonnen, Williams macht seit der Übernahme durch einen Investor deutliche Fortschritte, Alpine hat mit dem Einstieg einer Investorengruppe über 200 Millionen US-Dollar frisches Kapital eingenommen.
Haas indes trennt sich mit Steiner von dem Mann, der laut ESPN "der größte Fürsprecher steigender Investitionen und neuer Einrichtungen" gewesen sei: "Ein großer Teil des Equipments, mit dem Haas zu denen Rennen reist, ist älter als das, was die Konkurrenz ist." Die Fabrik in der Nähe der Grand-Prix-Strecke von Silverstone benötige "dringend ein Upgrade" ebenso wie die portablen Räumlichkeiten, die jeweils im Fahrerlager für Besprechungen und zum Empfang von Gästen und (potenziellen) Sponsoren genutzt werden.
"Wir müssen unsere Ressourcen effizient einsetzen", wird Gene Haas in der Teammitteilung zitiert, und dabei "unsere Fähigkeiten in den Bereichen Design und Konstruktion verbessern". Vor allem die Saison 2023 war in dieser Hinsicht eine Enttäuschung, weil Haas im Gegensatz zu den anderen Teams im Jahresverlauf kaum Fortschritte zu machen schien.
Besonders deutlich wurde dies an Nico Hülkenberg, dem aktuell einzigen deutschen Stammfahrer in der Formel 1, der sogar freiwillig auf das vermeintliche Upgrade verzichtete - weil er mit der Vorgängerversion schlicht schneller unterwegs war. Für den 36-Jährigen habe der Wechsel übrigens keine Auswirkungen, sagt ntv-F1-Reporter Felix Görner: "Hülkenberg kann gut mit Komatsu." Die Fahrerpaarung gehört aber ohnehin nicht zu den Problemen, die Haas plagen."
"Nicht Günthers Schuld, aber ..."
"Eines der wiederkehrenden Probleme bei Haas, das sie beinahe von Anfang an beschäftigt, ist das fehlende Verständnis für die Pirelli-Reifen", schreibt die BBC. In der Tat sind die Haas-Boliden auf einer schnellen Runde bisweilen gut genug für die Top 10, im Rennen aber geht es dann zumeist rückwärts - und das auch recht zügig. Nico Hülkenberg etwa verlor im Saisonverlauf mehr Positionen als jeder andere Fahrer im Feld. Weil er zum einen starke Qualis zeigte und zum anderen über die Renndistanz zu oft nicht konkurrenzfähig war.
"Ich will nicht sagen, dass es Günthers Schuld ist oder so etwas, aber es scheint, als wäre es an der Zeit, etwas zu ändern und eine andere Richtung einzuschlagen", legt Gene Haas seine Unzufriedenheit mit Steiner auf der offiziellen F1-Webseite trotzdem unmissverständlich dar, "weil es nicht so aussieht, als würde es wirklich funktionieren, mit dem weiterzumachen, was wir hatten." In der Tat schien Haas zuletzt bestenfalls zu stagnieren: von 2022 zu 2023 halbierte sich die Zahl der Punkteplatzierungen von 12 auf 6, die Punkteausbeute schrumpfte von 37 auf 12 zusammen.
"Beide Seiten, sowohl Gene Haas als auch Günther Steiner, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es besser ist, sich jetzt zu trennen und einen Neuanfang zu machen", schätzt Görner die Situation ein. Görner erkennt diesen Neuanfang auch in der Berufung von Komatsu als neuem Teamchef. "Man hat das bei Andrea Stella auch bei McLaren gesehen, bei Williams mit James Vowles: Technisch sehr versierte Leute kommen jetzt auch in die allererste Reihe. Das sehen wir jetzt auch bei Haas."
Die Zäsur könnte allerdings auch der Anfang vom Ende des Haas-Rennstalls sein. Dann nämlich, wenn auch die Neuausrichtung nicht den Erfolg bringt, den sich Boss Gene Haas verspricht. Vor allem dann, wenn die Formel 1 tatsächlich die Bemühungen von Michael Andretti und Cadillac zurückweist, als elftes Team in die inzwischen auch finanziell sehr attraktive Rennserie einzusteigen. Durch die 2021 eingeführte Kostenobergrenze sind die Ausgaben kalkulierbar, während die Einnahmen in jüngerer Vergangenheit deutlich stiegen und zahlreiche Rennwochenenden neue Zuschauerrekorde vermeldeten.
Lauda holte Steiner einst zu Jaguar
"Es ist nicht verrückt, sich vorzustellen, dass ein Interessent eine hohe Summe zahlen würde, um den Platz von Haas einzunehmen", heißt es bei ESPN mit der Einschränkung, dass Haas eben auch bereit sein müsste, zu verkaufen. Das "Forbes"-Magazin bewertete alle zehn Formel-1-Teams, Ferrari und Mercedes wurden darin auf 3,9 bzw. 3,8 Milliarden US-Dollar geschätzt, während mit Alfa Romeo (jetzt Stake, ab 2026 Audi), Haas und Williams nur drei Rennställe unterhalb einer Milliarde blieben. Der Preis für eine Haas-Übernahme dürfte laut "Forbes" bei rund 780 Millionen US-Dollar liegen.
Ein Platz in der Formel 1 ist damit so wertvoll wie nie zuvor, und dazu hat auch Steiner maßgeblich beigetragen. Denn neben den bekannten Motorsport-Enthusiasten hat die Motorsport-Königsklasse mit der Netflix-Serie "Drive to Survive" eine ganz neue Zielgruppe für sich erschlossen. Einer der Stars des Formats ist Günther Steiner, dessen Schimpftiraden längst Kultstatus genießen. "Wir haben diese Wirkung von Günther gesehen, als wir uns das erste Mal trafen und wir zum Abendessen ausgingen", erzählte beispielhaft Alex Holmes, Boss von Haas-Titelsponsor Moneygram: "Die Leute kamen mitten beim Essen an den Tisch und wollten ein Foto mit ihm machen."
Wie es bei dem Südtiroler, den Anfang der 2000er einst Niki Lauda zum damaligen Jaguar und heutigen Red-Bull-Team erstmals in die Formel 1 geholt hatte, nun weitergeht, ist völlig offen. Eine baldige Neuanstellung als Teamboss ist unwahrscheinlich, eine Beraterrolle möglich und mit deutlich weniger Alltagsstress verbunden. Vielleicht schreibt Steiner auch eine Fortsetzung seines Bestsellers "Surviving to Drive". Oder er steigt als Experte in die Berichterstattung rund um die Formel 1 ein. Da könnte er dann womöglich in gewohnt blumigen Worten kommentieren, ob sich sein Abgang für Haas bezahlt macht.
Quelle: ntv.de