F1-Lehren zur Sommerpause Titel-Thriller, Rüpeleien, Teamorder-Idiotie
31.07.2017, 13:23 Uhr
Per "Bodyguard" baute Sebastian Vettel seine WM-Führung auf 14 Punkte vor Lewis Hamilton aus.
(Foto: imago/Eibner)
Als WM-Spitzenreiter rettet sich Sebastian Vettel in die Sommerpause, weil Ferrari Teamgeist völlig anders definiert als Rivale Mercedes. Aber: Die Formel 1 begeistert wieder, sie fasziniert, rüpelt und schmerzt - bisweilen unter der Gürtellinie.
1. Ferrari steigert sich zur Titelreife
Die Tifosi haben wieder Hoffnung. Nach einem Kraftakt über den Winter sind Ferrari und Sebastian Vettel sieg- und vielleicht sogar titelfähig. "Man darf nicht vergessen, wo wir vor zwölf Monaten waren. Das Team, das sich dieses Jahr am meisten gesteigert hat, sind wir", findet Vettel. Sein Wutrempler in Baku gegen Lewis Hamilton zeigt aber auch, wie groß der Druck bei der Scuderia ist, die zuletzt in ein kleines Leistungsloch gerast war. Nach drei Siegen in den ersten sechs Rennen blieb Vettel vor Ungarn zwei Monate ohne Sieg, für die Hitzeschlacht auf dem Hungaroring befahl Ferrari-Boss Sergio Marchionne daher die Trendwende. Nach dem Reifenplatzer-Debakel von Silverstone sollte die Scuderia auf dem Hungaroring zurückschlagen, zumal die Strecke den roten Renner klar bevorteilt. Vettel und Kimi Räikkönen bestanden den Stresstest bravourös, zum zweiten Mal nach Monaco fuhr das Duo trotz Vettels Lenk-Handicap einen Doppelerfolg ein. "Das gibt uns Extra-Anschub für die Pause", frohlockte Vettel, "danach geht es mit Volldampf weiter."
2. Teamgeist ist nicht gleich Teamgeist
"So richtig glücklich bin ich nicht", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff hinterher. Der Fluch der guten Tat bereitete dem Mercedes-Boss hartnäckige Bauchschmerzen. Während Sebastian Vettel seine WM-Führung ausbaute, war Silberpfeil-Pilot Lewis Hamilton höchstens Sieger der Herzen - denn im Sinne des Fair Play und zugunsten seines Teamkollegen hatte er auf drei wichtige WM-Punkte verzichtet. "Diese sportliche Fairness hat uns zuletzt drei Weltmeisterschaften gebracht", betonte Wolff zwar. Mit Blick auf den Titelkampf in dieser Saison könnte es aber folgenschwere Fairness sein, denn eines wird immer deutlicher: Silber und Rot definieren den Begriff "Team" in diesem Jahr völlig unterschiedlich. Während Mercedes den Hausfrieden wahrte, setzte Ferrari in Ungarn mal wieder alles auf die Karte Vettel. Statt den schnelleren Kimi Räikkönen am gehandicapten Vettel vorbeiziehen zu lassen, musste der Finne seinem Teamkollegen als "Bodyguard" den Sieg retten. Während die italienische Presse das "Dreamteam Ferrari" feierte, litt die englische "Sun" mit Hamilton: "Hamilton ist nun zu Recht besorgt, dass ihn sein Sportsgeist den vierten WM-Titel kosten könnte."
3. Die Formel 1 verrüpelt immer mehr
Sportlich ist es bisher nicht das Jahr von Supertalent Max Verstappen, für Schlagzeilen sorgt er trotzdem: als begnadeter Formel-1-Rüpel. Nach fünf Ausfällen in zehn Rennen rammte der Niederländer in Ungarn seinen Red-Bull-Kollegen Daniel Ricciardo von der Strecke. "Amateurhaft", schimpfte der Australier, auch das Wort "Fuck!" entfuhr ihm. Immerhin: Anders als bei seinen Duell mit Intimfeind Sebastian Vettel zeigte sich der 19-jährige Verstappen einsichtig und gelobte, sich zu entschuldigen und versprach: "Ich spreche unter vier Augen mit Daniel und wir legen die Sache bei." Ob das auch bei Renault-Pilot Nico Hülkenberg und Kevin Magnussen (Haas) klappt? Der Däne bremste Hülkenberg in Ungarn regelwidrig aus, der explodierte später vor den TV-Mikrofonen. "Das kriegt er zurück", drohte Hülkenberg, ehe er Magnussen in der Interviewzone vor laufender Kamera wissen ließ: "Wieder einmal warst du der unsportlichste Fahrer des Tages." Antwort Magnussens laut "Bild"-Zeitung: "Leck meine Eier, Schätzchen."
4. Alonso kanns noch - als Entertainer

Fernando Alonso bleibt eine Formel-1-Klasse für sich, aber aus den falschen Gründen.
(Foto: imago/HochZwei)
Seinen 36. Geburtstag feierte Fernando Alonso nicht nur nachträglich mit Platz sechs und der schnellsten Rennrunde, sondern auch mit viel Humor. Schon bei der Party am Samstag hatte der Spanier im McLaren-Motorhome die Gäste unterhalten. Am Sonntag posierte er dann immer wieder auf einem riesigen Bild, das auf den Asphalt der Boxengasse gepinselt war und ihn selbst im Liegestuhl zeigte. "Lasst uns mit einem Lächeln auf dem Gesicht in die Sommerpause gehen", sagte Entertainer Alonso. Eine bemerkenswerte Einstellung, denn der Altmeister ist auch im dritten Jahr bei McLaren chancenlos - weil der Honda-Motor entweder kaputt oder zu schwach ist. Trösten wollte sich Alsonso mit einem Ausflug zu den 500 Meilen von Indianapolis. Der brachte dem Spanier viel Aufmerksamkeit, aber auch die nächste Enttäuschung: Sein Honda-Motor ging in Rauch auf.
5. Ein Heiligenschein ist kein Allheilmittel
Nicht die Cockpitscheibe "The Shield", sondern ein "Heiligenschein" soll die Piloten bald noch besser schützen. "Halo" wird der ringförmige Bügel über dem Cockpit genannt, der ab 2018 Pflicht ist. Doch der Beschluss des Weltverbands spaltet das Fahrerlager. Eine Reihe von Piloten und Experten wie Niki Lauda fürchten, dass "Halo" den Autos ihren Charakter raubt und Fans vergrault. "Sicherheit geht immer vor", sagt dagegen die andere Seite. Die kakophone Debatte ist ein Rückfall in alte Reflexe - der für die Außenwirkung der Königsklasse wohl kaum förderlich ist und die jüngsten Image-Erfolge konterkariert. Denn ...
6. Ohne Bernie geht's zurück in die Zukunft
... Bernie Ecclestone ist zwar weg, vermisst wird er aber nicht. Mit den neuen Bossen ist vielmehr viel frischer Wind in die Formel 1 gekommen. Modernere Vermarktung, mehr Interaktion mit den Fans, professionellere Führungsstrukturen. Jüngst feierte sich die Rennserie als Sportmarke mit dem größten Wachstum in den sozialen Netzwerken. Weil auch der hochspannende Titelkampf und absurde Rennspektakel wie zuletzt beim Chaos-GP in Baku wieder mehr Zuschauer vor den Fernseher locken, haben Ecclestones Erben ihre ersten Etappenziele erreicht.
Quelle: ntv.de, cwo/dpa/sid