"Hi, ha, ho, Spanien ist k.o.!" Als Rudi Völler das "spanische Flaggschiff" versenkte
04.07.2024, 20:08 Uhr
Es war der Abend des Rudi Völler.
Vor 36 Jahren gewinnt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zuletzt ein Spiel bei einem großen Turnier gegen die Spanier. Damals sorgte ausgerechnet der heutige DFB-Sportdirektor Rudi Völler für die beiden Tore gegen die "La Furia Roja". Doch "Rudi Nazionale" hätte eigentlich gar nicht spielen sollen.
"Völler war der Henker unserer letzten Hoffnung!" Gewohnt martialisch verarbeitete die spanische Sport-Presse die Niederlage ihrer Nationalmannschaft im entscheidenden Gruppenspiel bei der Europameisterschaft 1988 in München. Was damals im Angesicht solcher Schlagzeilen ("Völler versenkte mit zwei Knallern das spanische Flaggschiff", "Sport") allerdings niemand in der großen weiten Fußballwelt ahnen konnte: Es sollte die letzte Niederlage der Spanier bei einem Turnier gegen die Deutschen sein. Nunmehr 36 Jahre wartet die DFB-Elf auf ein neues Erfolgserlebnis bei einer EM oder WM gegen die "La Furia Roja".
Das Spiel des 17. Juni 1988 war der Abend des Rudi Völler. Die Medien feierten seine zwei Tore gegen die Spanier als "Wiederauferstehung" - denn es lag ein Jahr voller Ladehemmungen hinter dem "gebeutelten Torjäger" ("Kicker"). Und obwohl die Fans ihren Liebling wie gewohnt von Beginn des Turniers an nach vorne peitschten, war dem Spieler des AS Rom auch in der ersten Partie gegen Italien nur wenig gelungen. Gegen die Dänen bereitete Völler dann zwar den ersten Treffer vor, doch ihm selbst gelang kein Tor. Die Kritik im Umfeld der Nationalmannschaft am beliebten Torjäger, aber auch an Trainer Franz Beckenbauer wurde immer lauter. Doch der "Kaiser" hielt an seinem Stürmer fest - und sollte schlussendlich belohnt werden.
"Ich habe volles Risiko gespielt"
Schon vor der Partie gegen die Spanier hatten die Fans ihren glücklosen Liebling mit den typischen, langgezogenen "Ruuudi, Ruuuuudi"-Rufen gefeiert und angefeuert. Und das war alles andere als eine Selbstverständlichkeit, denn die Partie gegen die Männer von der iberischen Halbinsel fand in München statt. Doch die Zuneigung zu "Tante Käthe" war auch damals schon grenzenlos in Deutschland. Und so jubelte das ganze Stadion frenetisch, als Völler in der 30. Minute endlich wieder ein Treffer im Trikot der DFB-Elf gelang. Schließlich waren die zuvor 647 Minuten ohne Torerfolg in der Nationalmannschaft dem blondgelockten Stürmer wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen. Und so skandierten die glücklichen Fans im Münchener Olympiastadion in den letzten Minuten der Partie: "Hi, ha, ho, Spanien ist k.o."
Hinterher, nachdem Völler in der 51. Minute auch noch einen zweiten Treffer zum späteren Endstand von 2:0 erzielt hatte, war Teamchef Franz Beckenbauer - der so lange seine Hand schützend über den unglücklichen Torjäger gehalten hatte - erleichtert: "Ich habe es immer gesagt: Wir müssen dem Rudi Zeit geben!" Gebetsmühlenartig hatte der "Kaiser" jede Kritik - besonders "Bild"-Kolumnist Paul Breitner hatte sich an der Personalie Völler damals festgebissen - an seinem Stürmer abgewehrt und auf Nachfragen immer wieder nur geantwortet: "Wenn Rudi spielen will, dann spielt er." Dass das alles allerdings auch an Franz Beckenbauer selbst nicht spurlos vorbeigegangen war, erzählte er nach den zwei befreienden Toren von Völler: "Ich habe volles Risiko gespielt. Aber ich wusste, Rudi kann seine Fitness nur durch Spielpraxis bekommen."
Als das gegen Spanien endlich Früchte getragen hatte, berichtete auch Völler nachts um halb drei beim Pils an der Bar davon, dass ihm nach der Partie gegen die La Furia Roja "ein Stein vom Herzen gefallen sei". Es hatte nur ein Spiel und zwei Tore gebraucht, bis aus dem Unglücksraben "Rudi ratlos" endlich wieder für alle "Rudi Nazionale" geworden war. Und auch die Presse freute sich mit Völler und schrieb: "Vom Sorgenkind zum Strahlemann".
Lothar Matthäus "war Weltklasse"
Und noch ein Mann konnte damals gegen die Spanier überzeugen. Der heutige TV-Experte Lothar Matthäus hatte seinem früheren Trainer Udo Lattek immens imponiert: "Es war der Tag von Lothar Matthäus, der noch nie in einem Länderspiel so großartig gespielt hat. Seine Vorbereitung zum 2:0 war einfach Weltklasse!" Doch Lattek vergaß in diesen Jubelstunden nach der Qualifikation für das Halbfinale gegen die Niederlande ("Gegen Spanien waren die Deutschen großartig", Ruud Gullit) auch nicht einen Mann lobend zu erwähnen, der nicht auf dem Spielfeld, aber direkt am grünen Rasen gestanden hatte: "Gratulation für Franz Beckenbauer, der trotz aller Kritik an Rudi Völler festgehalten hat. Die zwei Tore waren der Dank."
Und der Gelobte selbst? Was sagte der "Kaiser" nach der vorher kaum für möglich gehaltenen Leistung der deutschen Nationalmannschaft mit 5:1 Punkten und Toren in der Vorrunde? Franz Beckenbauer lächelte und meinte zufrieden: "Wenn uns das vor ein paar Wochen jemand angeboten hätte, hätten wir gar nicht erst gespielt, sondern sofort akzeptiert und gesagt: Herzlichen Dank!"
Die Fußballwelt war damals nach dem Sieg gegen Spanien in Deutschland rosarot. Die Fans jubelten, die Mannschaft hoffte und ein ganzes Land war im EM-Fieber. Doch niemand ahnte in diesen Stunden und Tagen, dass dies der letzte Triumph über Spanien seit nunmehr über 36 Jahren gewesen sein sollte. Es ist Zeit für etwas Neues. Und wie damals Franz Beckenbauer seinem Stürmer Rudi Völler vertraute, so vertrauen die deutschen Anhänger nun ihrem Trainer Julian Nagelsmann, dass er für die Partie gegen die "La Furia Roja" die richtigen Entscheidungen trifft.
Quelle: ntv.de