Für den toten Vorgänger Coleman schreibt Fußball-Geschichte
11.06.2016, 10:19 Uhr
Chris Coleman hat Wales zur ersten EM-Endrunde überhaupt geführt.
(Foto: REUTERS)
Sein Freund und Vorgänger war tot, sein Pflichtspieldebüt als Teammanager von Wales vor knapp vier Jahren gerät zum Desaster. Chris Coleman akzeptiert den Schmerz - und schreibt Fußball-Geschichte.
Am 11. September 2012 stand Chris Coleman ganz dicht davor, aufzugeben. Er war seit einem Jahr walisischer Nationaltrainer, er hatte gerade 1:6 gegen Serbien verloren, es war seine fünfte Niederlage im fünften Spiel. Die Aufgabe schien ihn zu überfordern.
Auch den "schlimmsten, schlimmsten, schlimmsten Tag" seines Lebens hatte er noch lange nicht verkraftet: den Tag, an dem sein Jugendfreund Gary Speed Selbstmord beging. Er sei sich "sicher" gewesen, es nicht zu schaffen, berichtet Chris Coleman. Die Mannschaft, so sein Gedanke, würde das Trauma vom Tod des allseits beliebten Nationaltrainers Speed nicht ablegen können. Und: Wie sollte er es erst abschütteln? Seit seinem zehnten Lebensjahr war Gary Speed sein Freund gewesen.
Doch in jener Nacht in Serbien, der "sportlich schlimmsten, die ich je erlebt habe", überzeugte sein Assistent Osian Roberts Coleman zum Weitermachen. "Ich habe zu 'Cookie' gesagt: Wenn wir irgendwann zurückblicken, wird dies hier das Beste sein, was uns passiert ist", sagt Roberts, der schon unter Speed Co-Trainer gewesen war: "Mir war damals klar: Ein solches Desaster war genau das, was wir brauchten. Wir waren am Ende, am Nullpunkt. Wir konnten endlich neu anfangen und alles hinter uns lassen."
Furore für Speed
Coleman machte weiter, es entwickelte sich eine Jetzt-erst-recht-Stimmung. Er wollte im Sinne von Gary Speed das Unmögliche schaffen: Wales zur EM 2016 führen. Dafür hatte Speed die Grundlage gelegt, in nur einem Jahr waren die Welsh Dragons in der Weltrangliste von Platz 117 auf Rang 45 geklettert. Heute stehen sie auf Platz 26. Weil Coleman es geschafft hat: Wales ist erstmals für eine EM qualifiziert, für sein erstes großes Turnier seit 58 Jahren.
Wenn die Waliser am Samstag (18 Uhr/n-tv.de Liveticker) im Debütanten-Duell gegen die Slowakei das erste EM-Spiel ihrer Geschichte bestreiten, wird Gary Speed irgendwie dabei sein. "Er ist immer in meinen Gedanken, nicht nur bei dieser EM", sagt Coleman: "Er war ein besonderer Mensch. Jemand, an den ich sehr oft denke und der mir immer fehlen wird." Es sei "schade, dass er nicht dabei sein kann, denn er hätte es verdient, diese EM zu erleben. Und ich bin sicher, dass er die Qualifikation auch geschafft hätte. Und ich bin sicher, dass er bei uns ist, stolz ist und sich freut."
Auch für Gary Speed wollen die Waliser bei der EM für Furore sorgen. Sie haben schließlich etwas geschafft, was Mannschaften der Superstars wie Ian Rush oder Ryan Giggs nicht geschafft haben. Aber nun haben sie ja Gareth Bale, den teuersten Fußballer der Welt. "Um weit zu kommen, brauchst du Spieler, die den Unterschied ausmachen. Gareth ist einer der besten Spieler der Welt - und er spielt für uns. Das ist etwas Besonderes", sagt Coleman. Auch deshalb glaubt er, dass sein Team in der schweren Gruppe mit England und Russland nicht chancenlos sein wird. "Ich kann es kaum erwarten, dass es losgeht", betont er: "Es ist eine Riesen-Herausforderung, aber wir freuen uns darauf."
Quelle: ntv.de, Holger Schmidt und Nikolas Schmitz, sid