
Renard ist die Anführerin der Französinnen.
(Foto: IMAGO/PA Images)
Im Halbfinale der Fußball-EM muss das DFB-Team gegen Frankreich bestehen. Und damit vor allem gegen eine: Wendie Renard. Die Kapitänin ist mehr als nur Innenverteidigerin. Mit 1,87 Meter Körpergröße besticht sie bei Standards und als Anführerin. Doch einen Makel gibt es.
15 Liga-Titel, neun Pokalsiege, achtmal den Europapokal gewonnen: Wendie Renard ist eine der größten Stars, die der europäische Fußball zu bieten hat. Und das nicht nur aufgrund ihrer beeindruckenden Körpergröße von 1,87 Meter, mit der sie jede andere Spielerin bei dieser Europameisterschaft in England überragt. Der Französin fehlt nur noch eins, noch nie war sie so dicht dran: ein Titel mit dem Nationalteam. Immer Mitfavoritinnen, konnten die Französinnen noch nie in ein Finale einziehen.
Vor drei Jahren wäre der Traum von Renard fast für immer gestorben. Nach der Weltmeisterschaft im eigenen Land, wo das Team schon im Viertelfinale gegen die späteren Weltmeisterinnen aus den USA ausschied, verkrachte sie sich mit Trainerin Corinne Diacre, die das Team 2017 übernommen hatte. Die Trainerin, die 2014 für viel Aufsehen gesorgt hatte, weil sie mit Clermont Foot ein Zweiliga-Team bei den Männern übernommen hatte, gilt als überaus schwierig. Das Verhältnis zu den Spielerinnen ist, gelinde gesagt, nicht ideal. Sturheit und Autorität wird ihr nachgesagt. Im Fall Renards organisierte Verbandspräsident Noel de Graet eine Aussprache, die Verteidigerin von Olympique Lyon erhielt ihr Amt als Kapitänin zurück und hat nun doch noch die Chance auf den ersehnten Titel.
Sie ist eine der wenigen einer älteren, mit Talent gesegneten Generation, die die Chance noch hat. 2011 bestritt sie bereits ihr erstes Länderspiel für die A-Nationalmannschaft, hat viele Spielerinnen kommen und gehen sehen. Torhüterin Sarah Bouhaddi hatte ihre Nationalteamkarriere nach der WM 2019 beendet, weil die Stimmung "sehr, sehr negativ" war. Die Stars Amandine Henry und Eugénie Le Sommer wurden von Diacre nicht mehr berücksichtigt. "Sehe ich das Vertrauensverhältnis zwischen Trainerin und Mannschaft zerrüttet? Leider ja", hatte Henry 2019 gesagt. Und Bouhaddi sagte noch vor der EM: "Ich könnte meine Hände darauf verwetten, dass Frankreich die EM nicht gewinnen wird, solange Diacre das Sagen hat."
Verschossener Elfmeter nagt an Renard
Womöglich beweist das Nationalteam um Renard ihr nun das Gegenteil. Dafür müssen die Französinnen im Halbfinale das DFB-Team besiegen (Mittwoch, 21 Uhr im ZDF und ntv.de-Liveticker). Und die Deutschen müssen dieses vor allem mit Spielerinnen von Olympique Lyon und Paris St. Germain besetzte Team im Griff haben, inklusive Renard. Sie ist nicht nur eine Top-Innenverteidigerin mit viel Übersicht, die den Spitznamen "Kontrollturm" hat. Sie hat auch eine unglaubliche Ruhe am Ball und dazu viel Geschwindigkeit.
Vor allem aber ist sie auch bei Standardsituationen äußerst gefährlich. "Es stimmt, dass ich gerne im gegnerischen Strafraum herumstreune - ich heiße nicht umsonst Renard (Deutsch: Fuchs, Anm. d. Red.)", sagte sie einst. Mit ihrer Größe ist die gerade 32 Jahre alt gewordene Spielerin extrem kopfballstark und schwer zu verteidigen. Die Lufthoheit gehört meist Renard.
Das weiß auch das deutsche Team. "Wir haben uns natürlich drauf eingestellt", sagte Co-Trainerin Britta Carlson. "Ob man immer alles verteidigen kann, weiß ich nicht, wir wollen so wenige Standards zulassen wie es geht." Dazu zählen auch Elfmeter, für die Renard ebenfalls zuständig ist. Und bei diesem Turnier bislang ihren wohl einzigen schwerwiegenden Fehler machte. Im dritten Gruppenspiel gegen Belgien - der Einzug ins Viertelfinale stand längst fest - hatte die Kapitänin beim Stand von 2:1 die große Chance, alles endgültig klarzumachen. Doch Belgiens Torhüterin Nicky Evrard parierte den Ball nicht nur, sondern Renard vergab obendrein ihre Nachschussmöglichkeit. Mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen lag sie anschließend auf dem Rasen und ärgerte sich über sich selbst.
Ein Fehler ist eine Seltenheit bei der 32-Jährigen, sie ist absolute Anführerin ihres jungen Teams. Normalerweise gehört es zu Renards absoluten Spezialitäten, sich durchzusetzen. In 135 Länderspielen hat sie als Innenverteidigerin bereits 33 Tore erzielt. Die Erfahrung zeichnet sie aus, es ist ihre dritte Europameisterschaft, sie war auch schon bei drei Weltmeisterschaften und zwei Olympischen Spielen dabei. Und es ist auch ihr Weg zum Profifußball, der ihr Durchsetzungsvermögen beweist.
"Vorbild in der Mannschaft"
Geboren wurde Renard im Jahr 1990 auf der französischen Übersee-Departement-Insel Martinique, gelegen im Atlantik zwischen Puerto Rico und Venezuela. Sie war die jüngste von vier Töchtern, lernte am Strand mit den Jungs kicken. Ihr Vater starb an Lungenkrebs als sie gerade einmal acht Jahre alt war, ein heftiger Einschnitt. Sie habe sich mit Fußball abgelenkt, sagte sie mal. Als sie in der Schule gefragt wurde, was sie beruflich machen wolle, habe sie Profifußballerin und Flugbegleiterin aufgezählt. Ihre Lehrerin erklärte ihr daraufhin: "Diesen Beruf gibt es nicht." Doch Renard ließ sich nicht abbringen. "Eines Tages wirst du mich in diesem Trikot im Fernsehen sehen", habe sie ihrer Mutter mal gesagt, als sie ein Spiel der französischen Frauen im Fernsehen sah.
Mit 14 Jahren machte sich Renard auf die Reise, ihren Traum zu leben - auf dem französischen Festland. Sie hatte eine Einladung zu einem Probetraining in Frankreichs Fußball-Eliteschule in Clairefontaine erhalten, allein das schon eine Adelung. Genommen wurde sie nicht, doch wenig später meldete sich Olympique Lyon bei der Frau, die mehr als 8000 Kilometer gereist war. 2006 erhielt sie ihren ersten Vertrag bei Lyon. "Es war Schicksal", sagte sie einmal über ihr Engagement dort.
Den Klub hat sie seitdem nicht mehr verlassen - und es gibt auch gar keinen Grund für sie. Sie ist Kapitänin in einem der besten Vereine der Welt, sie hat im April als erste Fußballerin der Welt die Marke von 100 internationalen Klubspielen übertroffen, sie hat auch in diesem Jahr die französische Meisterschaft und die Champions League gewonnen.
"Sie ist absolute Führungsspielerin und ein Vorbild in der Mannschaft", sagte Deutschlands Mittelfeldspielerin Sara Däbritz. Sie wird ab dieser Saison Teamkollegin von Renard sein, wechselt von PSG innerhalb Frankreichs nach Lyon. "Sie müssen wir auch bei den Standards gut verteidigen. Aber darauf werden wir uns einstellen." Und Carlson attestierte sogar einer Renard nicht näher benannte "Schwächen". Die zu erkennen, ist schwer. Offensichtlich ist nur eine Schwäche: dass es mit dem Titel mit dem Nationalteam noch nicht geklappt hat. Geht es nach dem DFB-Team, soll dieser Makel bleiben.
Quelle: ntv.de