Magulls Leidenschaft fürs Team Nicht mal Oberschenkel kann Bessermacherin stoppen

Magull erzielte bereits zwei Treffer bei der EM.

Magull erzielte bereits zwei Treffer bei der EM.

(Foto: IMAGO/Sportimage)

Zwei Tore für das DFB-Team gehen bei dieser Fußball-Europameisterschaft auf das Konto von Lina Magull. Dabei musste sie sogar eine Partie wegen ihres Oberschenkels aussetzen. Dass sie die Treffer freuen, bestätigt die 27-Jährige, doch wichtiger ist ihr das Team. Und das macht sie nicht nur auf dem Platz deutlich.

"Ich frage ihn gar nicht mehr allzu viel, ich lasse ihn jetzt einfach in Ruhe." Lina Magull meint nicht etwa einen Trainer oder Betreuer, sondern ihren Oberschenkel. Mit dem lag sie bei dieser Fußball-Europameisterschaft in England schon im Clinch, setzte deswegen im dritten Gruppenspiel gegen Finnland aus. Muskuläre Probleme quälten die Mittelfeldspielerin von Beginn des Turniers an. "Ich hoffe, er hält weiter durch."

Bei den männlichen Kollegen ginge der Körperteil sicher schon als "Oberschenkel der Nation" durch, immerhin wurde sie im Auftaktspiel gegen Dänemark als "Spielerin des Spiels" ausgezeichnet, schoss den ersten deutschen Turniertreffer. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg lobte anschließend: "Ich hatte ihr vor dem Spiel gesagt, heute kommt ein Moment und das wird ein großer sein und das war er. Aber sie hat auch so fan­tas­tisch gespielt." Magull aber bleibt trotz ihrer Probleme unaufgeregt, schickt lieber einen Dank an die medizinische Abteilung. Manchmal seien muskuläre Probleme "nicht so greifbar", aber es sei jetzt schon wirklich gut geworden.

Gegen Österreich im Viertelfinale (2:0) ließ sie sich nicht weiter stören, schoss schon zum zweiten Mal nach dem Dänemark-Spiel (4:0) das 1:0 für Deutschland. Das sei "persönlich ein ganz tolles Gefühl, Tore zu erzielen", so Magull. "Aber es geht ja auch immer darum, wie es vorbereitet wird und deswegen bin ich sehr stolz, wie wir die Spiele angegangen sind, wie wir es vollendet haben. Dass ich es dann letztendlich gewesen bin, spielt keine Rolle", weißt die Kapitänin des FC Bayern für das Tor gegen Österreich auf den "Durchsetzungswillen" von Klara Bühl als Vorbereiterin und die "Cleverness" von Alexandra Popp hin, die den Ball geistesgegenwärtig durchgelassen hatte.

Mittelfeld klar strukturiert

Es ist dieser Teamgedanke, der die DFB-Elf auszeichnet. Der gemeinsame starke Wille, das gegenseitige Antreiben, die Spielfreude. All das führte dazu, dass das Team erstmals seit dem Olympia-Sieg von 2016 wieder über ein Viertelfinale hinausgekommen ist - und weiter vom Titel träumen kann. Im Halbfinale (27. Juli, 21 Uhr im ntv.de-Liveticker), das nach dem zweiten Gruppenspiel gegen Spanien erneut in Milton Keynes stattfinden wird, wartet Frankreich - seit Jahren immer Mitfavorit, aber nun tatsächlich erstmals in einem Turnier im Viertelfinale siegreich.

Die Französinnen haben nach ihrem Spiel gegen den Titelverteidiger Niederlande zwei Tage weniger Pause, spielten noch dazu über 120 Minuten. Ein Nachteil? Magull, die schon seit 2015 für die A-Nationalmannschaft spielt, glaubt nicht unbedingt daran. "Natürlich kann man jetzt denken, dass das ein Vorteil ist. Zwei Tage mehr tun Kopf und Beine auf jeden Fall gut", sagt sie. "Aber ich denke, das wird jetzt nicht so ausschlaggebend sein. Frankreich steht erstmals in einem Halbfinale, sie werden sich sehr zusammenreißen und alles aus sich herausholen, was geht."

Das machen auch Magull und Co. - der unbedingte Wille ist zu spüren und in den Spielen deutlich zu erkennen. Dabei harmoniert das Mittelfeld sehr gut, die Stammformation mit Magull, Sara Däbritz und Lena Oberdorf ist top aufeinander eingestellt - und hat klare Aufgaben, wie sie die Zentrale des deutschen Teams erklärt: "Defensiv bin ich fokussiert auf die gegnerische Sechs. Wir sollen immer gut zuordnen, zentral eins zu eins", sagte sie nach dem Viertelfinalsieg die Taktik. "Offensiv bin ich der offensivere Part, Obi (Oberdorf, Anm.d.Red.) ist defensiver, Sara switcht dann immer, mal defensiver, mal offensiver, je nachdem, wo sich Räume ergeben."

Mit Däbritz spielt Magull schon seit Langem zusammen, sowohl beim DFB als auch früher für gemeinsame Teams. Mit Torhüterin Merle Frohms, Rechtsverteidigerin Felicitas Rauch und ihrer Positionskollegin Linda Dallman gewannen sie 2014 den WM-Titel der U20. Im Jahr darauf debütierte die heute 27-Jährige bei der A-Elf und schoss schon in ihrem zweiten Länderspiel zwei Tore in der EM-Qualifikation gegen die Türkei. Bei der EM 2017 spielte sie in allen vier Spielen, ehe das Team gegen den die späteren Vize-Europameisterinnen aus Dänemark ausschied. 63 Spiele und 21 Tore stehen mittlerweile in der DFB-Statistik für sie zu Buche.

"Immer für einen Spaß zu haben"

Anders als etwa Däbritz und Popp war Magull 2016 nicht beim Olympiasieg dabei, ein Titel mit der Nationalmannschaft fehlt ihr also noch. Anders ist das auf Vereinsebene. Mit den Bayern, zu denen sie 2018 vom SC Freiburg wechselte, war sie 2021 Deutsche Meisterin. Diesen Titel gewann sie 2013 und 2014 auch mit dem VfL Wolfsburg, war in der erfolgreichsten Zeit des Klubs dabei - 2013 gab es das Triple mit Pokal und Champions League, 2014 die Champions League, 2015 wieder den Pokal.

Über die Jahre hat sie nicht nur Erfolge gesammelt, sondern auch Selbstvertrauen. Zwar wirkt sie manchmal so, als würde sie gar nicht gern im Rampenlicht stehen, doch intern genießt sie den Ruf als Spaßvogel. Mitspielerin Kathi Hendrich etwa berichtete im April über ein Geschenk zu ihrem 30. Geburtstag, den sie im Kreis der Nationalmannschaft feierte: "Lina Magull ist ja immer für einen Spaß zu haben. Die hat mir einen aufblasbaren Rollator vor die Tür gestellt."

Forderung nach Mindestlohn

Und die Bayern-Kapitänin weiß, wann sie ihre Stimme einsetzen kann, sie weiß um die Umstände in ihrem Sport - und fordert Veränderungen ein. "Wir sollten ab der 2. Liga so gut verdienen, dass niemand mehr nebenbei arbeiten gehen muss", forderte Magull unmittelbar vor EM-Start in der "Bild"-Zeitung: "Da sprechen wir von einem Mindestgehalt von 2000, 3000 Euro im Monat. So kannst du die Entwicklung im Frauenfußball nachhaltig voranbringen."

Mehr zum Thema

Ausgesorgt hat dann natürlich keine Spielerin, auch die Mittelfeldspielerin hat bereits für die Zukunft vorgesorgt - und das vielseitig. Sie ist ausgebildete Bürokauffrau, arbeitete bereits in einer Werbeagentur und ist zertifizierte Ernährungsberaterin. Als wäre das noch nicht genug, studiert sie aktuell Sportmarketing und Sportjournalismus. Sie "brauche keine 10 oder 20 Millionen Euro im Jahr", meinte Magull, aber "unsere Gehälter sollten steigen, damit alle - nicht nur die Nationalspielerinnen - ihren Sport professionell ausüben können."

Professionell geht es beim DFB-Team zu, das Team hinter dem Team ist bei diesem Turnier genauso gut aufgestellt wie bei den Männern. Es zahlt sich aus, der Einzug ins Halbfinale ist aber erst das Minimalziel. Gegen Frankreich soll der nächste Sieg her, gern wieder zu null. Wenn dann auch noch der Oberschenkel der Nation weiter schweigt, wird Magull nichts zu meckern haben.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen