
Das DFB-Team ist am Sehnsuchtsort angekommen: Im Wembley-Stadion spielt die Elf von Bundestrainerin Voss-Tecklenburg das EM-Finale gegen die Gastgeberinnen aus England. Die Partie wird für einen neuen Zuschauerrekord sorgen - und vielleicht für den neunten Titel für die Deutschen. Diese erhoffen sich aber noch mehr vom Spiel.
"Wembley gehört zu Beginn wahrscheinlich den Engländern, es wäre schön, wenn es am Ende uns gehört." Martina Voss-Tecklenburg weiß ziemlich genau, was sie und ihre deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Finale der Europameisterschaft im legendären Wembley-Stadion erwarten wird (18 Uhr/ARD, DAZN und im ntv.de-Liveticker). Heftigen Gegenwind nämlich, nicht nur von den Gegnerinnen, sondern auch von deren Fans. Es ist ein Heimspiel für England, die Gastgeberinnen dürfen in ihrem Nationalstadion spielen.
Der Mythos Wembley bedeute nicht nur 90.000 Fans im Stadion, "Wembley bedeutet hoffentlich 90.000 englische Fans", sagte Englands Kapitänin Leah Williamson. Schon jetzt ist klar, dass dieses Finale den Zuschauerrekord brechen wird - und zwar unabhängig von Männern und Frauen. Der bisherige Bestwert liegt bei 79.115 Zuschauern, die das Finale der EM 1964 in Madrid besucht hatten. Das, was ihre männlichen Kollegen im vergangenen Jahr nicht geschafft haben, wollen die Lionesses besser machen: Den Titel im heimischen Stadion gewinnen. Es wäre der erste für England seit dem WM-Titel für die Männer im Jahr 1966, als die Engländer auch wegen des legendären Wembley-Tores die DFB-Auswahl besiegten.
"Stadion ist auch im leeren Zustand beeindruckend"
Die Deutschen würden ihren Titelrekord mit einem Sieg dagegen ausbauen, achtmal hat das DFB-Team bereits triumphiert. Zuletzt 2013, bei der vorvergangenen EM, die meisten Spielerinnen waren da noch nicht dabei und auch für Voss-Tecklenburg wäre es der erste Titel als DFB-Trainerin. Als Spielerin wurde sie zwischen 1989 und 1997 viermal in Folge Europameisterin. Und doch hat auch sie noch nie so ein großes Finale erlebt, die Entwicklung des Fußballs der Frauen ist vorangeschritten. "Es wird kaum größere Sportmomente für unsere Spielerinnen geben", sagte Voss-Tecklenburg daher über das Spiel. "Wir haben uns vorgenommen, das alles aufzusaugen und mitzunehmen."
"Die Vorfreude ist sehr groß, das Stadion ist auch im leeren Zustand beeindruckend", betonte Svenja Huth. "Das wird die nächste große Herausforderung, der wir uns gern stellen." Mitnehmen wollen sie am liebsten auch den Pokal. Denn selbst wenn in Deutschland fast niemand mit diesem Erfolg des DFB-Teams gerechnet hat, sie selbst hatten ganz genau im Blick, wofür sie sich vorbereiten - für eben dieses Finale in London. "Wenn man es vorher hätte träumen dürfen, hätten wir gesagt, dass wir genau hier im Wembley gegen England und gegen niemanden anders im Finale stehen wollen."
Dementsprechend hätten sie natürlich etwas zu verlieren, so die Bundestrainerin: "Ein Spiel, das wir nicht verlieren wollen. Wenn sich am Ende der Gegner als der bessere herausstellt, werden wir die ersten sein, die fair gratulieren", betonte Voss-Tecklenburg, noch lieber ist ihr aber ein anderes Szenario: "Wir haben immer gesagt, wir sind hier, um jedes Spiel zu gewinnen."
Stärke liegt in der Physis
Der eigene Anspruch ist groß, der Druck aber lastet auf England, findet die 54-Jährige. Das will ihre Kollegin Sarina Wiegman nicht unterschreiben: "Beide Teams wollen gewinnen, beide haben Druck." Dass sie selbst mit Druck und dem Heimvorteil umgehen kann, hatte die Niederländerin 2017 bewiesen, als sie ihre eigene Nation ebenfalls im eigenen Land zum ersten EM-Titel geführt hatte.
Worum es im Finale also gehen wird? Darum, dass die Deutschen wieder ihren unbändigen Willen beweisen, dass sie füreinander und miteinander arbeiten - und wohl auf die anhaltende Kampfbereitschaft. "Wir wollen alles herausholen, was bei uns im Tank ist, und das ist eine ganze Menge", so Huth. "Sie sind eine physische Mannschaft und das ist ihre Stärke", sagte Williamson. Die Innenverteidigerin betonte aber direkt: "Das ist etwas, dessen wir uns bewusst sind, aber wir haben auch Kämpferinnen, die Physis ist nichts, womit wir nicht umgehen könnten."
Die Deutschen wollen sich belohnen mit dem letzten Schritt, dem entscheidenden aufs Podium, wo es Medaillen und Pokal gibt. Auch für Klara Bühl, die zwar weiterhin keine Symptome hat, die aber wegen einer Corona-Infektion nicht spielbereit ist. Voss-Tecklenburg hofft, dass die Bayern-Spielerin immerhin als Fan im Stadion dabei sein wird, sollte ihr Test am Spieltag negativ sein. Denn die 21-Jährige ist ein Teil des Teams, das es sich in den vergangenen Monaten nicht leicht gemacht hat, es hat gekracht, sie haben sich ausgesprochen, sind miteinander gewachsen. Jetzt ist die Stimmung, der Zusammenhalt irre gut, das betonen sie alle immer wieder. Widerstände und Herausforderungen hätten sie aufgenommen, resümiert Voss-Tecklenburg. Was jetzt überwiege, sei der Stolz, dies gemeistert zu haben.
Es muss etwas bleiben
Doch der Blick geht schon über das Finale hinaus. Und da werden die Bundestrainerin und ihre Vize-Kapitänin Huth direkt zu Mahnerinnen: "Wir werden am Ende nur dann gewinnen, wenn wir all das, was gerade passiert, mit einer Nachhaltigkeit beenden können. Nicht, dass es jetzt ein Event ist, das jetzt gerade oben ist und alle freuen sich dran, nein, es muss etwas davon übrig bleiben. Es muss eine große Chance sein, in allen Ländern die nächsten Schritte im Frauenfußball zu machen", sagte Voss-Tecklenburg deutlich. "Wenn nicht jetzt, wann dann?"
Und Huth ergänzte: "Das ist natürlich von uns ein Wunsch, dass wir diesen Hype auch nach der Europameisterschaft hochhalten können. Nächstes Jahr steht, Gott sei Dank, schon wieder eine Weltmeisterschaft an. Das ist eine große Hoffnung für den deutschen Frauenfußball, nachhaltig Menschen neu zu begeistern und zu binden."
Mit dem Titel würde das in Deutschland sicher noch leichter gelingen als ohne. Den Pokal am Montag auf dem Frankfurter Römer den begeisterten Fans zu präsentieren, wäre eine große Nummer. Erst aber einmal muss das DFB-Team den Gegenwind im Wembley-Stadion aushalten. "Das ist uns bewusst, aber das kann auch etwas sehr Schönes sein." So leicht lässt sich eine erfahrene Spielerin wie Svenja Huth nicht einschüchtern.
Quelle: ntv.de