
Bis zu 7000 Menschen können das Public Viewing zum EM-Finale auf dem Trafalgar Square verfolgen. Noch ist alles entspannt auf dem Platz.
(Foto: Anja Rau)
Einer der bekanntesten Plätze Londons ist von der UEFA okkupiert: Der Trafalgar Square dient als Fanmeile für die Fußball-EM. An anderen Touristen-Magneten ist noch wenig vom Hype um das Finale zu sehen. Wenn am Sonntag das englische Team gegen Deutschland im Wembley-Stadion spielt, wird das anders sein.
Die Wachen vor dem Buckingham Palast marschieren in ihrer legendären Uniform mit den roten Jacken, schwarzen Hosen und den hohen, schwarzen Bärenfellmützen, mit ihrer Waffe im Arm auf und ab. Beobachtet von Hunderten Schaulustigen aus aller Welt, die sie bei strahlendem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen arg bemitleiden ob ihrer warmen Kleidung. Durch den Green Park, der die naheliegende U-Bahn-Station vom Palast trennt, zieht sich eine lange Schlange an Menschen, richtig voll ist es ein paar Hundert Meter weiter am Piccadilly Circus. Auch an der Themse am Big Ben drängeln sich die Touristenscharen für das beste Foto, das Riesenrad London Eye dreht sich unaufhörlich. Alles wie immer also in London.
Doch nicht ganz. Ein weiterer Touristen-Hotspot sieht anders aus als sonst: der Trafalgar Square. Der Platz ist umzäunt, Sicherheitspersonal bewacht das Areal, doch die Stimmung ist ausgelassen. Denn auf dem Trafalgar Square befindet sich die Fan-Area zur Fußball-Europameisterschaft. Es ist einer der raren Plätze, auf denen zu merken ist, dass sich was ganz Großes in der Stadt anbahnt. Werbung für die EM gibt es lediglich in ein paar Straßenzügen um den Platz herum. Sonst ist weniger als 48 Stunden vor Anpfiff des Finales zwischen den Gastgeberinnen aus England und Deutschland (Sonntag, 18 Uhr/ARD, DAZN und im ntv.de-Liveticker) nichts zu spüren von Euphorie. Zu sehr ist London ein Touristenmagnet, den längst nicht nur Fußballfans besuchen. Zu groß ist die Stadt, zu viele verschiedene Viertel hat die Neun-Millionen-Einwohner-Metropole, als dass sich alles nur um ein Ereignis dreht.
Popp schafft es in englische Schlagzeilen
Anders sieht es aus, wenn man die Schlagzeilen an den Kiosken beachtet. "Das Schicksal ruft", titelt der "Daily Express". "Come on England" mit einer Fotocollage aus Nachwuchsspielerinnen und Profis hat der "Evening Standard" auf der Titelseite. "Die Geheimnisse hinter dem Erfolg der Lionesses" will der "Mirror" seinen Leserinnen und Lesern schmackhaft machen. Mit "Ex-Zootierpflegerin will Löwinnen zähmen" trumpft "The Telegraph" auf. Gemeint war DFB-Kapitänin Alexandra Popp, die diesen Beruf einst gelernt hat - und mit ihren bereits sechs Toren von den Engländern als die größte Gefahr im Finale ausgemacht wurde. Die Löwinnen, das sind die "Lionesses", die englische Auswahl.
Und um die ging es am Freitagnachmittag auch in der Fan-Area. Eine Moderatorin und ein Moderator bespaßten die zahlreichen Interessierten auf dem Platz. Wer nicht selbst ein bisschen im Käfig zocken, seine Reaktionsfähigkeit testen oder sein Talent beim Ballhochhalten unter Beweis stellen wollte, lehnte zumeist entspannt im Liegestuhl vor der großen Bühne. Umschwirrt von drei Maskottchen des Turniers gab es bei einem Quiz Souvenirs zu gewinnen. Wie viele Löwen denn auf dem Trikot zu sehen sind, war eine der Fragen. (Es sind derer drei.) Gefolgt von der, wer denn Rekordtitelträger ist. (Deutschland.) Für die Antwort auf die Frage, wie hoch England gegen Norwegen gewonnen hat, gab es einen offiziellen Spielball zu gewinnen. Ein Jugendlicher hüpfte der Moderatorin regelrecht vors Mikrofon und wusste: 8:0. Er betonte, er müsse es wissen, er sei Norweger. Das Drama hat ihm so zumindest einen Trostpreis eingebracht.
Commonwealth Games als starke Konkurrenz
Viele Eltern sind an diesem Nachmittag mit ihren Kindern auf dem Festgelände, viele Touristen zeigen sich interessiert, schlendern mit Tüten der umliegenden Andenkenläden über den Platz. Nicht alle wissen, was hier vor sich geht. Gesprächsfetzen auf Englisch, Spanisch, Arabisch wehen vorbei, und ja, auch auf Deutsch. Anke mit ihren Töchtern Melina und Hanna aus Göttingen ist zu einem Städtetrip in den Sommerferien in London. Sie sind recht leicht als Deutsche zu identifizieren, alle drei tragen Mund-Nasen-Masken, diesen Coronavirus-Schutz sieht man in England fast nur bei Menschen aus Deutschland oder dem asiatischen Raum. Die meisten anderen verzichten komplett auf Vorkehrungen gegen das Virus, trotz hoher Infektionszahlen. Die Drei sind zufällig auf der Fan-Area gelandet, eigentlich haben sie mit Fußball gar nichts zu tun. Zum Finale haben sie die Stadt schon wieder verlassen, können also nicht beim Public Viewing vor dem berühmten Denkmal für Admiral Nelson dabei sein. Die Töchter und ihre Mutter wollen das Spiel aber im Fernsehen schauen.
Das haben sie mit vielen Millionen anderen in England und Deutschland gemeinsam. Mehr als zwölf Millionen Menschen hatten das Halbfinale des DFB-Teams gegen Frankreich im ZDF verfolgt, in England schalteten einen Abend zuvor 9,3 Millionen Zuschauer die BBC für das Spiel gegen Schweden ein. Die achtjährige Tess, die als Fan im Stadion war und völlig versunken zu "Sweet Caroline" tanzte, wurde dank eines Videos zum Star. Nach einem Video auf BBC One gemeinsam mit ihrer Großmutter machte ihr der Sender ein tolles Geschenk: ein Ticket für das Finale.
Das Fernsehen weiß also bestens über den Hype um das englische Team, das noch nie den EM-Titel gewonnen hat, Bescheid. Doch noch läuft anderer Sport im TV: Am Donnerstag wurden die Commonwealth Games in Birmingham eröffnet, seit dem Freitagmorgen gibt den ganzen Tag über Sport auf BBC One - etwa Triathlon, Rugby und Netball. Immerhin: Es kommt regelmäßig ein Programmhinweis für den großen Showdown mit dem achtmaligen EM-Titelträger Deutschland am Sonntag. Dann wird in London nicht nur auf dem Trafalgar Square Lust auf Fußball herrschen.
Quelle: ntv.de