Kritik an zunehmenden Belastungen Lustiger Müller, ernster Müller
05.07.2016, 14:36 Uhr
Thomas Müller beklagt den psychischen Druck, unter dem Fußballprofis stehen.
(Foto: imago/Horstmüller)
Zeit, sich zu verabschieden: Morgen verlässt das DFB-Team ihr EM-Quartier am Genfer See. Teammanager Oliver Bierhoff nutzt das zu einer ewigen Dankesrede. Manuel Neuer ist da, sagt aber wenig. Und Thomas Müller ist locker wie eh und je.
Was sagt der Bundestrainer?
Heute gönnte er sich mal wieder eine kleine Gesprächspause. Schließlich war er gestern da und muss sich ja auch morgen schon wieder mit den Fragen der Journalisten auseinandersetzen. Stattdessen war Oliver Bierhoff zur Stelle, um am vorletzten Tag im DFB-Basecamp in Évian ein sehr, sehr ausführliches Zwischenfazit zu ziehen. Und das fällt wenig überraschend absolut positiv aus, schließlich hat der Teammanager das Quartier ja auch mit ausgesucht. Eine traumhaft schöne Gegend sei es hier, die Luft gut für die Regeneration und den gesunden Schlaf. Die Bedingungen super. Und überhaupt: War eigentlich 'ne dufte Zeit an der Heilwasserquelle. Wären da nicht die ewig weiten Wege zu den Spielorten gewesen. Ach, ne, pardon, darüber sprach Bierhoff nicht. Egal, ist ja jetzt eh vorbei. Zumindest hier in Évian.
Aber um der Mannschaft nicht den Eindruck zu vermitteln, man würde hier den EM-Schlussstrich ziehen und alles abreißen, wartet man am Genfer See mit der Herstellung des Originalzustands noch so lange, bis sich die deutsche Delegation endgültig verabschiedet hat. Niemand solle nämlich auf die Idee kommen, so Bierhoff, dass jetzt Feierabend und Urlaub wäre. Die Europameisterschaft läuft ja noch, für Deutschland mindestens bis Donnerstag, wenn es im zweiten Halbfinale in Marseille gegen Gastgeber Frankreich geht (ab 21 Uhr im n-tv.de-Liveticker), und bestenfalls bis Sonntag, wenn das Finale in Paris stattfindet. Mit den möglichen Endspielgegnern Portugal oder Wales (Mittwoch, ab 21 Uhr ebenfalls im n-tv.de-Liveticker).
Wie ist der Krankenstand?
Wir wollen uns eigentlich nicht wiederholen, aber für all jene (wenige), die es noch nicht mitbekommen haben: Für Mario Gomez ist die EM seit dem Italienspiel wegen eines Muskelfaserriss' vorbei und auch Sami Khedira kann wegen Adduktorenproblemen zumindest im Halbfinale nicht mitwirken. Bleibt also das Fragezeichen hinter Bastian Schweinsteiger. Beim Training am Dienstag absolvierte er eine von der medizinischen Abteilung intensiv begleitete Stabilisierungs-Einheit. Überraschende Unterstützung erhielt der Nationalmannschafts-Kapitän vom Schalker Benedikt Höwedes. Dass der eigentlich für das Duell mit Frankreich fest eingeplante Innenverteidiger (Ersatz für den Gelb gesperrten Mats Hummels) ebenfalls nicht mit der Mannschaft trainierte, begründete Pressesprecher Jens Grittner mit "einer Vorsichtsmaßnahme zur Belastungssteuerung."
Wer ist Mitarbeiter des Tages?
Wenn er schon einmal da ist, dann natürlich Thomas Müller. Der Thomas Müller, der bislang noch nicht getroffen hat, dem das Trainerteam aber eine tolle Laufleistung und viel Arbeit für die Mannschaft bestätigt und der eigentlich immer gut drauf ist. Heute auch? Heute auch! Noch gar nicht auf der Bühne, war er bereits Gesprächsthema Nummer eins. Ob er denn immer noch locker ist? Klar, sagte Bierhoff, der in der Fragestunde zunächst den Vorzug bekam. Und Müller tat alles, um diesen positiven Eindruck in den folgenden Minuten zu bestätigten. Er freue sich auf das Spiel gegen den Gastgeber. "Viel schönere Spiele als solche gibt es ja gar nicht." Ob er denn auch eine Parallele sehe zum WM-Halbfinale 2014, als Deutschland die Brasilianer im eigenen Land mit 7:1 gedemütigt hatte. "Nö, aber wenn's eine gibt, dann ist sie für uns ja positiv."
Rein sportlich rückt der Bayern-Angreifer gegen die Franzosen wieder deutlich stärker in den Mittelpunkt. Denn nach dem vorzeitigen EM-Aus von Gomez ist der Platz in der Spitze vakant. Mario Götze ist ein Kandidat, Müller der andere. Leroy Sané könnte das auch, wird aber derzeit als Startelf-Alternative aber kaum gehandelt. Müller also. Durchbricht er endlich den EM-Torfluch? Das weiß weder er noch irgendjemand anderes auf der Welt. Aber persönlich ist ihm das auch ziemlich wumpe: "2010 bin ich Torschützenkönig geworden, da sind wir im Halbfinale ausgeschieden. 2014 sind wir Weltmeister geworden (Anmerk. d. Red.: Müller traf fünfmal, wurde aber vom Kolumbianer James Rodriguez mit sechs Treffern überboten), das ist dann doch viel schöner und werthaltiger". Mit dieser Einstellung wird der 26-Jährige auch am Donnerstag ins Spiel gehen. Und der Bundestrainer glaubt weiter an Müllers EM-Tor-Debüt: "Ich bin mir sicher, wenn wir unbedingt eins brauchen, ist der Thomas da."
War sonst noch was?
Ja, nochmal der Müller. Denn er kann nicht nur lustig, sondern auch ernst. Und zwar, wenn es um die Debatte geht, den Fußballern beispielsweise durch künftig auch eine aufgeblasene WM noch mehr Spiele und noch weniger Pausen zu zumuten. "Es geht da nicht um die Laufleistung oder so. Jeder gut trainierte Mensch, kann alle vier Tage mit hoher Intensität laufen." Vielmehr gehe es um die enorme psychische Belastung. "Wir haben jetzt ja bald drei Wochen Urlaub, ein, zwei Wochen später startet die Saison auch wieder. Es geht darum, dass man sich auch mal mental erholt. Man hat auch privat nicht viele Ruhepausen. Ich finde das schon etwas bedenklich. Du darfst quasi einmal kurz Luft holen und wirst dann direkt wieder unter Wasser gedrückt." Denn jeder Spieler habe ja schließlich auch täglich Einflüsse auf sich selbst. Es werde über einen geredet, es werde mit einem geredet. Beklagen wolle er sich indes nicht, so sei nun einmal das Geschäft. "Aber unter den Teppich sollte man es aber auch nicht kehren."
Eines wollen wir nicht vergessen, beziehungsweise nicht verschweigen: Manuel Neuer nahm auch an der Pressekonferenz teil. Er lobte die französischen Angreifer Antoine Griezmann und Olivier Giroud. Außerdem sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass er Basti (Schweinsteiger) direkt nach seiner frühen Einwechslung gegen Italien die Kapitänsbinde gegeben habe. "Es war ein Signal, der Kapitän ist zurück." Viel mehr sagte Neuer nicht.
Quelle: ntv.de