Deutscher als Russlands Joker Putin, die Sbornaja - und Neustädter
11.06.2016, 19:00 Uhr
Roman Neustädters Vertrag bei Schalke 04 lief zum Saisonende aus.
(Foto: imago/Team 2)
Roman Neustädter spielte schon unter Joachim Löw in der DFB-Elf - und ist nun mit Russland bei der EM. Den russischen Pass bekam er von Wladimir Putin. Die Mitspieler sticheln gegen den Deutschen, der Chancen auf einen Stammplatz hat.
Wladimir Putin höchstpersönlich hat ihn zum russischen Staatsbürger ernannt, von daher weiß Roman Neustädter, was sich gehört. Nachdem der Schalke-Profi im Trainingscamp in Paris die Frage eines deutschen Journalisten über sein Befinden beantwortet hatte, übersetzte er sich selbst auf russisch - für die vielen Pressevertreter seiner neuen sportlichen Heimat. Was der polyglotte Neustädter vor seinem möglichen Pflichtspieldebüt für die russische Fußball-Nationalmannschaft im EM-Duell (21 Uhr/ im ZDF und im Liveticker bei n-tv.de) in Marseille gegen England von sich gab, dürfte auch Kremlchef Putin gefreut haben. "Die Jungs haben mich super aufgenommen. Ich fühle mich so, als wäre ich schon viel länger dabei als nur zwei Wochen", sagte der Sohn einer Russin und eines Ukrainers.
Kleine Sticheleien in der "Sbornaja" ("Die Auswahl") nimmt Neustädter mit Humor. "Da wird mir auch mal gerne der Ball aus zwei Metern halbhoch ans Knie gespielt, mit der Begründung: Das ist Russland, hier werden die Pässe nicht so sauber gespielt wie in Deutschland", schrieb der Defensivspieler in seinem EM-Tagebuch für "Vice Sports". Mit Neustädters Humor haben die Russen dagegen noch Probleme: Das Facebook-Bild von ihm, hockend mit dem russischen Pass in der Hand, sei ein Rohrkrepierer gewesen: "Im russischen Team kennt keiner die Russenhocke."
"Die Mannschaft spielt schon lange zusammen und ist eingespielt, aber ich warte auf meine Chance, um in die Stammformation zu kommen", so Neustädter. Weil die Mittelfeldstrategen Igor Denissow und Alan Dsagojew fehlen sowie Denis Gluschakow und Dmitri Torbinski in den vergangenen Tagen angeschlagen waren, bietet sich diese Chance möglicherweise schon jetzt gegen die favorisierten Engländer um Kapitän Wayne Rooney.
Flexibel einsetzbar
Russlands Nationaltrainer Leonid Sluzki schätzt an Neustädter dessen variable Einsatzmöglichkeiten und ließ ihn im Training im Parc Omnisports du Chemin de Ronde im Pariser Vorort Croissy-sur-Seine im defensiven Mittelfeld spielen. Immer wieder rief der Nachfolger des Italieners Fabio Capello den Neu-Russen mit der Trikotnummer 5 zu sich. Die russische Tageszeitung "Sport-Express" orakelte bereits, dass Neustädter als Ersatz für Denissow von Beginn an spielen könnte: "Vielleicht hat Coach Leonid Sluzki deshalb dem "Deutschen" in den Trainingspausen die Taktik besonders genau erklärt."
Wäre seine Karriere in den vergangenen Jahren nicht ein wenig ins Stocken geraten, würde sich Neustädter vielleicht gerade in Evian mit der deutschen Nationalmannschaft auf die EM vorbereiten. Zwei Testspiele bestritt er 2012 und 2013 für das DFB-Team, danach hatte Bundestrainer Joachim Löw für den umsichtigen, aber nicht sehr schnellen Defensivallrounder keine Verwendung mehr. Wie für jeden anderen Profifußballer auch sei es für ihn "das Größte, bei einer Welt- oder Europameisterschaft dabei zu sein", sagt Neustädter. Er trägt das russische Trikot mit Stolz. "Mit Russland bin ich seit meiner Kindheit tief verbunden. Meine Mutter ist Russin, meine Oma wohnt noch dort, viele Freunde wie Verwandte auch", sagt Neustädter.
Er selbst ist im ukrainischen Dnjpropetrowsk geboren. Russlands Nationaltrainer Leonid Sluzki hat lange um ihn gekämpft, Ende Mai stimmte Putin per Präsidialerlass dem Einbürgerungsantrag zu. Neustädter musste dafür seinen deutschen Pass abgeben.
Ob er nun wirklich von Beginn an spielt? "Es hängt alles vom Trainer ab", sagt Neustädter: "Ich kenne diese Position und ihre taktischen Besonderheiten." Eine Extra-Motivation sei seine Rückennummer 5: "Das ist die Nummer meines Vaters in seiner Zeit als Profi bei Mainz 05, das bedeutet mir viel." Neustädter, der seine markante "Palmen"-Frisur zur EM für einen knackigen Kurzhaarschnitt opferte, spielt in Frankreich auch für seine Zukunft auf Vereinsebene. Sein Vertrag beim Bundesligisten Schalke 04 läuft Ende Juni aus.
Quelle: ntv.de, dpa/sid