WM-Arbeiter schockt mit Details "Sie haben uns wie Sklaven benutzt"

Auf den Baustellen für die WM-Stadien sollen Tausende Arbeiter ums Leben gekommen sein.

Auf den Baustellen für die WM-Stadien sollen Tausende Arbeiter ums Leben gekommen sein.

(Foto: imago images/MIS)

Emran Khan, 34 Jahre alt, geht zwei Jahre lang durch die Hölle. Als WM-Bauarbeiter in Katar erlebt er "psychische Misshandlung" und "moderne Sklaverei". Damals regiert die Angst, heute spricht er mit ntv.de per Videotelefonie aus der sicheren Entfernung seiner Heimat in Bangladesch über falsche Versprechungen, seinen völlig dehydrierten Körper bei 50 Grad Celsius und inneren Schmerz. Wegen seiner schlimmen Erfahrungen leidet er noch immer an einem Trauma und macht es sich zur Aufgabe, auch in Kooperation mit der Menschenrechts- und Arbeiterrechtsorganisation Equidem, Arbeitsmigrantinnen und -migranten zu helfen.

ntv.de: Herr Khan, die Fußball-WM in Katar biegt auf die Zielgerade ein. Haben Sie Spiele von Bangladesch aus verfolgt?

Emran Khan: Wenn ich jetzt die Spiele der WM im TV sehe, bringt das viele schlimme Erinnerungen an die Oberfläche. Ich denke an mein Leben als Arbeitsmigrant in Katar. Damals war ich nichts wert, ich war nichts anderes als ein Werkzeug, das arbeitet. Das tut immer noch sehr weh.

Wann haben Sie in Katar gearbeitet? Welche Jobs führten Sie aus?

Emran Khan hat Katar inzwischen verlassen.

Emran Khan hat Katar inzwischen verlassen.

(Foto: Emran Khan)

Ich habe von 2016 bis 2018 in Katar zwei Jahre auf Baustellen gearbeitet. Meine Aufgabe war es, die Qualität von Betonplatten zu prüfen. Ich musste also Proben aus allen verschiedenen WM-Stadien testen. Lusail, Al-Wakra, Education City, 974 Stadium. Mein Arbeitgeber hieß Advanced Construction Technology Services. Nach vielen Dramen und Schwierigkeiten schloss ich mein Leben dort aber so schnell wie möglich ab und ging zurück nach Bangladesch, wo ich jetzt als Aktivist für Wanderarbeiter arbeite.

Wie sah der Arbeitsalltag während dieser zwei Jahre aus?

Ich bin jeden Morgen vor 5 Uhr aufgestanden, um zu beten. Um 5 Uhr wurde ich mit den anderen Arbeitern von einem Bus abgeholt. Wir fuhren mehr als eine Stunde zur Baustelle. Um 6 Uhr begann die Arbeit, erst um 10 Uhr gab es Frühstück. Ich sammelte und testete 500 Proben pro Tag. Das waren Betonblöcke mit einem Gewicht von etwa acht Kilo. Ich musste also 500-mal acht Kilo pro Tag heben, also 4000 Kilo jeden Tag. Das war zu viel. Sie machten mich kaputt.

Fand die Arbeit draußen in der Hitze statt?

Jeden Tag musste ich Überstunden machen und oft in der sehr heißen Sonne arbeiten. Im Sommer herrschte schon morgens um 8 Uhr eine Temperatur von 45 Grad Celsius. Mittags waren es über 50 Grad. Das Schwitzen war das größte Problem. Dadurch dehydrierte der Körper schnell und wir wurden sehr müde. Manchmal fragte ich meinen Chef, ob er eine geeignetere Arbeit hätte, weil es draußen in der Sonne zu heiß oder die Last zu groß war. Aber mir wurde nie geholfen. Zum Glück konnte ich manchmal auch im Labor arbeiten, wo die Proben getestet wurden.

Wie lange gingen die Arbeitstage?

Jeden Tag habe ich 14 bis 16 Stunden gearbeitet. 360 Tage im Jahr, ohne Pause. Kein freier Tag. Aber sie haben mir immer nur maximal zwei Überstunden pro Tag bezahlt. Das war sehr schmerzhaft für mich. Meist bin ich um 21 Uhr nach Hause gekommen und sofort eingeschlafen. Ich lebte mit drei anderen Arbeitern in einem Zimmer, ich kenne die Adresse immer noch auswendig: Labor City Building 52, Tor 7, Raum F87. Oft fand ich nur Schlaf für vier oder fünf Stunden wegen der mentalen Hölle, durch die ich ging. Manchmal musste ich auch auf der Arbeit schlafen, weil der Bus zu unserer Unterkunft stundenlang nicht kam.

Die mentale Hölle, die Sie auch eingangs erwähnten, setzt Ihnen heute noch besonders zu?

Manchmal haben sie mich verbal angegriffen. Physisch zum Glück nie. Aber ich wurde psychisch misshandelt. Die zerstörte mentale Gesundheit ist eines der größten Probleme von Wanderarbeitern. Es ist ein verstecktes Problem, viele sprechen nicht darüber. Aber wir alle haben ein Trauma.

Physischer Schmerz geht vorbei, aber mentale Probleme bleiben lange. Vielleicht für immer. Mir kommen heute noch manchmal die Tränen, wenn ich an die Arbeit zurückdenke. Ich werde diese Tage niemals vergessen. Sie haben uns wie Sklaven behandelt und benutzt, das war schlimm. Wir sind Menschen, wir sind keine Maschinen. Wanderarbeiter sind Teil der modernen Sklaverei, das ist Realität in Katar.

Können Sie die psychische Misshandlung weiter ausführen?

Manchmal hatten wir unsere Schichten beendet und später rief die Arbeit wieder an und wir mussten stundenlang auf der Baustelle bleiben, um eventuell noch mal auszuhelfen. Wenn ich kurz telefonierte, wurde ich angeschrien. Es gab keine Menschlichkeit in der Behandlung. Ich hatte große Angst. Wir Arbeiter aus Bangladesch wurden besonders hart behandelt und bestraft. Wir waren so abhängig von unseren Jobs. Hätte ich meine Arbeit verloren, wie hätte ich dann meine Kredite zurückzahlen können? Wir hatten viel zu viel Angst, um uns über die Arbeit, die sie uns aufzwangen, zu beschweren. Immer nur: "Ja, Chef, ja, Chef!"

Welche Gedanken gingen Ihnen damals durch den Kopf?

Wie soll ich das länger aushalten? Wie soll ich das überleben? Ich konnte aber auch nicht direkt nach Bangladesch zurück, weil ich gefangen war. Ich musste Geld erarbeiten, um meine Schulden und Kredite abzuzahlen. Dann erst konnte ich für das Geld arbeiten, das ich für ein Ticket nach Hause brauchte. Aber wie soll ich dann ohne Geld oder Job in der Heimat überleben? Da ist eine sehr schmerzhafte Situation.

Stichwort Schulden: Wie verlief der Prozess, um den Job in Katar zu bekommen? Viele Arbeitsmigrantinnen und -migranten müssen Gebühren zahlen, um überhaupt die Chance auf eine Stelle zu bekommen.

Ich suchte nach einem Job im Ausland. Viele Südasiaten finden im Nahen Osten Arbeit, weil dort auch ungelernte Arbeitskräfte gesucht werden. Damals hatte ich noch nichts gelernt oder studiert. Über einen Mittelsmann kam ich mit dem Unternehmen in Kontakt. Die Firma teilte mir mit, dass mein Einstellungsprozess einschließlich Visum, Flugticket und medizinischer Versorgung fast 3000 US-Dollar kosten werde. Dafür habe ich Land und den Schmuck meiner Mutter verkauft und einen Kredit aufgenommen.

Für das Vorstellungsgespräch war Voraussetzung, dass man Englisch spricht. Ich dachte also, dass es eine gute Firma wäre. Sie sagten mir, dass ich ein gutes Monatsgehalt verdienen würde. Ich bestand das Vorstellungsgespräch und zahlte 1000 Dollar an einen Mittelsmann. Dann wurde ich zu einem zweiten Vorstellungsgespräch eingeladen, bestand wieder und musste weitere 1000 Dollar zahlen. Danach teilte man mir mit, dass man mir das versprochene Monatsgehalt doch kürzen müsse. Ich protestierte, weil ich bereits 2000 Dollar gezahlt hatte. Sie antworteten mir: "Sie haben keine Chance. Wenn Sie sich mit uns streiten, werden wir Ihnen kein Visum erteilen." Zu diesem Zeitpunkt saß ich bereits in der Falle. Menschen in Machtpositionen können alles mit einem tun und ich konnte nur hilflos zuschauen.

Wie viel verdienten Sie am Ende?

Ich bat sie, mir wenigstens einen guten Job zu geben. "Bitte, wir sind alle Menschen", sagte ich. Sie sagten, sie würden es versuchen und mir eine Stelle als Assistent eines Ingenieurs geben. Dass es keine Baustellenarbeit wäre. Also stimmte ich zu. Dann sagten sie, mein Monatsgehalt würde 1250 Riyals betragen, nur etwa 330 US-Dollar. Sie sagten: "So ist das Geschäft. Du hast jetzt keine andere Chance mehr." Die Versprechungen, dass ich Assistent eines Ingenieurs oder Assistent eines Technikers sein würde, waren alle falsch. Als ich in Katar anfing, war ich auf einmal doch so etwas wie ein Bauarbeiter.

Schon vor dem Arbeitsstart begannen die Verstöße.

Ich bin nach Katar für ein besseres Leben gegangen und habe auf eine faire Chance gehofft. Ich hatte einen großen Traum, ich wollte Geld verdienen und meiner Mama und meinem Papa ein Haus bauen. Meine Eltern sind Bauern, ich bin der erste in der Familie mit einer Ausbildung und trage viel Verantwortung. Aber in Katar haben sie mich nur ausgenutzt. Einfach ausgenutzt. Mental war ich völlig ausgelaugt. Am Ende des Tages konnte ich mir meinen Traum nicht erfüllen, weil ich nie eine faire Chance bekam. Katar hat meinen Traum zerstört.

Menschenrechtsorganisationen prangern an, dass Arbeiterinnen und Arbeiter in Katar selbst im Krankheitsfall nicht frei bekommen oder die Krankheitstage nicht bezahlt bekommen. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Wir trauten uns nicht, etwas zu sagen, wenn wir krank waren. Denn dann kann man nicht arbeiten und verliert Geld. Wir haben unsere Krankheiten vertuscht und jeden Tag gearbeitet. Damit hängt auch eine weitere Lüge meines Unternehmens zusammen. Sie sagten mir bei der Einstellung, dass ich Essen bekommen würde. Aber dann zogen sie mir dafür Geld von meinem ohnehin geringen Gehalt ab. Und das Essen war von sehr schlechter Qualität, ungesund und ohne Nährwert. Manchmal habe ich Hunger gelitten. Wir haben das Essen nur gegessen, um zu überleben, nicht um gesund zu bleiben.

Untersuchungen von Amnesty International oder Human Rights Watch werfen Katar vor, dass tausende Arbeiterinnen und Arbeiter in Katar ums Leben gekommen sind seit der Vergabe der WM an das Emirat im Jahr 2010. Katar spricht von bis zu 500 toten Arbeitern.

Ich habe nie gesehen, dass ein Arbeiter gestorben ist, aber ich habe eine Geschichte über eine schwere Verletzung in meinem Unternehmen gehört. Aber sie versuchten natürlich, diese Art von Problemen zu verbergen. Es ist nicht gut für ein Unternehmen, wenn jemand stirbt. Deshalb würde ich überall auf der Welt arbeiten, aber nie mehr in Katar. Wir Arbeiter hatten aber meistens keine Gelegenheit, über Themen wie verletzte oder tote Arbeiter zu sprechen. Wir waren zu kaputt.

Ich verstehe bei dem Punkt auch die westlichen Medien nicht. Wo waren sie? In den letzten Jahren haben so viele Menschen gelitten - und was habt ihr getan? Wenn die Fußballweltmeisterschaft beginnt, kommt ihr alle hierher. Aber jetzt sind wir schon zum Opfer geworden. Was ist mit uns in Bangladesch, die wir verletzt wurden und seelisch gezeichnet sind? Was ist mit denen, die bereits gestorben sind? Mit denen, die ihre Familien verloren haben? Gott sei Dank habe ich das alles überlegt und bin ich wieder in Bangladesch. (lächelt)

Sie können also wieder lachen?

Es ist ein falsches Lächeln. Es ist kein ehrliches Lächeln. Dahinter verbirgt sich eine Menge Schmerz. Die schrecklichen Tage in Katar sind noch sehr präsent. Mein Inneres brennt noch immer. Ich rede hier normal mit Ihnen, aber in mir tut alles weh. Weil ich weiß, wie groß ihre Schmerzen sind, versuche ich nun anderen Wanderarbeitern zu helfen. Neben den mentalen Problemen ist das wichtigste: Wir brauchen endlich bessere Gesetze für Arbeitsmigranten, mit mehr Menschlichkeit.

Mit Emran Khan sprach David Bedürftig

Quelle: ntv.de

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