Das Tagebuch zur Wüsten-WM Trotz Wettverbot: Pferde sollen Katars Macht sichern

Pferderennen ist eine Leidenschaft in Doha.

Pferderennen ist eine Leidenschaft in Doha.

(Foto: Stephan Uersfeld)

Während der WM ruht in Katar jeder andere Sport. Es gibt nur eine Ausnahme: Der Pferdesport. Der läuft weiter. Auf einer Rennbahn in Sichtweite zweier Stadien geht es am Freitag um viel Geld. Die Machtstrategie Katars offenbart sich auch hier.

In der letzten Kurve ist Sealine dem Renngeschehen noch ein gutes Stück hinterher. Auf den Tribünen springen die Zuschauer auf, einer reißt sich sein T-Shirt vom Leib, brüllt, wedelt mit seinen Armen, doch alles ist vergebens. Gewettet hat der Zuschauer nicht. Wetten ist hier nicht erlaubt. Er wird andere Gründe haben. Mit einem unwiderstehlichen Zielsprint zieht Sealine mit Ronan Thomas im Sattel an allen vorbei und sichert sich den Sieg mit nahezu einer Pferdelänge Vorsprung. Es ist der fünfte Sieg für Thomas an diesem Abend.

Ronan Thomas stürzt vom Pferd.

Ronan Thomas stürzt vom Pferd.

(Foto: imago images/Shutterstock)

Der Franzose ist auch in Deutschland ein Name. 2020 gewinnt er mit In Swoop das Hamburger Derby. Dann fällt er bei der Siegerehrung vom Pferd. Ein Bild geht um die Welt. An diesem Tag besiegt er auf In Swoop das deutsche Wunderpferd Torquator Tasso. Das wird im Jahr darauf den 100. Prix de l’Arc de Triomphe gewinnen und mit dem dritten Platz im Jahr 2022 und somit mit einer Gewinnsumme von über 4,2 Millionen Euro zum gewinnreichsten deutschen Galopper aller Zeiten aufsteigen. In diesem Winter geht Torquator Tasso in Rente. Er wird Zuchthengst.

Kein Sturz gibt es an diesem Freitag auf der Rennbahn in Doha. Ronan Thomas ist der Dominator des Renntags. Er ist in Doha einer der europäischen Jockeys, die den Winter über die Rennen in Katar über die wenigen Winterrennen in Europa wählen.

Die verrückte Parallelwelt Pferderennen

Die Pferderennbahn im Westen Dohas wird 2003 errichtet. Im Nichts. Damals, vor fast 20 Jahren, gibt es in Katar noch keine Skyline, keine WM-Stadien, keine riesige Glitzer-Welt. Aber für Pferde, die Tiere haben Tradition, investiert das Emirat gerne - der Racing & Equestrian Club (QREC) gehört der Regierung, der Sportminister ist der Boss. Nach der WM soll es vielleicht eine neue Bahn geben. Platz genug gibt es in Doha.

Pferderennen bieten überall auf der Welt eine verrückte Parallelwelt. Das gilt für Katar umso mehr. Eine zweistöckige Tribüne bietet auf der untersten Etage spezielle Plätze für die Besitzer der Tiere. Darüber kommt eine Etage mit Edel-Boxen, die von reichen Katarern angemietet werden. Aber wer es wirklich edel will, den zieht es in den zweiten Stock, in die VIP-Boxen oder gar in die Royal-Box.

Fachgespräche in Doha.

Fachgespräche in Doha.

(Foto: Stephan Uersfeld)

Dort oben herrscht sogar für katarische Verhältnisse eine andere Welt. Auf Öl-Gemälden blicken wahlweise der Emir, Tamim bin Hamad Al-Thani, und sein Ex-Emir-Vater, Hamad bin Khalifa Al-Thani, in Begleitung von wilden Pferden in der Wüste in edelst eingerichtete, laszive Räumlichkeiten. Rote Ledersofas und feine, mit blauem Stoff bezogene Sessel. Datteln liegen aus. Ein Gerät der Marke "Dr Scent" versprüht Rosenduft. Breeze of Joy steht auf der kleinen Maschine geschrieben. Untergebene Kellner servieren frisch gepressten Orangensaft, den Champagner der Länder ohne Alkoholausschank, und mit Gold überzogene Éclairs.

Der Staatengründer liebte Pferde

Blumen in den Nationalfarben des Landes verzieren in Kästen die VIP-Ränge und in Blumenbeeten das ganze Areal. Im Innenbereich sorgen üppige Bouquets mit roten und weißen Rosen für noch mehr Pomp. Im Untergeschoss, direkt neben einem weiteren Al-Thani-mit-Pferd-Porträt, wartet ein überdimensionaler Trophäen-Schrein.

Im Hintergrund funkelt das Khalifa Stadion, in dem bei der Fußball-WM Deutschland sein Japan-Debakel erlebte und am Samstag das Spiel um Platz 3 ausgetragen wird. Daneben der 300 Meter hohe Turm The Torch, dessen Form an die olympische Fackel erinnern soll. Aber Fußball interessiert auf der Rennbahn nicht. Es ist ein lauter Freitagabend, am Sonntag feiert Katar seinen Nationalfeiertag und so steigt hier vorzeitig ein Cup mit zehn Rennen, darunter die "Qatar National Day Trophy" und "The Late Sheikh Jassim Bin Mohammed Al Thani Trophy". Er ist einer der Gründer des Wüstenstaates und soll in seiner Lebenszeit von 1825 bis 1913 56 Kinder gehabt haben.

Für die Nationalfeiertag-Rennen sind die Preisgelder höher als sonst. Es geht um bis zu 400.000 Riyal pro Wettkampf, etwa 108.000 Euro. Die Parallelwelt wird umso erstaunlicher, dass sich trotzdem nur etwa 60 Zuschauer, allesamt männlich, auf den Tribünen eingefunden haben. Ein paar Arbeitsmigranten hat es auch auf die Tribünen verschlagen.

Eine kauzige Familie sitzt ketterauchend ein Stück weiter unter ihnen. Sie sehen aus wie Rennbahnbesucher bei einem Winterrennen in Dortmund-Wambel. An kleinen Holztischen sitzen die Rennpferdbesitzer, ebenfalls alle männlich, und ihre männlichen Familienmitglieder, trinken Tee und Kaffee und essen Backwaren. Die Frauen sind zuvor mit den Kindern beim Springreiten samt Zirkus und Hüpfburg rund 300 Meter entfernt auf der riesigen Anlage abgesetzt worden.

"Pferde waren unsere Flugzeuge"

Der Rasen ist saftig grün und tief. Was für eine Pflege in der Wüste. Pferderennen und Springreiten sind die einzigen Sportarten in Katar, die während der WM weiterlaufen dürfen. Selbst die traditionellen Kamelrennen pausieren bis zum Finalwochenende. "Es ergänzt sich mit dem, was bei der WM passiert. Viele Leute schauen hier in den Pausen der WM vorbei", sagt Issa bin Mohammed al Mohannadi, der Vorsitzende des QREC, im Gespräch mit ntv.de: "Der Pferdesport ist tief in unserer Kultur verwurzelt, es gibt ihn seit hunderten von Jahren. Die Kamelrennen haben aufgehört, es gibt jetzt den 'Camel World Cup', aber wir haben überhaupt keine Pause gemacht."

Die Arabischen Pferde sind der große Stolz des Landes. Auf der nahegelegenen "Al Shaqab"-Pferdesportanlange werden sie gezüchtet und aufgezogen. "Al Shaqab" wurde 1992 vom damaligen Emir Hamad Bin Khalifa Al Thani an dem Ort gegründet, an dem Staatengründer Jassim Bin Mohammed Al Thani im Jahr 1893 in einer Schlacht die Ottomanen zurückgeschlagen haben soll. Die Araber waren eine Konstante im Leben der Al Thanis während sie aus der arabischen Wüste aufbrachen und Katar zu ihrer Heimat machten. Wenig verwunderlich daher auch die Pferdegarde bei der Eröffnung der WM am 18. November 2022. "Pferde und Kamele waren immer die Freunde der Araber. Pferde waren, wenn man so will, die Flugzeuge der alten Generationen. Sie sind das schnellste Transportmittel gewesen."

Wie Katar im Pferdesport mitmischt

Ronan Thomas trägt unterdessen sein Kind in Richtung Siegerehrung, auf dem Weg zum kleinen Podest neben dem Grandstand stehen die Zuschauer Spalier für den Sportminister Salah bin Ghanim Al Ali, der die Pokale übergeben wird. Eine kleine Traube begleitet sie. Es gibt Applaus, Hände werden geschüttelt. Thomas freut sich, der Besitzer von Sealine freut sich. Alle freuen sich in diesem kleinen vertrauten Kreis, der, und da schließt sich der Bogen zu Torquator Tasso, dem Sieger des L'Arc in Paris, längst seine Gelder auch in Europa verteilt.

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"Wir sponsern L'Arc in Frankreich und Goodwood im Vereinigten Königreich", sagt al Mohannadi, der Vorsitzende des QREC, und untertreibt damit ein wenig. Der L'Arc heißt dieser Tage "Qatar Prix de l’Arc de Triomphe" und "Glorious Goodwood" ein historisches Meeting im UK heißt offiziell "Qatar Goodwood Festival". "Das, und natürlich unsere Rennen, sind für mich die Top-Rennen auf der Welt. Sie haben eine große Geschichte und einen großen Namen. Es geht für die Besitzer nicht nur ums Geld, sondern auch um den Namen, das Prestige. Diese Rennen will man einfach gewinnen." Da unterscheidet sich der Pferdesport plötzlich nicht mehr groß von der WM.

Nach dem Interview noch mal kurz auf die Edel-Toiletten mit Marmorboden und vergoldeten Wasserhähnen. Ein Arbeitsmigrant, mutmaßlich aus einem südasiatischen Land, wartet allein auf dem verwaisten stillen Örtchen. Er grüßt kaum hörbar, mit auf den Boden gesenktem Blick. Nach dem kurzen Klogang wischt er sofort durch die Kabine. Eine Parallelwelt kracht in die nächste. Die eine reich, prunkvoll und privilegiert; die andere traurig, chancenlos, elend. Die Putzkraft bleibt auf dem Klo isoliert für den Rest des Abends zurück. Bis er vermutlich ins Ghetto der Industrial Area zurückfährt, wo er in Armut mit anderen Wanderarbeitern wie Vieh eingepfercht, zu siebt in einem Zimmer haust.

Quelle: ntv.de

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