
Auch gegen Polen verzweifelte Flick manchmal.
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Drama, Alarm, Panik. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist auf der Suche: nach sich selbst, der richtigen Aufstellung - und vielleicht einem neuen Trainer? An Kandidaten mangelt es für die Heim-EM nicht, doch am Ende wird es wohl bei Hansi Flick bleiben.
Es gibt sie doch noch: die Einigkeit. Das ist vielleicht eine der wenigen guten Nachrichten nach dem miserablen Länderspiel-Hattrick der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Ukraine, Polen und Kolumbien. Derzeit überschlagen sich die Forderungen nach dem Rücktritt des Bundestrainers Hansi Flick. Schließlich liefert dieser dafür allerhand Argumente. Sein Auftreten erinnert an den späten Joachim Löw, die Spielweise seines Teams ebenso und auch von der avisierten EM-Euphorie ist nicht viel zu spüren. Ein Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Land befindet sich die DFB-Elf in einem verheerenden Zustand.
Dabei hat Flick seinem Team viel aufgebürdet. Ständig wechselt er die Aufstellungen, bietet Spieler dort auf, wo sie im Klub nicht spielen und verunsichert schlussendlich alle Beteiligten. All das sei Teil des "Prozesses". Das gilt auch für solche Auftritte wie vor dem Polen-Spiel, als er sich löwenmutterartig vor Joshua Kimmich warf: Dessen Mentalität sei vergleichbar mit jener der früheren Basketball-Superstars Michael Jordan und Kobe Bryant. Nur geholfen hat dieser Vergleich wohl niemanden. Flicks Gesamt-Analyse: Die Experimente sind "in die Hose gegangen" und "wir versuchen, es im September besser zu machen". Dann spielt das DFB-Team gegen Japan und Frankreich und im Oktober gegen die USA.
Völler: Flick ist die "ärmste Sau"
Sein Übriges trägt DFB-Sportdirektor Rudi Völler zur Krise bei, der so manche Wandlung im vergangenen halben Jahr vorantrieb. Nach der Katar-Weltmeisterschaft sollte er eigentlich für gute Stimmung sorgen, nun ist er jedoch beschäftigt, die schlechte Laune einzufangen - oder anderen die Schuld dafür zu geben. Erst sind 84,4 Millionen Menschen schuld, dass in Deutschland keine EM-Euphorie aufkommt. Dann änderte er seine Meinung über den Kader. Der war im Winter noch Weltklasse und sinngemäß auch nicht schlechter als der von Weltmeister Argentinien - mal abgesehen von Lionel Messi. Doch plötzlich fehlt bei manchen das "Top-Niveau". Völler lenkt die Debatte weg vom Trainer, auf die Spieler. Flick sei die "ärmste Sau", sagte er bei RTL. Auch Völler hat zumindest ein Stück weit sein Schicksal an das von Flick gekoppelt. Über ihn verliert er deshalb (noch) kein schlechtes Wort.
Dabei wäre genau jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Meinungswechsel bei der Trainerposition, auch wenn sich der DFB fürs Erste dagegen entschieden hat. Noch hätte die Zeit gereicht, jemanden zu finden, der mit einer klaren Idee in den nächsten Länderspiel-Hattrick gegen Frankreich, Japan und später die USA gehen könnte. Nur: Wer sollte es dann eigentlich machen? Wie immer kursiert eine lange Liste wilder Vorschläge - nicht alle ergeben Sinn.
Der erste Name, der auf der Hand liegt, ist natürlich Völler selbst. Einige Medien kommentieren den 63-Jährigen ja schon auf den Trainerposten, schließlich hat er das schon einmal gemacht. Damals, 2000, als der deutsche Fußball schon einmal am Boden lag und hierzulande noch mit D-Mark gezahlt wurde. Doch ohne seine Verdienste für den deutschen Fußball zu schmälern: Völler hat seit fast 18 Jahren keine Mannschaft mehr trainiert, seither hat sich im Fußballgeschäft dann doch einiges getan.
Der zweite Top-Coach, der zum Feuerwehrmann werden könnte, wäre Julian Nagelsmann. Von vielen gefordert und derzeit freigestellt, ist er derzeit scheinbar die Optimal-Lösung. Doch sein Rauswurf aus München ist gerade das Problem. Denn die Ex-Bayern-Bosse Kahn und Salihamidžić begründeten das panische Ende der Nagelsmannschen Ära auch damit, dass dieser angeblich die Kabine verloren habe. Auch wenn Kimmich und Goretzka das öffentlich dementiert haben, geklärt wurden diese Vorhaltungen nie. Ebenso soll Nagelsmanns Verhältnis zu Manuel Neuer ein belastetes sein. Und der ist nun mal Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Außerdem müsste für Nagelsmann eine Ablöse gezahlt werden, weil der noch bei den Bayern unter Vertrag steht.
Was wäre denn mit Sandro Wagner?
Und dahinter wird die Kandidatenliste auch schon dünn. Vielleicht Jupp Heynckes? Merken Sie selbst. Zumal der erste Zuschlag immer bei Uli Hoeneß und dem FC Bayern liegt. Was ist denn mit Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel? Mit Klopp liebäugelt der Verband zumindest schon länger. Doch beide sitzen mehr oder weniger fest im Klub-Sattel, beide sind derzeit sehr mit den Umbrüchen in ihren Klubs (Liverpool und Bayern) eingespannt. Klar, man könnte auch Carlo Ancelotti oder Zinedine Zidane fordern. Aber man kann auch einfach halbwegs realistisch bleiben. Zumal der DFB unter finanziellen Schwierigkeiten ächzt und wohl kaum irgendwelche Ablösesummen stemmen könnte.
Darüber hinaus kursieren die üblichen Verdächtigen. Etwa Matthias Sammer, vorstellbar wäre auch Ralf Rangnick, der mutmaßlich aber den gesamten Verband umkrempeln wollen würde, wie er es gerade in Österreich versucht. Fraglich, ob der DFB zu solch radikalen Umbrüchen bereit wäre. Eine spannende Lösung wäre etwa Oliver Glasner, der spätestens bei der Frankfurter Eintracht seine Liebe zum deutschen Fußball entdeckt hat. Oder Roger Schmidt, der unter der Sonne Portugals mit Benfica Lissabon von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt erfolgreich ist.
Aber was wäre beispielsweise mit jemanden Ausgefallenen? Jemand Unorthodoxes, der noch unverbraucht ist. Was wäre etwa mit Sandro Wagner? Tatsächlich lassen sich Argumente finden, die für den ehemaligen Bayern-Angreifer und kompetenten TV-Experten sprechen: Mit Unterhaching schaffte er im Sommer den Aufstieg in die dritte Liga. Sicher, sportlich ist das keine unbedingt ausreichende Qualifikation. Aber er wüsste vielleicht, wie man die bisweilen müde wirkenden Nationalspieler wieder motivieren könnte. Wenn da nicht die andere Seite wäre: diese Momente, die dann für ein Bundespräsident-artiges Amt wie dem als Bundestrainer dann doch eher schwierig sind. Dann etwa, wenn Wagner mit einem flapsigen Spruch bespielsweise ein traditionelles katarisches Gewand schmäht.
Und damit schmilzt schon vor dem Hitze-Sommer 2023 der Kreis der möglichen Auserwählten zusammen. Lothar Matthäus, der aktuell als TV-Experte seine Rolle gefunden zu haben scheint und schon als Löw-Nachfolger in der Verlosung war, wäre eine Möglichkeit. Charmant wäre Stefan Kuntz, der die U21-Nationalelf zu einer Gruppe von Titelsammlern formte. Doch auch bei ihm gibt es zwei Fallstricke: Aktuell ist er Nationalcoach in der Türkei (wenn auch nicht unumstritten, vielleicht mit DFB-Klausel?) und Flick wurde ihm bei der Löw-Nachbesetzung vorgezogen. Ob der DFB sich eingesteht, einen Fehler gemacht zu haben? Schwer vorstellbar. Am Ende bleibt es dann erst mal offensichtlich doch bei Flick.
Quelle: ntv.de