Tragik statt Barça-Wunder Bayer stümpert und verzweifelt an sich selbst
10.12.2015, 10:02 Uhr
Hakan Calhanoglu, verzweifelt: Falls Bayer mal keine Lust mehr auf das Sponsoring hat, böte sich als neuer Name Tragisch Leverkusen an.
(Foto: imago/Jürgen Schwarz)
Alles läuft für Leverkusen in der Champions League. In Rom fallen keine Tore, die Bayer-Elf stürmt und Barça wankt. Der Traum vom Achtelfinale platzt dennoch tragisch - aus einem profanen, aber entscheidenden Grund.
Am Ende mussten sie sich die Frage gefallen lassen, ob das nicht typisch sei für Bayer Leverkusen. Sie hatten doch alles versucht. Sie hatten fast alles richtig gemacht - allein, der Ball wollte nicht rein. Und selbst wenn er gewollt hätte - sie schossen ihn so schlecht, dass er gar keine Chance hatte, ins Ziel zu gelangen. Entweder sie waren zu nervös oder zu hektisch - oder beides. Und somit sorgten die Fußballer aus Leverkusen an diesem Mittwochabend selbst dafür, dass sie nicht nur aus der Champions League ausschieden, sondern das auch noch in arg bitterer Manier.
Tore: 0:1 Messi (20.), 1:1 Hernandez (23.)
Leverkusen: Leno - Hilbert, Tah, Toprak, Wendell - Kramer (90. Papadopoulos), Kampl - Bellarabi, Calhanoglu (79. Brandt), Mehmedi (70. Kießling) - Hernandez
Barcelona: ter Stegen - Adriano, Bartra, Vermaelen, Alba (74. Camara) - Kaptoum (62. Gumbau) - Rakitic, Samper - Sandro, Messi, Munir
Referee: Clattenburg Zus.: 29.412 (av)
Am Ende stand vor 29.412 Zuschauern in der ausverkauften Arena ein 1:1 (1:1), das, weil gegen den FC Barcelona erzielt, zwar achtbar ist, aber Bayer 04 nichts bringt. Während Barça bereits vorher als Sieger dieser Gruppe E feststand und ins Achtelfinale der Champions League einzieht, müssen die Leverkusener im kommenden Jahr in der Europaliga weitermachen.
Dabei hatten sie es in der Hand. Auch, weil die Partie des AS Rom gegen Bate Borisow torlos blieb. Das heißt: Ein Tor mehr, und die Leverkusener hätten tatsächlich das geschafft, was vorher allgemein als Wunder galt - gegen eine Mannschaft aus Barcelona allerdings, die sich nicht vollständig im Wettkampfmodus präsentierte, unfreiwillig auf den verletzten Neymar verzichtete und freiwillig auf Koryphäen wie Luis Suárez, Gerard Piqué und Andrés Iniesta.
"Eine Floskel, die es seit 1000 Jahren gibt"
Leverkusens Trainer Roger Schmidt zeigte sich nach diesem für ihn und seinen Verein höchst ärgerlichen Remis dementsprechend mäßig gelaunt und fast geknickt. "Unfassbar, dass wir dieses Spiel nicht gewonnen haben. Das ist natürlich tragisch vor dem Hintergrund, dass sich Rom und Borisow unentschieden getrennt haben." Er hatte ja wie alle anderen auch gesehen, welche Chancen seine Schützlinge vergeben hatten, allen voran Hakan Calhanoglu, Karim Bellarabi, der zwanzig Minuten vor dem Ende der Partie eingewechselte Stefan Kießling und, kurz vor Schluss, Jonatan Tah. Spieler also, die ansonsten durchaus in der Lage sind, den Ball dort unterzubringen, wo sie ihn hin haben wollen, selbst wenn einer wie Marc-André ter Stegen zwischen ihnen und dem Tor steht.
An diesem Abend aber hat das nicht geklappt. "Wir sind an unserer Chancenverwertung gescheitert - und müssen akzeptieren, dass wir offensichtlich noch nicht reif genug sind, ins Achtelfinale der Champions League einzuziehen." Ob's an der Mentalität der Spieler lag? "Das ist so eine Floskel, die es seit 1000 Jahren gibt. Wir hatten schon den Biss und den Willen, den Ball im Tor unterzubringen." Letztlich habe es an der Präzision gefehlt. Kurzum: "Heute bin ich einfach mega enttäuscht. Es passt vielleicht zu unserer Saison in der Champions League und zur ganzen Saison überhaupt, dass uns in den entscheidenden Momenten das Schlachtenglück fehlt, dass wir heute gut hätten gebrauchen können."
Zweikampf mit dem Mitspieler
Zwei seiner Spieler hatten tatsächlich den Tunnelblick, so sehr, dass sie aneinandergerieten: Javier Hernández, der nach 23 Minuten die Führung durch Lionel Messi (20.) ausgeglichen hatte, und der deutsche Nationalspieler Bellarabi. Der nämlich hatte kurz vor dem Abpfiff den Ball unbedacht aus weiter Ferne aufs Tor geschossen, anstatt ihn an seinen Kollegen weiterzuleiten, der im Strafraum Barcelonas wesentlich besser positioniert war - was Hernández so nicht auf sich beruhen lassen wollte. Wütend stürmte er auf den Kollegen zu, gestikulierte, schubste ihn kurz und machte ihm unmissverständlich klar: das war Mist. Ihr Trainer allerdings wollte diese Szene nicht gesehen haben: "Deswegen kann ich sie auch nicht kommentieren."
Irgendjemand hat Schmidt dann noch gefragt, ob er sich denn nun auf die Europaliga freue. Das fiel dem Trainer in diesem Moment sichtlich schwer. Sei aber ein super Wettbewerb. "Und klar werden wir das ernst nehmen." Was soll er auch sagen? Und dann wurde es grundsätzlich: Was fehlt den Leverkusener in dieser Saison? Und hat die Mannschaft, im Vergleich zur Vorsaison, nicht sich zurückentwickelt? "Heute haben die Spieler unser System sehr gut umgesetzt." Das sei nicht das Problem gewesen.
In der Tat hatten sich die Leverkusener dem Favoriten mutig und angriffslustig entgegengestellt. Allein, der Ball wollte nicht rein. System hin, aggressives Pressing und schnelles Umschaltspiel her - manchmal kann Fußball auch ganz einfach sein. Oder unendlich schwer.
Quelle: ntv.de