Tognoni sieht Uefa in der Pflicht "Blatters Juristen dösen nicht vor sich hin"
03.06.2015, 14:35 Uhr
Joseph Blatter tritt zurück. Die Fifa liegt am Boden. Der Fußballweltverband ist von Korruption und illegalen Machenschaften unterwandert. Was nun? Warum lässt sich Blatter erst wählen und tritt dann völlig überraschend zurück? Was passiert jetzt mit der Fifa? Ist der Weltverband am Ende? Und was ist eigentlich mit den umstrittenen Weltmeisterschaften in Russland und Katar? Es gibt aber auch genug juristische Unklarheiten. Und wie ist die Situation ethisch zu bewerten? Der Fifa-Skandal hinterlässt so viele offene Fragen. Wir haben mit dem ehemaligen Fifa-Mediendirektor (1984 bis 1995) und Marketingchef (2001 bis 2003), Guido Tognoni, gesprochen und ihm jene Fragen gestellt, die sich einen Tag nach dem Rücktritt aufdrängen.
n-tv.de: Am Dienstagabend überrascht Joseph Blatter mit seinem Rücktritt als Fifa-Chef. Ist sein Rücktritt richtig oder gar unvermeidlich nach den Ermittlungen gegen Generalsekretär Jerome Valcke wegen einer Zehn-Millionen-Euro-Überweisung von einem Fifa-Konto zum Stimmenkauf für die WM 2010 in Südafrika?

Guido Tognoni findet den Rücktritt Blatters richtig. Ob er unvermeidlich war? Das müssten die Ermittlungen erst noch zeigen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Tognoni: Der Rücktritt von Joseph Blatter hat uns alle überrascht. Aber ich denke, dass die von Ihnen angesprochene Überweisung nur ein Randaspekt bei seiner Entscheidung war. Der Rücktritt ist aus Sicht des Fußballs absolut richtig. Aber ob er auch unvermeidlich war? Das müssen die nächsten Tage und Wochen zeigen. Erst wenn wir wissen, was die US-Justiz der Fifa und möglicherweise auch Sepp Blatter vorwirft, lässt sich die Qualität seines Rücktritts bewerten.
Was wissen Sie gegenwärtig über die Vorwürfe, die gegen Blatter erhoben werden?
Ich weiß auch nicht mehr, als das, worüber derzeit in den Medien spekuliert wird. Aber Blatter dürfte natürlich mehr wissen. Es ist daher nicht anzunehmen, dass seine Juristen einfach nur vor sich hindösen und warten, bis die nächste Aktion der US-Justiz publik wird.
Nicht nur bei den Medien hat Blatter kein gutes Standing. Viele Fans haben ihn regelrecht zu ihrer Hassfigur gemacht. Warum eigentlich?
Ich denke, das ist ganz einfach. Man darf die Fifa schon seit längerer Zeit nach mehrfach erwiesener Korruption zahlreicher Funktionäre als kriminelle Organisation bezeichnen. Und Blatter ist das Gesicht der Fifa. Und selbst wenn er juristisch nicht für den Zustand des Verbands verantwortlich ist, so ist er es doch auf jeden Fall politisch.
Blatter war 17 Jahre Präsident der Fifa. Und wer jetzt zurückblickt, der sieht nur das Negative. Sie selbst haben mehrere Jahre unter ihm gearbeitet. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Das lässt sich ganz kurz zusammenfassen: Die wirtschaftliche Bilanz ist hervorragend, die ethische katastrophal.
Was muss denn nun bei der Fifa passieren, damit es weitergehen kann? Und wie lässt sich die verspielte Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?
Es braucht zuallererst sowohl neue Gesichter als auch neue Strukturen. Darüber hinaus braucht es Amtszeitbeschränkungen und ein neues Wahlrecht. Dass Liechtenstein im Kongress das gleiche Gewicht wie Deutschland hat, ist ein Witz. Die Realität des heutigen Fußballs muss sich auch in der Fifa widerspiegeln.
Dann konkretisieren Sie doch mal: Wer kann denn die Fifa jetzt überhaupt noch retten?
Zunächst einmal: Die Fifa ist in einer schweren Krise, aber sie ist deswegen keineswegs am Ende. Die großen Verbände, zum Beispiel der Deutsche Fußball-Bund, müssen aus ihrer politischen Lethargie erwachen und der Fifa neues Leben einhauchen. Die Uefa darf nicht mehr als das von Blatter gepflegte Feindbild betrachtet werden und muss sich als führende, aber auch vertrauensvolle Konföderation positionieren.
Wer darf sich eigentlich alles zur Wahl des Präsidenten stellen?
Ganz einfach: Jeder, der von mindestens fünf Verbänden vorgeschlagen wird und keine kriminelle Vergangenheit hat.
Kommen wir zum Abschluss noch zum Thema WM-Vergabe: Müssen die umstrittenen Weltmeisterschaften 2018 in Russland und vier Jahre später in Katar im Nachgang der aktuellen Ermittlungen noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden?
Ganz ehrlich? Ob Prüfstand oder nicht: Eine Verlegung der Weltmeisterschaften würde weder von Russland noch Katar hingenommen.
Quelle: ntv.de