Fußball

Friede der Loge, Krieg der Kurve DFB-Präsident Keller sucht den Konflikt

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Von Zauber keine Spur: Fritz Keller.

(Foto: imago images/Martin Hoffmann)

Fritz Keller sollte den Aufbruch verkörpern beim Deutschen Fußballbund. Doch sein merkwürdiger Auftritt im "Sportstudio" beschädigt den Hoffnungsträger, der in Sachen Rassismus unwissend agiert und den aktiven Fans realitätsfremd vor den Kopf stößt.

Jedem Neuanfang wohnt ein Zauber inne. Erst recht, wenn die Vergangenheit schmerzt. Fritz Keller sollte das Gesicht dieses Neuanfangs sein beim Deutschen Fußballbund. Sein Vorgänger Reinhard Grindel war über eine Luxusuhr gefallen und ohnehin an allen Fronten gescheitert: Der Fall Özil, die Nibelungentreue zu Joachim Löw, die fehlende Aufklärung des gekauften Sommermärchens, die wachsende Kluft zwischen Amateuren und Profis, die vergiftete Atmosphäre zwischen Vereinen, Verbänden und Fans - dieses schwere Bündel lastet seit September 2019 auf Kellers Schultern.

Lobeshymnen begleiteten seine Wahl zum DFB-Präsidenten. Glaubwürdig sei dieser Keller, fachlich kompetent, bodenständig, kurz: "Die richtige Wahl", wie Uli Hoeneß es ausdrückte. Doch wer dem Hoffnungsträger Fritz Keller am Samstag im "Aktuellen Sportstudio" lauschte, dem könnten einige andere Attribute in den Sinn kommen: realitätsfremd, abgehoben, unwissend, bigott. Von Zauber keine Spur. Nur von Vergangenheit.

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Bayern-Block in Sinsheim.

(Foto: imago images/Jan Huebner)

Natürlich startete Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein mit dem Aufreger des Tages in das Gespräch: die Spielunterbrechungen in Sinsheim, über die auch an dieser Stelle schon viel geschrieben wurde, zum Beispiel hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier. Trotzdem, nur zur Einordnung, noch einmal der Sachverhalt: Im Block mit den Fans des FC Bayern hingen Plakate mit Beleidigungen gegen den Hoffenheimer Geldgeber Dietmar Hopp. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Schutz für einen, der keinen braucht

Keller stieg jedoch ganz auf die Linie der Fußball-Elite von Karl-Heinz Rummenigge bis Michael Zorc ein: "Ich glaube wir sind wirklich am Tiefpunkt angekommen." Es gehe "nur mit Solidarität" weiter, für die "Sauberkeit im Sport". Nochmal: Es ging um Beleidigungen gegen Hopp. Nicht um die schwarzen Kassen für das Sommermärchen, nicht um die Gauner bei der Fifa, nicht um tote Arbeiter auf den Baustellen für die Winter-WM in Katar. Für den DFB-Präsidenten Keller, der über sieben Millionen Mitglieder vertritt, ist das Maß voll, wenn ein Milliardär beleidigt wird. Ein Mann, der sich die besten Anwälte leisten kann, und das auch tut. Seit Jahren überzieht Hopp Fans mit Prozessen.

Christian Bartlau

Christian Bartlau ist ein guter Bekannter der Redaktion. Er hat für ntv.de aus Bundesliga-Stadien, von der Champions League und der deutschen Nationalmannschaft berichtet, erst als Sportredakteur, seit 2015 als freier Autor. Mit dem WM-Finale 2018 hat er Schluss gemacht, sein Text "Es reicht endgültig, moderner Fußball" für ntv.de gab den Anstoß für sein Buch "Ballverlust". Langweilig wird ihm auch ohne Fußball nicht: Er lebt in Österreich und schreibt über das Land, natürlich auch für ntv.de.

Um zu erkennen, wer ihren Chef den Sohn einer Sexarbeiterin nennt, hat die TSG übrigens Richtmikrofone im Stadion installiert. Hopp braucht keinen besonderen Schutz. Jordan Torunarigha hätte ihn gebraucht, bekam aber Gelb-Rot. Der Hertha-BSC-Profi wurde Opfer von rassistischen Beleidigungen. Was aber wäre passiert, wenn er vom Platz gegangen wäre und seine Kollegen gleich mit? Da wurde Keller vom engagierten Antirassisten ("Die dümmste Form von Hass") plötzlich zum Paragrafenreiter: "Es gibt Gesetzgebungen, Verordnungen, Regeln, die von der Fifa gemacht worden sind." Sprich: Niederlage am Grünen Tisch, da kann man leider nichts machen, Pech gehabt.

Überhaupt wurde man das Gefühl nicht los, der DFB-Präsident könnte beim Thema Rassismus ein wenig Nachhilfe gebrauchen: Keller behauptete, England sei weiter im Kampf gegen Rassismus, weil das Problem dort einfach schon viel länger bestehe. Ein Lapsus? Eher nicht, er legte nach: Es wolle ihm nicht in den Kopf, wie so viele Jahre nach dem Krieg Rassismus wieder ein Problem werde in Deutschland. Wieder?

Keller ist 62 Jahre alt. Selbst wenn er als Winzer und Gastronom schwer beschäftigt war, wird ihm doch Lichtenhagen etwas sagen? Solingen? Die NSU-Morde? Im Fußball arbeitet er seit 1994. Er muss doch einmal das U-Bahnlied im Stadion mitbekommen haben. Reichskriegsflaggen bei Auswärtsspielen der Nationalmannschaft. Rechte Hooligans bei der WM in Frankreich. Oder will der Präsident des weltgrößten Sportfachverbands so tun, als sei Rassismus in deutschen Stadien im Jahr 2020 ein relativ neues Phänomen? Das würde zwar erklären, warum sich der DFB auf diesem Feld regelmäßig blamiert. Kellers Ernst kann das nicht sein.

Rassismus? Doch nicht hier am Buffet ...

Die Erklärung für Kellers merkwürdigen Ansichten liegt wahrscheinlich in der Sichtweise: Wer das Spiel nur vor dem Fernseher oder von den VIP-Bereichen der Bundesliga-Stadien aus betrachtet, hält den Fußball einfach nur für das porentief reine Hochglanzprodukt, das die Werbeträger von Coca Cola bis SAP so gern sehen. Der tiefverwurzelte Rassismus, der vor allem in den unteren Ligen überdauerte und nun einfach wieder lauter wird, lässt sich von den Logen aus so wunderbar übersehen.

Nicht nur das: Was in der Kurve passiert, was die Fans umtreibt, interessiert am Fünf-Sterne Buffet niemanden. Mucken sie auf, werden sie laut und unbequem, verweisen die Funktionäre sie an ihren Platz. Bei Keller klang das im "Sportstudio" so: Die Vereine sollten "überlegen, wem sie Tickets geben". Schließlich handele es sich um "Chaoten, die das Spiel zerstören wollen." Sagt der Mann, der Ende der Woche lächelnd dem Fifa-Boss Gianni Infantino die Hand drückte. Ein Treffen vor dem Prozess um das gekaufte Sommermärchen. Was dort wohl besprochen wurde? Auskünfte dazu gibt der DFB nicht, so weit geht die neue Transparenz nun nicht. Wann es die denn nun gebe, wollte Katrin Müller-Hohenstein im "Sportstudio" wissen. Gegenfrage Keller: "Wie soll ich als einfacher Fußballfunktionär diese Wahrheit herauskriegen?" Tja, wenn man nur als Präsident des DFB irgendetwas tun könnte ... Vielleicht könnte sich der DFB ja, nur so ein Vorschlag, im Prozess um das Sommermärchen nicht so "obskur" verhalten, wie es der in Fifa-Korruptionssachen bestens informierte SZ-Journalist Thomas Kistner ausdrückte.

Was die Fans denken? Egal

Wer mit dem Foto des glücklichen Paares Keller und Infantino in der Hand durch die Kurven der Bundesliga laufen würde und die Frage stellte, wer hier das Spiel zerstört, die meisten Menschen dürften mit dem Finger auf den Glatzkopf zeigen. Und wenn Fritz Keller nicht aufpasst, tippen sie danach auch noch auf den DFB-Präsidenten.

Die harte Gangart Kellers im "Sportstudio" gegen die angeblichen "Chaoten" in den Kurven der Liga wirft eine Frage auf: Weiß er schlicht nicht, was Hopp symbolisiert? Weiß er nicht, welcher Stellvertreterkrieg über den Hoffenheimer Boss ausgetragen wird? Eigentlich unmöglich: Die Diskussion um den überbordenden Kommerz, die wachsende Entfremdung der kritischen Teile der Fans - das kann einem DFB-Chef nicht entgehen. Also blendet er diese Perspektive absichtlich aus. Die Sicht der aktiven Fans ist Keller offenbar komplett egal. Und das, obwohl gerade sie es sind, die mit Initiativen gegen Rassismus, Antisemitismus und Homophobie wertvolle Aufklärungsarbeit geleistet haben. Und leisten mussten, weil der DFB sie lange genug allein gelassen und weggeschaut hat. Bis die Kurven sich den falschen Feind ausgesucht haben. Einen aus den VIP-Logen.

Man kann das alles so machen wie der DFB-Präsident. Aber dann muss man mit dem Vorwurf leben, man sei ein Boss für die Bosse. Als solcher hat Keller den aktiven Fans gestern im "Sportstudio" erklärt, nach welcher Losung der DFB in die Zukunft gehen will: Friede den Logen, Krieg den Kurven.

Quelle: ntv.de

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