"Politische Verantwortung" DFB-Präsident Niersbach tritt zurück
09.11.2015, 18:11 Uhr
Ex-DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
(Foto: dpa)
Der angezählte DFB-Boss Wolfgang Niersbach stellt sein Amt mit sofortiger Wirkung zur Verfügung. Grund sollen neue Erkenntnisse der externen DFB-Ermittler in der WM-Affäre sein. Eine persönliche Verwicklung in die dubiose Millionenzahlung an die Fifa bestreitet Niersbach weiter.
Es ist ein Abgang mit Ansage, der trotzdem neue Fragezeichen hinterlässt: Wolfgang Niersbach ist nicht länger Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Nach einer Krisensitzung des DFB-Präsidiums zur Affäre um verschwundene 6,7 Millionen Euro und eine mutmaßlich gekaufte Fußball-WM 2006 stellte der 64-Jährige sein Amt zur Verfügung. Es seien Dinge passiert, die ihn veranlassten, mit sofortiger Wirkung zurückzutreten, teilte Niersbach in Frankfurt/Main mit und sprach von "politischer Verantwortung" als Grund für seine Entscheidung. Die Verantwortung für den DFB übernehmen vorerst die beiden Vizepräsidenten Reinhard Rauball und Rainer Koch.
O bwohl Niersbach in den vergangenen Wochen massiv unter Druck geraten war und sich mit einem amateurhaften Krisenmanagement in Widersprüche verwickelt hatte, soll der Grund für seinen Rücktritt kein Vertrauensentzug des DFB-Präsidiums sein. Stattdessen seien die externen DFB-Ermittler der Kanzlei Freshfields auf neue Erkenntnisse bei ihren Ermittlungen zum "Spiegel"-Vorwurf einer gekauften Fußball-WM 2006 gestoßen, die dem Präsidium heute in Form eines Zwischenberichts vorgelegt worden seien. Das berichtet der Bezahlsender Sky, der über "drastische" neue Erkenntnisse spekulierte. Demnach habe die DFB-Krisensitzung nicht um 14.30 Uhr begonnen, sondern erst um 15 Uhr, weil Niersbach erst verspätet eingetroffen sei.
Welcher Form die vermeintlichen neuen Erkenntnisse sein könnten, blieb jedoch völlig im Dunkeln. Nähere Angaben dazu machten weder Niersbach noch Rauball und Koch bei ihren Erklärungen zum Rücktritt des DFB-Präsidenten. Ebenso offen blieb, warum Niersbach nun plötzlich Verantwortung für Vorgänge übernimmt, die er nach eigener Aussage und Darstellung des DFB gar nicht zu verantworten hatte. Zumal er sich vor der DFB-Krisensitzung noch betont optimistisch geäußert hatte, gegenüber dem Präsidium und der Öffentlichkeit für Aufklärung sorgen zu können.
Schwere Vorwürfe, wenig Antworten
Der 64-jährige war im Skandal um dubiose Geldflüsse vor der WM 2006 von seinem Amtsvorgänger beim DFB, Theo Zwanziger, schwer belastet worden. Eine persönliche Verwicklung in die dubiose Millionenzahlung wies Niersbach aber erneut von sich. In seinen Zuständigkeitsbereichen "Marketing, Medien, Akkreditierungen und Veranstaltungsorganisation" habe er sich persönlich "absolut nichts vorzuwerfen", hieß es in der offiziellen Stellungnahme zu seinem Rücktritt: "Umso deprimierender und schmerzhafter ist es für mich, neun Jahre später mit Vorgängen konfrontiert zu werden, in die ich damals nicht einbezogen war und die auch für mich viele Fragen offen lassen."
Er habe aber erkannt, "dass der Punkt gekommen ist, die Verantwortung zu übernehmen für ein politisches Ereignis um die WM 2006. Das Amt des Präsidenten darf nicht beschädigt werden", sagte Niersbach, nachdem ihm genau das angesichts eines miserablen Krisenmanagements seit Bekanntwerden der "Spiegel"-Vorwürfe am 16. Oktober vorgeworfen worden war (Zur Chronologie der WM-Affäre). Seine Ämter im Fußball-Weltverband Fifa und in der Europäischen Fußball-Union Uefa wird Niersbach auf ausdrücklichen Wunsch des DFB-Präsidiums weiterführen.
Großrazzia der Steuerfahndung
In der vergangenen Woche durchsuchte die Steuerfahndung sowohl die Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt als auch Niersbachs Privatwohnsitz in Dreieich. Der Vorwurf lautet auf Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall, da die Rückzahlung eines 6,7-Millionen-Euro-Darlehens an Robert Louis-Dreyfus über den Fußball-Weltverband Fifa in der Steuererklärung wahrheitswidrig als Betriebsausgaben steuermindernd geltend gemacht worden waren.
Am Wochenende war Niersbach durch handschriftliche Notizen auf einem Briefentwurf aus dem Jahr 2004 schwer belastet worden, die der "Spiegel" veröffentlicht hatte. Sollten diese tatsächlich von Niersbach stammen, wäre klar, dass er nicht wie behauptet erst diesen Sommer von den Millionentransfers im Zuge der Vorbereitungen für die Weltmeisterschaft 2006 erfahren hätte.
"Es scheint so zu sein, dass Niersbach gelogen hat", zitierte die "Bild"-Zeitung auf Twitter das DFB-Präsidiumsmitglied Rolf Hocke nach der Krisensitzung. In seiner Rücktrittserklärung nahm Niersbach dazu keine Stellung. Er betonte vielmehr: "Ich bleibe dabei und möchte noch einmal unmissverständlich klarstellen, dass ich von den Hintergründen der im Raum stehenden Zahlungsflüsse keinerlei Kenntnis hatte. Umso schwerer ist mir die Entscheidung gefallen, die politische Konsequenz daraus zu ziehen."
Zwanziger kooperiert nicht länger
Der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger, der Niersbach inzwischen in herzlicher Abneigung verbunden ist, wollte den Rücktritt inhaltlich nicht kommentieren. "Das ist eine Sache, die den DFB und Wolfgang Niersbach betreffen, das habe ich nicht zu bewerten", sagte Zwanziger der Deutschen Presse-Agentur.
Zuvor hatte Zwanziger seine Kooperation mit den externen Ermittlern des DFB aufgekündigt. Grund seien Zweifel an der Neutralität der Kanzlei Freshfields durch deren angebliche Verbindungen zum früheren Fifa-Funktionär Mohamed bin Hammam und zum Staat Katar. In einem Brief an den DFB hieß es: "Es ist vor diesem Hintergrund schlechterdings unvorstellbar, dass (...) es zu einer weitergehend unvoreingenommenen Untersuchung kommen kann." Bin Hammam gilt als möglicher Empfänger der 6,7 Millionen Euro, die das WM-Organisationskomitee 2005 an die Fifa gezahlt hatte.
Quelle: ntv.de