Fußball

"Klarheit" dringend erwünscht Das Trainer-Dilemma zerrt arg am DFB-Team

Der Abend in Bochum verläuft positiv, gut ist deswegen aber längst nicht alles.

Der Abend in Bochum verläuft positiv, gut ist deswegen aber längst nicht alles.

(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)

Der erste Sieg nach dem WM-Debakel bringt den DFB-Frauen große Erleichterung. Doch gut ist deswegen längst nicht alles, vor allem die ungeklärte Trainer-Frage zerrt an den Nerven. Der Gesundheitszustand und die Zukunft von Martina Voss-Tecklenburg sind unklar. Das sorgt für Gerüchte.

Erleichterung, Freude, es geht doch noch: Die Frauen des Deutschen Fußball-Bundes siegen, gewinnen ein Spiel souverän und ungefährdet. Zeigen dabei Spielfreude und Selbstbewusstsein. Das hatte es seit dem furiosen Auftaktspiel bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland, als die DFB-Auswahl mit 6:0 über den WM-Neuling und späteren Achtelfinalisten Marokko siegte und auf ein großes Turnier hoffen ließ, nicht mehr geschafft. Doch gegen Island, im zweiten Spiel der Nations League, gewinnen die Frauen um Kapitänin Alexandra Popp mit 4:0 und sichern sich die ersten drei Punkte im Kampf um das Ticket für die Olympischen Spiele in Paris 2024.

Der freie Fall, den das Team in den letzten Wochen erlebt hatte, ist gestoppt. Auf die Nachspielzeit-Pleite gegen Kolumbien und das das Vorrunden-Aus bedeutende Remis gegen Südkorea bei der WM, auf die 0:2-Niederlage im Premierenspiel der neu geschaffenen Nations League gegen Dänemark, folgt endlich mal wieder ein Sieg, folgen erleichterte und glückliche Gesichter nach dem Abpfiff.

Doch eine Personalie überlagert die gute Stimmung: Martina Voss-Tecklenburg. Die Bundestrainerin, die seit der WM wegen einer Erkrankung fehlt. Die WM habe "Martina sehr mitgenommen", wurde ihr Mann Hermann Tecklenburg zitiert. "Sie ist schon krank aus Australien wiedergekommen, sie war mental und körperlich angeschlagen." Die 55-Jährige ist nicht in Bochum, und doch ist sie das Hauptgesprächsthema des Abends. Die Spielerinnen wünschen sich "Klarheit", wie es mit dem Team, mit der Teamleitung weitergeht. Da täuscht auch nicht das gelungene Spiel gegen den Underdog aus Island drüber hinweg. Der Schwebezustand gefällt keiner.

"An der Zeit, dass eine Entscheidung getroffen wird"

Ob bis zum 27. Oktober, wenn in Sinsheim das nächste Spiel der Nations League gegen Wales ansteht, bevor vier Tage später das Spiel in Island folgt, eine Entscheidung getroffen sein muss, wurde Mittelfeldspielerin Lena Lattwein gefragt. Ihre Antwort: "Meiner Meinung nach ja. Es ist für uns alle keine schöne Situation, dass man keine Gewissheit hat." Die Frau vom VfL Wolfsburg erklärte: "Ich weiß, es sind zwei Paar Schuhe, das, was auf dem Platz passiert und das, was im Hintergrund läuft, aber irgendwie belastet das uns doch und wir können es nicht ganz ausblenden. Es ist an der Zeit, dass eine Entscheidung getroffen wird und Klarheit besteht."

Und damit steht sie nicht allein da. Auch Kapitänin Alexandra Popp sagte: "Es ist eine sehr, sehr schwierige Situation. Wir hoffen, dass Martina gesund wird. Aber natürlich benötigen wir als Mannschaft Klarheit, wie es ganz genau weitergeht. Von daher werden wir natürlich auch in den Austausch mit dem DFB gehen, ob wir es so weitermachen oder auch nicht. Da sind mehrere Faktoren entscheidend. Am Ende entscheidet sowieso der Verband." Auch Sydney Lohmann vom FC Bayern wünschte sich eine "schnelle Lösung".

Interims-Bundestrainerin Britta Carlson erklärte, mit ihrer eigentlichen Chefin zuletzt nicht gesprochen, sondern ihr lediglich Textnachrichten geschickt zu haben: "Wir haben nicht viel Kontakt, ich habe sie in Ruhe gelassen, ich finde, das gehört sich auch so. Ich habe sie über die wichtigen Dinge informiert, es ist ein formeller Austausch. Zum Beispiel, dass Melli zurückgetreten ist, das sollte sie nicht aus der Presse erfahren. Aber es ist so, dass wir eine Fürsorgepflicht haben und ich gar nicht viel zu ihrem Gesundheitszustand sagen kann." Auch die Spielerinnen betonten, nicht zu wissen, wie es Voss-Tecklenburg geht.

Übernimmt Kuntz?

Ob sie selbst bei den Partien im Oktober noch einmal als Vertretung an der Seite stehen würde, wurde Carlson gefragt. Dazu könne sie gar nichts sagen, "das liegt nicht in meinen Händen". Sie erklärte: "Ich weiß nicht, wie lange Martina krank ist, ich weiß nicht, was die Analyse nachher bedeutet. Aber wir wünschen uns, dass es eine Klarheit gibt, sowohl für die Spielerinnen als auch fürs Trainerteam." Vertraglich sei dies allerdings möglich, so die 45-Jährige.

Dass sie es jedoch ausschließt, das Team auf Dauer zu übernehmen, hatte sie bereits zu Beginn dieses DFB-Lehrgangs betont. "Ich bin gerne Co-Trainerin. Ich glaube, das ist das, was ich sehr gut kann", hatte sie in der vergangenen Woche gesagt. Sie könne sich vorstellen, irgendwann mal Cheftrainerin zu sein - "aber das eher auf Vereinsebene. Das kommt für mich auf nationaler Ebene nicht infrage." Und so sprießen die Gerüchte. Denn selbst, wenn Voss-Tecklenburg bald wieder gesund wird, ist nicht automatisch sicher, dass sie Bundestrainerin bleibt. Historisch schwach lief die WM, die Spielerinnen wünschten sich "einen neuen Impuls", wurde überliefert. Die 55-Jährige konnte sich selbst wegen ihrer Erkrankung noch nicht äußern, die WM-Analyse liegt auf Eis. Der DFB hatte klargestellt, in der "ungewöhnlichen Situation" abwarten zu wollen, bis Voss-Tecklenburg wieder gesund wird. Das gebietet der Anstand, sorgt allerdings für das derzeitige Dilemma.

Die "Sport Bild" hatte vor Anpfiff den gerade in der Türkei entlassenen Stefan Kuntz ins Spiel gebracht, sollte Voss-Tecklenburg nicht weitermachen. Ein Gerücht, das der DFB nicht kommentieren wollte. Die potenziell interessante Kandidatin Inka Grings steht im Schweizer Nationalteam Berichten zufolge unter Druck, laut "Blick" soll es intern einen Machtkampf zwischen ihr und den Führungsspielerinnen geben. Die Eidgenössinnen verloren in den ersten beiden Partien der Nations League 0:1 gegen Italien sowie 0:5 gegen die Weltmeisterinnen aus Spanien.

Bühl mit sehenswertem Doppelpack

Im Gegensatz dazu lief es für die DFB-Auswahl in Bochum glänzend. "Oh wie ist das schön", sangen die 14.998 Fans im - soweit es von der UEFA gestattet war - ausverkauften Ruhrstadion. Das hatte es lange nicht gegeben, dazu hatte das Team zuletzt keinen Anlass gegeben. Es war erst der vierte Sieg im zehnten Länderspiel des Jahres. Es war ein deutlicher, einer, der anders als der Sieg etwa gegen Vietnam (1:0) im Vorfeld der WM, nicht als schmeichelhaft eingestuft werden muss. Allerdings ist Island, bei dem auch noch eine der Besten, Mittelfeldspielerin Sveindis Jonsdottir vom VfL Wolfsburg fehlte, deutlich schwächer einzuordnen als etwa Dänemark.

Das DFB-Team zeigte von Beginn an Spielfreude und Entschlossenheit, setzte in die Tat um, was es sich zuvor vorgenommen und angekündigt hatte: Deutlich zu zeigen, dass es gewinnen will. Über große Teile der Partie schnürte die DFB-Elf die Isländerinnen am eigenen Strafraum ein. Die besonders auffällige Klara Bühl traf gleich zweimal mit sehenswerten, satten Schüssen (19./78.), Giulia Gwinn schnappte sich bei ihrer Startelf-Rückkehr nach Kreuzbandriss den anstehenden Foulelfmeter und traf (35.) und auch die eingewechselte Lea Schüller belohnte sich für ihr engagiertes Spiel (68.). Bemerkenswert war auch das Spiel von Sarai Linder. Die Hoffenheimerin, die vor der WM noch aus dem endgültigen Kader gestrichen worden war, dominierte auf der Außenbahn und brachte sich für die Zukunft ins Gespräch.

"Es fühlt sich sehr gut an. Es ist schon eine Weile her, dass man sich so freuen durfte nach einem Spiel", sagte Lohmann. Gwinn betonte: "Die Zuschauer haben uns getragen, es war Leben im Stadion. Es tut uns sehr, sehr gut, dass zuletzt nach nicht guten Ergebnissen die Leute ins Stadion kommen und uns unterstützen. Ich hoffe, wir konnten heute einiges wieder zurückgeben." Schließlich habe ihr Team ein "anderes Gesicht gezeigt".

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Doch die Frauen sind selbstkritisch genug, um die Leistung nicht überzubewerten. "So ein richtiger Befreiungsschlag wäre es, wenn wir das zwei-, dreimal in Folge hinkriegen. Ein Spiel reicht nicht. Wir wollen in jedem Spiel das Feuer auf den Platz bringen", sagte Laura Freigang. Noch immer ist das Olympia-Ticket in weiter Ferne. Für dieses muss das DFB-Team die Nations-League-Gruppe gewinnen und beim anschließenden Mini-Turnier der vier Gruppensiegerinnen voraussichtlich bis ins Finale einziehen. Da die Däninnen auch ihr zweites Spiel gegen Wales souverän mit 5:1 gewannen, sind sie den Deutschen bislang voraus.

Doch Britta Carlson wollte nach Abpfiff das Positive betonen. Es sei schön gewesen, die Reaktion nach der Pleite gegen Dänemark zu sehen. Und: "Alle Spielerinnen gehen mit einem Lächeln nach Hause." Wäre da nicht die Unsicherheit bezüglich der Trainerfrage.

Quelle: ntv.de

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