Hodentumor bei Sébastien Haller Das sind die Folgen für Borussia Dortmund
19.07.2022, 08:15 Uhr Artikel anhören
Sébastien Haller mit Nico Schlotterbeck beim öffentlichen Training in Dortmund Mitte Juli.
(Foto: picture alliance / DeFodi Images)
Sébastien Haller ist der Königstransfer von Borussia Dortmund. Mit dem Nachfolger von Erling Haaland soll der Angriff auf die Bayern gestartet werden. Doch bevor er erstmals für den BVB auflaufen kann, erhält der Ivorer die Schock-Diagnose Hodentumor. In Dortmund wachsen die Probleme.
Was für ein Horror für Sébastien Haller. Gerade erst war der ehemalige Frankfurter mit großen Hoffnungen zurück in die Bundesliga gewechselt. Bei Borussia Dortmund sollte der 28-jährige Ivorer keinen anderen als den zu Manchester City abgewanderten Erling Haaland ersetzen und dabei seine eigene Duftmarke setzen. Er war der Königstransfers des Vereins aus dem Ruhrgebiet.
"Ein Erbe macht mich müde. Jedes Mal, wenn ich wechsele, komme ich, um jemanden zu ersetzen. Dortmund hat Sébastien Haller verpflichtet, nicht Erling Haaland. Ich habe meine eigenen Qualitäten und will die einbringen", erklärte er noch am Sonntag im Trainingslager der Dortmunder. Einen Tag später klagte er nach dem morgendlichen Training über Unwohlsein, wenige Stunden später schon wurde bei ihm ein Tumor in den Hoden diagnostiziert. Er reiste direkt aus dem Trainingslager ab. Zurück in seine neue Heimat, wo in den kommenden Tagen in einem spezialisierten medizinischen Zentrum weitere Untersuchungen stattfinden sollen.
"Wir sind natürlich alle im Schockzustand", sagte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke dem Sportinformationsdienst: "Unsere Gedanken sind bei Sébastien und seiner Familie. Das Wichtigste ist jetzt, dass er wieder gesund wird." Der neue Sportdirektor Sebastian Kehl hatte vorher in der Pressemitteilung ähnliche Worte benutzt. Es sei ein "Schock für Sébastien Haller und uns alle", sagte der 42-Jährige und versprach die "bestmögliche Behandlung" für den Ivorer, dem sportliche Dinge in den nächsten Monaten erst einmal egal sein dürften. Für ihn geht es jetzt darum, die Krankheit zu besiegen. Fußball wird zur absoluten Nebensache.
Die sportlichen Folgen der Diagnose
Doch der Ball wird trotz des menschlichen Dramas um den Ivorer weiterrollen. Das Geschäft Fußball kennt keine Pause. Hallers Diagnose verschärft Dortmunds Probleme in diesem Sommer. Zu einem aufgeblähten Kader kommt nun der Verlust eines Schlüsselspielers für die kommende Saison. Mit dem erst 17-jährigen Youssoufa Moukoko, den zudem Abwanderungsgedanken plagen, steht nur ein weiterer zentraler Stürmer im Kader. Fraglich, ob dies für den erhofften Angriff auf die Bayern reichen wird. Fraglich, aber auch, ob der BVB überhaupt reagieren kann und will.
Der erst Anfang Juli offiziell gewordene Transfer Hallers erhöhte Dortmunds Ausgaben in diesem Sommer auf beinahe 90 Millionen Euro, bei Einnahmen von nur knapp über 60 Millionen Euro. Neben Haaland konnte der BVB bislang nur das Sturmleichtgewicht Steffen Tigges für 1,5 Millionen Euro an den 1. FC Köln verkaufen. Ansonsten blieb es bei den ablösefreien Abgängen von Axel Witsel, Roman Bürki, Marwin Hitz und Dan-Axel Zagadou, sowie dem Ende der mehr als enttäuschenden Leihen des Brasilianers Reinier und des Wolfsburger Verteidigers Marin Pongracic.
Für alle anderen Spieler ist der nicht zu beneidende neue Sportdirektor Sebastian Kehl weiterhin auf der Suche. Der ehemalige Kapitän der Borussia hat von der Vereinslegende Michael Zorc nicht nur das Label eines Entwicklervereins für die Superklubs Europas geerbt, sondern auch einen überteuerten Kader mit etlichen Problemfällen.
Niemand will BVB-Spieler kaufen
Gerade der Haller-Transfer war ein erstes Signal für eine Abkehr von der alten Transferphilosophie. Nicht mehr nur mal mehr und mal weniger erfolgreicher Ausbildungsklub der interessantesten Talente des Kontinents, sondern eben auch ein Verein, der in der Gegenwart Ansprüche anmeldet. Der dabei aber nicht nur auf Bayern München schaut, sich vielmehr darauf besinnt, die Fans im Westfalenstadion mitzunehmen und etwas wachsen zu lassen.

Der neue Sportdirektor Sebastian Kehl steht direkt vor einem Berg von Problemen.
(Foto: picture alliance / DeFodi Images)
"Wir haben einen spannenden Kader, der auf der einen oder anderen Position einen hohen Konkurrenzkampf hat und an der einen oder anderen Stelle noch verkleinert werden kann", sagte Kehl am Montag, noch vor Bekanntwerden der Haller-Diagnose, die die sportliche und finanzielle Lage des Klubs mit Sicherheit nicht verbesserte.
Die Stars Emre Can, Thorgan Hazard, Julian Brandt, Raphael Guerreiro, Manuel Akanji und Nico Schulz sind weiterhin beim BVB unter Vertrag, lassen sich auch aufgrund der in den letzten Jahren aus den Fugen geratenen Gehaltsstrukturen nicht so einfach an andere Vereine abgeben. Dabei lohnt es sich, jeden Fall einzeln zu betrachten.
Über den ehemaligen Nationalspieler Schulz ist in den letzten Wochen zur Genüge geschrieben worden. Der 29-Jährige steht beim BVB noch bis 2024 unter Vertrag und ist auf dem Markt nach seinem dramatischen Formverfall nur noch mit Verlusten zu verkaufen. Doch auch wenn es durchaus interessierte Vereine geben soll, so bewegt sich der gebürtige Berliner nicht. Zu gut verdient er beim BVB, zu unwahrscheinlich ist es, dass er noch einmal so einen lukrativen Vertrag erhalten wird.
Mit Emre Can und Raphael Guerreiro stehen zwei weitere Großverdiener im Regal. Beide beziehen in Dortmund Gehälter von weit über fünf Millionen Euro, dürften jedoch mit ihrer internationalen Erfahrung auch für andere Klubs interessant sein. Der BVB, so ist zu hören, soll sich weiterhin nach Abnehmern umschauen und erhofft sich dafür jeweils Ablösesummen, die näher an 20 als an 10 Millionen Euro sein sollen.
In einer ähnlichen Kategorie befindet sich der Schweizer Manuel Akanji, der als Innenverteidiger beim BVB kaum noch eine Zukunft hat. Weil er wegwill, sein Vertrag im kommenden Sommer ausläuft und der BVB mit Nico Schlotterbeck und Niklas Süle eine neue zentrale Verteidigung verpflichtet hat. War anfangs noch von einem möglichen Transfer zu Manchester United oder Bayern München und einer Ablöse von 30 Millionen Euro die Rede, so müssen womöglich sowohl die Borussia als auch der 27-Jährige die Ansprüche runterschrauben.
Titel-Druck fällt vom BVB ab
Es ist für Dortmund "keine glückliche Situation", wie Kehl dieser Tage erklärte und sich dabei auch gegen Gerüchte stemmte, dass auch Nationalspieler Julian Brandt auf der Verkaufsliste stehe. Dabei gebe es für ihn und auch den Belgier Thorgan Hazard durchaus einen Markt. Aber bislang gibt es keine Bewegung. Was auch dazu führt, dass der BVB kein Geld hat, um Nationalspieler David Raum für eine Irrsinnssumme von der TSG Hoffenheim loszueisen.
Jetzt, so berichtete der "Kicker", soll sich Bayern München um den Linksverteidiger bemühen. Anstatt Raum könnten sich nun die Talente Tom Rothe und der erst kürzlich aus der Ajax-Jugend verpflichtete Prince Aning in den Vordergrund spielen. "Wir wollen die Zuschauer wieder begeistern, unser Stadion wieder zu einer Festung machen und eine andere Haltung zeigen", forderte Kehl vor der Haller-Diagnose am Montag. "Wir wollen eine hohe Identifikation zeigen, eine Mannschaft haben, die sich zerreißt und alles gibt."
Er fügte hinzu: "Wir werden sehr, sehr schnell gefordert sein, wir werden schnell zusammenwachsen müssen." Bei all der Sorge um Haller, bei all der Verkaufsproblematik sind dies die Worte, an dem sich der BVB in dieser Saison messen lassen muss. Mit der Sorge um den Ivorer schwindet zumindest ein klein wenig auch der Druck, der tonnenschwer auf der Borussia und auch dem neuen Trainer Edin Terzic lastete. Borussia Dortmund ist nicht mehr der Hauptrivale von Bayern München. Sie werden sich in anderen Kategorien bewegen, einen Platz unter den ersten vier anpeilen und hoffen, dass Haller gut durch die Krankheit kommt. Fußball ist nicht alles.
Quelle: ntv.de