
Ein unvergessenes Bild: Teddy de Beer beim Pokalsieg 1989.
(Foto: imago/Laci Perenyi)
Kurz vor seinem 61. Geburtstag stirbt der ehemalige BVB-Torhüter Wolfgang "Teddy" de Beer. Wie kaum ein anderer prägt er in den vergangenen Jahrzehnten Borussia Dortmund. Dabei agiert er stets im Hintergrund. So wird er zu einem Gesicht des Klubs.
Es gibt Fußballer, die sind so sehr in einer Zeit verhaftet, dass sich ihr Bild nie ändert. Dass sie nie altern. Und es gibt Fußballer, die an den Bruchkanten der Epochen agieren und deswegen für immer für etwas stehen, das nicht mehr da ist. Ohne die es den modernen Fußball nicht geben würde, weil es eben genau dafür eine Erinnerung an das davor geben muss.
Es gibt Menschen, von denen sich für immer Bilder einbrennen. Bilder, die so vielfältig sind, dass der Mensch auf den Bildern nie altert und allein der Gedanke an diese Bilder einen direkt an längst verschwundene Orte in längst vergangenen Zeiten zurückkatapultiert. Momente, festgehalten für die Ewigkeit. Wenn es einem Menschen gelingt, zeitgleich in verschiedenen Epochen des Spiels aufzutauchen, dann hat er mehr als nur Spuren hinterlassen, dann ist er eine Ikone.
Für die Spieler, Fans und Offizielle von Borussia Dortmund ist Wolfgang "Teddy" de Beer all das. Die Vereinsikone ist am 30. Dezember 2024 mit nur 60 Jahren verstorben. De Beer war der, der 1989 im Berliner Olympiastadion den DFB-Pokal in die Luft stemmt, der mit einem blauen Adidas-Torwarttrikot mit dem ikonischen "Continentale"-C auf der Brust im alten Westfalenstadion in die Luft springt, dort in der Luft in ein neonfarbenes Nike-Jersey wechselt und stoppt. Dort oben droht der Größenwahn den Klub zu zerreißen. Doch nicht den Jungen aus Dinslaken. Der immer er selbst bleibt.
De Beer macht Weidenfeller zur Spitzenklasse
Viel später landet dieser Junge im riesigen neuen Westfalenstadion mit seinen über 80.000 Zuschauern. Er trägt einen Kappa-Trainingsanzug. Es ist der 30. April 2011. De Beer ist Torwarttrainer. Es sind noch 50 Minuten bis zum Beginn des Spiels gegen den 1. FC Nürnberg. Wenig später feiert der BVB die siebte Meisterschaft des Vereins.
Auch, weil de Beer urplötzlich aus einem bis dahin durchschnittlichen Keeper Roman Weidenfeller einen der nationalen Spitzenklasse gemacht hat. Wieder einmal ist ein Grundstein gelegt, wieder einmal ist der Weg bereitet. An der Bruchkante zum heutigen Fußball ist der BVB da und der heißeste Verein der Welt. Mindestens. De Beer ist der Eisblock in der Mitte, der ihn von innen runterkühlt und erdet. Er hat alles gesehen.
Schreinerlehre neben Training
Denn angefangen hat alles zwischen Wäschestangen. Weit weg von Dortmund. In Dinslaken. Ganz am anderen Ende des Potts. Hinter dem Haus, wo die Stangen, wenn keine Wäsche dort hing, zu Toren wurden und die Kinder sich in ein Fußballleben träumten. Und aus diesen Träumen jäh erwachten, wenn eine Omma sie mit schriller Stimme vertrieb.
Es ist eine Erinnerung, die viele im Ruhrgebiet vereint. Zwischen den Arbeiterhäusern trafen sich zwischen dem westlichen Rand des Potts in Dinslaken und dem östlichen in Hamm die Kinder der Nachbarschaft, balgten sich und pfefferten sich den Ball um die Ohren. Fußball war ihr Leben, das Geld war knapp, aber auch das Wasser war im Sommer immer nah. Es war nur kein Meer. "Ich hatte eine wunderschöne Kindheit", erzählte de Beer Ende 2023 im WDR-Podcast "Einfach Fußball": "Meine Ferien habe ich im Freibad verbracht. Ich bin direkt vom Bolzplatz ins Freibad."
Als es längst nicht mehr auf den Bolzplatz ging und er über den TSV Jahn Hiesfeld und Auswahlmannschaften Anfang der 1980er als 17-Jähriger beim MSV Duisburg gelandet war, absolvierte er eine Schreinerlehre. Überhaupt nichts war klar. "Ich habe nur gearbeitet, trainiert und geschlafen", blickte er zurück. "So viel Geld hat man damals in der Zweiten Liga auch nicht verdient, da hätte ich auch als Schreiner weiterarbeiten können." Doch sein großes Ziel, Profifußball, wollte er nicht aufgeben.
Es blieb einfach bei "Teddy"
Nach der Maloche folgte die Karriere. Vom MSV Duisburg ging es im Sommer 1986 für 70.000 DM zum großen, aber strauchelnden Reviernachbarn Borussia Dortmund. Die hatten sich gerade erst in der Relegation gegen Fortuna Köln durchgesetzt. Irgendwie, durch den unvergessenen Treffer von Jürgen Wegmann zum 3:1 in letzter Sekunde. Stammtorhüter Eike Immel war zum VfB Stuttgart gewechselt, der BVB suchte einen Ersatzmann für Rolf Meyer. "Teddy" kam. Der zweite Keeper sollte aus dem Pott kommen. Meyer verletzte sich in der Saisonvorbereitung. Trainer Reinhard Saftig machte ihn nach einem 2:2 zum Auftakt bei Bayern München zum Stammtorwart. Das Spiel blieb nicht wegen de Beer in Erinnerung. Frank Mill traf freistehend den Pfosten.
Den Namen Wolfgang gab es da schon nicht mehr. Den hatte er in den späten 1970ern abgelegt. Ein ehemaliger Auswahltrainer hatte ihn "Teddy" genannt und dabei blieb es. Der Name öffnete Türen. "Olala, wir haben einen Torwart, olala, Teddy wunderbar", sang die Südtribüne im damals selten ausverkauften alten Westfalenstadion. Und die, die den Fußball gerade entdeckten, freuten sich über den Teddy im Tor. Was konnte an einem Verein schon verkehrt sein, wenn der Torwart Teddy hieß.
De Beer war Maskottchen und Torhüter zugleich. Er winkte den Zuschauern, wenn die Gegner seinen Strafraum nicht belagerten und die Zuschauer "huhu" riefen. Sie munterten ihn auf, wenn er einen Treffer kassierte. Sie sangen "scheißegal" und alle machten weiter. Die Fans auf der Tribüne und die Spieler auf dem Platz. Der BVB war keine Gewinnermannschaft. Was sollten sie sonst tun?
BVB hält trotz Verletzungen zu de Beer
Doch immer seltener sangen die Fans jetzt "scheißegal" und immer häufiger "huhu". Der BVB kämpfte sich zurück in die erweiterte deutsche Spitze. Die Transformation des BVB hatte begonnen. Im Jahr 1989 gewannen die Dortmunder vollkommen überraschend den DFB-Pokal. Das 4:1 gegen den SV Werder Bremen war nach 23 titellosen Jahren die Initialzündung für den Aufbruch in die erfolgreichen, von Titeln und Größenwahn geprägten 1990er. Da war seine Karriere längst vorbei.
Erst eine Fingerverletzung und dann ein Schien- und Wadenbeinbruch warfen ihn unter Trainer Ottmar Hitzfeld weit zurück. Zwischen September 1991 und Mai 1996 absolvierte er kein Pflichtspiel mehr für den BVB, insgesamt waren es bis zum Karriereende nur noch zehn Spiele überhaupt. Doch seinem BVB blieb er treu, weil der BVB seine Familie war. Sie hatten ihn nach der schweren Beinverletzung nicht fallen lassen und er blieb. Sah, wie der BVB immer größer wurde, Meisterschaften holte, die Champions League gewann und den Weltpokal holte.
Er war dabei, als der Verein kurz darauf kollabierte, und Torwarttrainer, als er gegen Ende der 2000er unter der ehemaligen Vereinslegende Jürgen Klopp wieder zurückfand und sich in Europas Spitze etablierte. De Beer heckte immer was aus. Der gelernte Schreiner baute Rampen in verschiedenen Höhen, schob seine Holz-Werkzeuge auf den Trainingsplatz. Vor den Spielen stand er o-beinig im Strafraum, strich sich durch die Haare und schoss seine Keeper vor seiner Süd warm. Er machte aus Roman Weidenfeller spät einen Nationaltorhüter und Weltmeister. Als seine Methoden aus der Mode kamen, lobte der Klub ihn in eine neue Rolle. Aus dem Trainer wurde der Fanbetreuer.
Trauer im fernen Australien
Die, die unter ihm trainierten, haben ihn nie vergessen. "Die Welt hat einen der aufrichtigsten und liebenswertesten Menschen verloren, die man im Fußball treffen kann", schrieb der ehemalige BVB-Torhüter Mitch Langerak aus dem fernen Australien. Er reihte sich ein in den Chor jener Trauernden, die mit de Beer sozialisiert wurden. "Er war die erste Person beim BVB, die ich je getroffen habe. Fünf Jahre lang war er mein Torwarttrainer und Beschützer", schrieb Langerak, der 2010 mit nur 21 Jahren vom fünften Kontinent zum BVB gewechselt war und die großen Titeljahre erlebt hatte.
Das war de Beer. Trainer und Beschützer. Malocher und Kumpel. Er kam aus einem Ruhrgebiet, das es längst nicht mehr gibt, und er sah einen Verein, der sich aus den Trümmern erhob und zu einem Giganten erwuchs. Einem, der immer taumelt und immer wankt, doch nicht mehr fallen kann. De Beer war das stille Gesicht dieser Epoche. Einer, der sich nicht zu wichtig nahm, der immer Zeit hatte und der nie das Rampenlicht suchte. Einer, der für jeden ein freundliches Wort übrighatte. Dessen Verein zwar hoch geflogen war, der sich selbst aber immer dem Größenwahn verweigert hatte.
1986 hatte der BVB einen Jungen aus dem Pott gewollt, sie haben ihn bekommen. Mit Wolfgang "Teddy" de Beer verliert der Gigant vom Borsigplatz ein großes Stück Identität und einen "der Guten", wie der schockierte Verein mitteilte. Am heutigen 2. Januar 2025 wäre de Beer 61 Jahre alt geworden.
Quelle: ntv.de