CL-Heimspiele im Ausland Die befremdlichen Ausflüge des Profifußballs
09.02.2021, 19:41 Uhr
Leipzig-Trainer Nagelsmann reist mit seinem Team für ein Heimspiel gegen Liverpool nach Budapest.
(Foto: imago images/motivio)
Weil der FC Liverpool wegen der Corona-Regeln nicht nach Deutschland einreisen darf, trägt RB Leipzig sein Heimspiel in Ungarn aus. Immer mehr Fußball-Bundesligisten tun es den Sachsen gleich. Was im Moment oft für Unverständnis sorgt, könnte noch zum großen Problem werden.
Durch die Verlegung von Europacup-Spielen haben die Topklubs aus der Fußball-Bundesliga die Debatte über die Privilegien ihrer Branche wieder angestoßen. Die "Betriebsausflüge" von RB Leipzig und Borussia Mönchengladbach nach Ungarn sowie der TSG Hoffenheim nach Spanien für Millionen-Einnahmen im internationalen Geschäft stoßen auf immer mehr Kritik.
"Es ist schon befremdlich, welche Maßnahmen ergriffen werden. Jeder durch diese Verlegungen zusätzliche Kontakt ist einer zu viel", kommentierte die Bundestags-Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag den wieder zunehmenden Fußball-Tourismus quer über den Kontinent: "Eines macht das Vorgehen wieder klar: Am Ende dreht sich die Fußball-Welt in ihrem eigenen Kosmos - und vor allem ums Geld."
Die drei Bundesliga-Teams absolvieren mit ihren Begleittrossen wegen der Einreise-Beschränkungen in Deutschland und Norwegen jeweils zwei außerplanmäßige Flugreisen. Leipzig und Mönchengladbach hatten ihre Achtelfinal-Hinspiele in der Champions League gegen englische Gegner in Ungarns Hauptstadt Budapest verlegen müssen. Hoffenheims Europa-League-Kontrahent Molde FK darf in Norwegen keine ausländischen Gegner empfangen und lotste die Kraichgauer ins spanische Villarreal um.
Freitag erinnerte jedoch an die Sonderstellung des Fußballs und die damit verbundene Verantwortung. "In der Pandemie-Bekämpfung sind wir an einem fragilen Punkt. Der Fußball tut dennoch so, als habe er mit all dem nichts zu tun", meinte die SPD-Politikerin: "Der Fußball hat eine sehr komfortable Position. Ich habe den Eindruck, dass diese mittlerweile als völlige Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird. Ein wenig mehr Demut täte mit Blick auf den Rest der Gesellschaft ganz sicher gut."
Abstruse Lösungen, wenig Verständnis
Für die Virologin Ulrike Protzer hingegen stellen die Budapest-Trips von Leipzig gegen den FC Liverpool (16. Februar) und Gladbach gegen Manchester City (24. Februar) keine unkalkulierbaren Risiken dar. "Es ist eine vernünftige Lösung", sagte die 58-Jährige von der Technischen Universität München bei "Sky Sport News": "Die Ungarn sind im Moment mit den Zahlen auf dem gleichen Niveau, wie wir es sind."
In der Politik jedoch befürchtet nicht nur Freitag durch die zusätzlichen Flüge die Aussendung einer unpassenden Botschaft an die Bevölkerung. "Das ist auch mal verzichtbar an dieser Stelle", sagte SPD-Generalsekretär und DFL-Taskforce-Mitglied Lars Klingbeil schon bei RTL/ntv: "Der Wettbewerb darf da nicht an erster Stelle stehen." Auch sein Parteikollege und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zeigte kein Verständnis: "Wir sollen alle auf Reisen verzichten. Ich verstehe nicht, warum wir für den Profizirkus eine Ausnahme machen sollten."
Zumal die Bemühungen des Fußballs um die Aufrechterhaltung seines Geschäftsmodells noch abstrusere Formen annehmen dürften. Denn während Molde und Hoffenheim in Spanien spielen können, darf Atlético Madrid wegen des spanischen Banns für Engländer sein Champions-League-Heimspiel gegen den FC Chelsea (23. Februar) voraussichtlich nicht im eigenen Land austragen. Umgekehrt können auch Großbritanniens neue Einreisebestimmungen den Europacup-Kalender noch weiter durcheinanderwirbeln.
Auch Bundestrainer Joachim Löw muss für die drei Länderspiele Ende März womöglich improvisieren. Denn ob seine England-Legionäre bis dahin wieder problemlos nach Deutschland dürfen, ist aufgrund des Kampfes der Behörden gegen die britische Virusmutation derzeit zumindest fraglich. Löws Kollegin Martina Voss-Tecklenburg jedenfalls muss schon beim Drei-Länder-Turnier ab 21. Februar auf drei Spielerinnen von englischen Vereinen verzichten.
Quelle: ntv.de, ses/sid