Fußball

Zwischen furios und rätselhaft Die glorreichen Fußball-Sieben aus Deutschland

Dortmunds junger Anführer Jude Bellingham ist das derzeit vielleicht prominenteste Gesicht des Fußball-Aufschwungs der Bundesliga.

Dortmunds junger Anführer Jude Bellingham ist das derzeit vielleicht prominenteste Gesicht des Fußball-Aufschwungs der Bundesliga.

(Foto: IMAGO/Revierfoto)

Sieben deutsche Fußballmannschaften überwintern in den verschiedenen Europapokalen. Dem FC Bayern gelingt die Perfektion, der BVB bleibt ein Rätsel, Leverkusen rettet sich mit Mühe. Bitter: Ausgerechnet die bemerkenswerten Kölner bleiben auf der Strecke.

Gescheiterte Giganten, verzweifelte Riesen, Geld pumpende Scheichs auf der Suche nach Erfolg: Europas Fußball wird wieder einmal von heftigen Eruptionen heimgesucht. Doch eine international fast schon abgeschriebene Liga erweist sich gegen die feurigen Ausbrüche als äußerst robust. Es ist eine Liga, der ja bereits oft nachgesagt wurde, dass ihr der Sturz in die internationale Zweitklassigkeit droht. Auch, weil die 50+1-Regel die Übernahme von Klubs durch superreiche Gönner verhindert. Und nun? Nun ist die Bundesliga die bestaunte Konstante, die bestaunte Wucht. Mit sieben Vereinen nimmt die höchste deutsche Spielklasse im ersten Halbjahr 2023 den Kampf um die europäischen Kronen auf. Sie (also die deutsche Spielklasse) bewegt sich auf Augenhöhe mit der milliardenschweren Premier League und der ebenfalls auferstandenen Serie A. Spanien zählt ein Team weniger.

Und der Erfolg ist nicht nur emotional spür- und historisch-faktisch belegbar, er hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Fünfjahreswertung der Europäischen Fußball-Union (UEFA) für die Saison 2022/23. Dort hat die Bundesliga dank der Triumphe der glorreichen Sieben bislang die zweitmeisten Punkte eingefahren. Die acht Vereine sammelten bis zum Abschluss der Gruppenphase 13,750 Zähler, lediglich England war mit 16,571 Punkten noch stärker. Die Topligen aus Spanien mit 12,428 sowie Italien mit 11,928 Zählern blieben dahinter ein wenig zurück.

Der FC Bayern führt die deutsche Gruppe an, mit der Perfektion von 18 Punkten aus sechs Spielen. Ihm folgen Borussia Dortmund, RB Leipzig und Eintracht Frankfurt in der Champions League. Eine Etage tiefer, in der Europa League, haben sich der SC Freiburg mit beeindruckender Souveränität und Union Berlin mit beeindruckendem Minimalismus die Zugangsberechtigung für die K.-o.-Runde erworben. Hinzu kommt Königsklassen-Absteiger Bayer Leverkusen. Die Mannschaft von Weltstar Xabi Alonso braucht allerdings dringend einen guten Plan, um endlich in Form zu kommen. Im Brot-und-Butter-Wettbewerb läuft es gar nicht und auf der Glanz- und Gloria-Bühne hatte Bayer das Glück, dass das ins Bodenlose stürzende Atlético Madrid noch ein bisschen schlechter war. Bleibt noch der 1. FC Köln. Als einzige deutsche Mannschaft sind sie gescheitert. Das ist doppelt bitter.

Wucht, Glaube, Euphorie als Benchmark

Einerseits verfehlt Deutschlands Fußball damit den alleinigen Rekord. Acht Vereine über den Winter zu bringen, das war noch keiner anderen Nation gelungen. Andererseits ist der Knockout des Effzeh bitter, weil das Team so eine wundervoll ansteckende Energie auf den Rasen bringt. Trainer Steffen Baumgart lässt seine Fußballer immer daran glauben, dass magische Nächte möglich sind. Eine weitere war am Donnerstagabend nicht fern. Obwohl personell mal wieder tüchtig gerupft und entsprechend ausgelaugt, rannte die Mannschaft um die verdammte Chance aufs Weiterkommen. Sie rannte, machte zwei fatale Fehler, lag 0:2 zurück. Aber dann, nach der Pause, tat diese Mannschaft Kölner Dinge. Sie entfachte Wucht, Glaube, Euphorie - und scheiterte knapp (2:2).

Was der Effzeh in Europa und überhaupt vorlebt, das darf die deutsche Benchmark, so würde es Alphatier-Poet Karl-Heinz Rummenigge (ehemaliger Bayern-Boss) sagen, würde das erste Halbjahr 2023 sein. Wo auch immer sich die Mentalitätsfrage stellt, eine Antwort findet sie im Spiel der Kölner. Egal ob bei der rätselhaften Borussia aus Dortmund, wo immer noch niemand so genau weiß, was diese spannende Ansammlung von Hochbegabten um den unwiderstehlichen Anführer Jude Bellingham eigentlich zu leisten imstande ist (oder auch nicht), oder eben auch beim heftig kriselnden und nach Stabilität und Führungsspielern mit Gier suchenden Rhein-Rivalen Leverkusen, eine Anleihe der emotionalen Begeisterung und Überzeugung des Geißbocks kann, muss vielleicht sogar, Vorbild sein.

Bayern dominant wie kein anderer

Keine Sorgen muss man sich um den FC Bayern und seine wachgeküsste Sturmgranate "Le Chüp" (Anmerk. d. Red.: Eric Maxim Choupo-Moting) machen. Wem in einer Gruppe mit Inter Mailand und Robert Lewandowskis FC Barcelona die sportliche Perfektion gelingt, dem fliegen eben die bewundernden Blicke der Konkurrenz zu. Zumal es auch sonst keinen Rivalen auf Augenhöhe gibt. Klar, Manchester City mit Erling Haaland könnte dazu zählen, aber der Halbfinalfluch von Starcoach Josep Guardiola ist bekannt und fast schon tragisch-spektakulär.

Der FC Liverpool hat (in der Premier League) ganz andere Sorgen, sucht einen Ausweg aus der Krise. Jürgen Klopp ist schon im siebten Jahr Trainer. In diesem so verflixten ging einst seine erfolgreiche Ehe mit dem BVB ausgezehrt zu Ende. Und sonst so? Barça und Juventus Turin steigen ab. Das ewig zickige Luxusensemble von Paris St. Germain wurde mit 14 Punkten Gruppenzweiter hinter dem Sensationsteam Benfica Lissabon mit dem deutschen Coach Roger Schmidt. Auch die letzten beiden Triumphatoren Real Madrid und der FC Chelsea sind (noch) nicht im Bestien-Modus. Anders der SSC Neapel. "Gli Azzurri" faszinieren Europa. Rennen durch die heimische Liga und ließen in der Königsklassen-Vorrunde den punktgleichen FC Liverpool (15) hinter sich.

Im Brot-und-Butter-Wettbewerb aufgeholt

Ja, der deutsche Fußball steht hoch im Kurs. Weitgehend robust gegen äußere Einflüsse, klar, RB Leipzig ist das perfekte Gegenbeispiel, und sportlich so vielfältig wie die Nationalitäten im Frankfurter Kader. Die Vereine mit ihren verschiedenen Ansätzen, Möglichkeiten und Visionen sind nur nicht dem europäischen Geldadel auf die Pelle gerückt, sondern auch im Brot-und-Butter-Duell enger aneinandergekuschelt. Wann hat es das zuletzt gegeben, dass der FC Bayern nach zwölf Spieltagen (vermutlich gar nicht soooo lange her) NICHT Erster ist, sondern Union Berlin jagen muss. Im Schlepptau den SC Freiburg und die Dortmunder. Schon Wahnsinn.

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Die Eisernen, dieses brutal effiziente und kluge Kollektiv, setzen ihren Höhenflug im Minimalistentaumel fort. Mögliche Gegner sind neben Barca auch andere klangvolle Namen wie Ajax Amsterdam oder Juventus Turin. Die Freiburger mit Trainer-Legende Christian Streich, ihren Weg aus cleveren Transfers und einer weiter unerreichten Nachwuchsarbeit schielen ebenfalls auf einen "big fish".

Eintracht Frankfurt, das mögliche Vorbild für eine erfolgreiche Ekstase in der Europa League, denkt mit ihren Giganten Mario Götze, Randal Kolo Muani und Daichi Kamada gar nicht daran, den Titelrausch der Europa League zu einem Kater werden zu lassen. In bester Oliver-Kahn-Manier geht es weiter, weiter, immer weiter. Nur die unwiderstehlichen Mentalitätsmonster des 1. FC Köln, ausgerechnet sie, verhindern die deutsche Fußball-Perfektion. Sie wurden in der European Conference League gefressen. Was für eine groteske Pointe der furiosen Auferstehung, einer Liga, die doch eigentlich schon abgeschrieben war. Aber: Es ist nur ein Schritt auf dem Weg der glorreichen Sieben. Es drohen spektakuläre Duelle, Giganten, Hammerlose - und ein knallharte Ernüchterung nach der Euphorie. Möge ihnen das Drehbuch (ohne Tod) des Western-Klassikers ein Vorbild sein.

Quelle: ntv.de

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