Fußball

Krisenvirus infiziert Harry Kane Einfach volle Lotte drauf auf den FC Bayern

Manuel Riemann feiert seine Monsterparade gegen Leroy Sané.

Manuel Riemann feiert seine Monsterparade gegen Leroy Sané.

(Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Zwei Welten im Ruhrstadion: Fans und Fußballer des VfL Bochum feiern einen großen Sieg gegen den FC Bayern. Dessen Spieler ziehen sich nach der dritten Niederlage in einer Spielwoche ins Schneckenhaus zurück. Dabei wäre der Abend beinahe ganz anders verlaufen.

Zweimal war es Harry Kane gewesen, der dem VfL Bochum den Abend rettete. Pardon, nicht rettete, der diesen Abend zu einem Feiertag machte. Und einmal war es Torwart Manuel Riemann, der den Gastgebern gegen den FC Bayern das große Glück bescherte. Er hatte seine rechte Pranke blitzschnell in einen Schuss von Leroy Sané gehalten. Die mit 3:1 in Führung liegenden Bochumer hielten den Rekordmeister zwei Tore auf Abstand. Dass es danach noch einmal eng, aber nicht erschütternd für den VfL gekommen war, hatte mit Kane zu tun. Erst schob er in den Schlussminuten den Ball zum 2:3 aus Sicht der Münchner über die Linie, um tief in der Nachspielzeit die Riesenchance zum 3:3 per Kopf auszulassen. Wenig später der Abpfiff und ein Ruhrstadion, zwei Welten.

Vor der Ostkurve baute sich die Mannschaft der Bochumer auf und feierte, was das Zeug hält. Auf der anderen Seite hingen die Köpfe, wuchs die Wut. Vor allem bei Joshua Kimmich, der sich mit dem Co-Trainer heftig zoffte. Die Bochumer pfiffen auf die emotionale Ausnahmesituation bei Rekordmeister. Nochmal an die Lederhosen wollten sie den Bayern. Und besangen die Ewigkeit des Moments. Sie sangen Glücks-besoffen: "Nie mehr Zweite Liga!" Dass sie am Ende noch tanzen und hüpfen konnten, war durchaus bemerkenswert. Denn sie hatten in den 90 + X-Minuten erst ihr Herz und dann ihren Körper gelassen. Der sprintete teilweise nur noch im Autopilot über den Rasen. Ohne Sinn und Verstand. So wurde es eben ein Krimi bis in die letzte Minute hinein. Sportdirektor Marc Lettau hätte sich mehr Cleverness gewünscht. Auch mal einen Lauf zur Eckfahne, den Ball dort festmachen. Ein Foul ziehen. Oder eine Ecke und Sekunden rausholen. Wie in der Kreisliga. Ist ja schließlich auch Castroper Straßenfußball, der das Ruhrstadion mitreißen soll. So aber sprinteten sie auf die endgültige Entscheidung. Ein atemloser Wettkampf mit offenem Visier. Bayern rannte an, Bochum konterte.

Sie hatten sich dem FC Bayern mutig entgegengestellt, fest entschlossen, hier etwas Zählbares mitzunehmen. Nicht immer war das so gewesen. In der Hinrunde gab es 0:7-Debakel. Nicht das erste für den Abwehrspieler Bernardo, der in seiner Karriere schon so viele schlechte Erfahrungen mit dem Rekordmeister gemacht hatte, ob als Bochumer, als Leipziger oder Salzburger. Er schlenderte später durch die Mixed Zone, beseelt und sprach davon, dass er früh gemerkt habe, dass hier und heute etwas anders sein könnte, dass hier und heute etwas gehen könnte. Womit wir wieder bei Kane sind. In der 19. Minute stand er alleine vor Riemann und schlenzte den Ball ins Nirwana. Er hätte noch ein paar Schritte gehen oder den Ball einfach auf Thomas Müller querlegen können. Tat er aber alles nicht und deswegen blieb der Abend spannend. Denn es wäre das 2:0 gewesen. Der dieses Mal wieder sehr auffällige, aber nicht fehlerfreie Jamal Musiala hatte zuvor sehenswert getroffen.

Ist es die DNA, die entscheidet?

VfL Bochum - FC Bayern 3:2 (2:1)

Tore: 0:1 Musiala (14.), 1:1 Asano (38.), 2:1 Schlotterbeck (44.), 3:1 Stöger (78., Foulelfmeter), 3:2 Kane (87.)
Bochum: Riemann - Oermann (46. Gamboa), Schlotterbeck, Ordets, Masovic, Bernardo - Losilla (90.+5 Loosli), Stöger - Asano (89. Förster), Antwi-Adjei (79. Kwarteng) - Broschinski. - Trainer: Letsch
München: Neuer - Mazraoui (32. Upamecano), de Ligt, Kim, Guerreiro (79. Dier) - Kimmich (63. Zaragoza), Goretzka - Müller (79. Tel), Choupo-Moting (63. Sane), Musiala - Kane. - Trainer: Tuchel
Schiedsrichter: Daniel Schlager (Hügelsheim)
Gelb-Rote Karte: Upamecano (Bayern) wegen wiederholten Foulspiels (77.)
Gelbe Karten: Losilla (5), Bernardo (2) - Goretzka (3), Kim (3)
Zuschauer: 26.000 (ausverkauft)

Dass Englands Superstürmer jetzt auch noch in der Krise ist, trotz seines 25. Saisontors (Rekord zu diesem Zeitpunkt!) in der Bundesliga, können die Münchner so gar nicht gebrauchen. Dass er sich mit dem Harmlos-Virus, das in seiner Mannschaft grassiert, nun auch noch infiziert hat, kommt zur absoluten Unzeit. Unter anderem seine individuelle Klasse hatte den FC Bayern durch die erste Hälfte der Saison getragen, als viele Leistungen zäh waren, aber die Ergebnisse stimmten. Mittlerweile ist auch das nicht mehr. Der Rückstand auf Bayer 04 Leverkusen ist auf acht Zähler angewachsen. Die Meisterschaft rückt in weite Ferne. Anders der VfL Bochum, der hat sich mittlerweile neun Punkte Speck auf den Tabellen-16., den 1. FC Köln angefressen. Und ist der Tabelle der Rückrunde als Sechster vier Plätze besser als der FC Bayern.

Warum dieses Spiel gekippt ist, dafür gibt es viele Gründe. Harry Kane ist einer. Die anderen Münchner mit ihren versemmelten Topchancen sind ein anderer. Aber vielleicht ist der Hauptgrund, dass der VfL seine Klub-DNA mit jeder Faser lebt. Sprinten, bis der Arzt kommt, grätschen, beißen, malochen. Das ist nichts für Ästheten, aber es wärmt das Herz jedes Romantikers. Die Spielart des VfL ist die Antithese zu Tiki-Taka, zu ballnahen Dreiecken oder was sonst noch so im Feinkostregal des Taktikfachmarkts steht. In München dagegen suchen sie noch immer nach der verloren gegangen DNA, dem "Mia san mia", dieser absoluten Überzeugung, dass alles gut wird. Weil man einfach der FC Bayern ist. Ganz bitter: Titelkonkurrent Bayer Leverkusen lebt diese Überzeugung voll aus, siegt auch einfach mal dreckig bei Aufsteiger Heidenheim im höchsten Bundesliga-Stadion des Landes.

Die nervigen Außenstürmer des VfL

Aber dieses "Mia san mia", das große Feuer des Vereins, glimmt nur noch. In Leverkusen wurden die Münchner gedemütigt, in der Champions League in Rom brachen sie zusammen und jetzt scheiterten sie an sich und den galligen Bochumern. Die zogen ihre ungezügelte Energie vornehmlich aus den Powersprints von Takuma Asano und Christopher Antwi-Adjei, die ihre Gegenspieler ständig beschäftigen und stressen. Und Antwi-Adjei könnte das noch so viel gefährlicher tun, würde er am und mit dem Ball bessere Entscheidungen treffen. So aber gilt jedes Mal Alarmstufe Aufmerksamkeit, wenn Riemann schnelle Abschläge in den Lauf der Außenstürmer spielt. Oder der herausragend gute Spielmacher Kevin Stöger die Flügelhasen steil schickt.

Aber das ist das Spiel des VfL. Vor allem hier im Ruhrstadion. Volle Lotte drauf. Bestnoten in dieser im Fußball immer noch zu wenig beachteten Disziplin verdiente sich Stürmer Moritz Broschinski. Der 23-Jährige hat den etablierten Kräften Philipp Hofmann und Gonçalo Paciência den Stammplatz streitig gemacht. Nicht weil er der beste Fußballer ist, aber weil er alles in Grund und Boden rennt. Nervig wie eine Stubenfliege lässt er sich nicht abschütteln. Und wenn er mal in die Bande fliegt, dann steht er wieder auf und stürmt wieder wie wild drauflos. Als wäre nichts gewesen. "Anne" Castroper lieben sie das. Da wird gerade eine Heldengeschichte geschrieben. Und eine zweite, eine, die noch ein wenig emotionaler ist. Denn Tim Oermann kommt anders als Broschinski (kam vom BVB II) aus der eigenen Jugend. Und geht gerade seinen Weg als Rechtsverteidiger.

Die "Magie des Ruhrstadions"

Mit Jamal Musiala bekam er nun die bisher schwerste Aufgabe seiner Karriere gestellt und brauchte etwas Zeit und eine taktische Umstellung (während der ersten Unterbrechung) im Mittelfeld (für mehr Unterstützung), um erfolgreich zu bestehen. Als er Ende der ersten Hälfte einmal im Grätschen erst den Ball eroberte und ihn dann im Liegen weiterspielte, tobte das kleine, aber plötzlich so große Stadion. Und entfachte dann seine "Magie", wie es der überragende Abwehrspieler Keven Schlotterbeck nannte. Er selbst hatte das 2:1 per Kopf erzielt und die Weiche umgelegt. Der blaue Zug fuhr ins Glück, der weißrote in die nächste herbe Enttäuschung. Wenn auch noch über die Umwege der vereitelten Chancen. Denn mindestens ein Punkt wäre auch in Unterzahl drin gewesen - Dayot Upamecano verursachte einen Elfer und flog zum zweiten Mal in dieser Woche vom Platz.

Dass den Bochumern das nächste Nachspielzeit-Debakel in dieser Saison erspart blieb, lag an Riemann. In den letzten Minuten war er der "Last Man Standing" des VfL. Der Rest des Teams wankte dem Schlusspfiff entgegen, der sich wegen zweimaliger Unterbrechung wegen der Tennisball-Proteste extrem nach hinten verschoben hatte. Auf der letzten Rille ließen die Vorderleute ihre Gegenspieler gewähren, während er selbst sich energiegeladen wie ein Duracell-Häschen vor Sané aufbaute und danach vor Glück beinahe platze. Selbst Duelle zwei, drei gegen eins wurden verloren. Im zermürbenden Kampf gegen die eigene Physis verlor Bochum die Kontrolle, nicht aber das Spiel. Keven Schlotterbeck, der "unfassbar Spaß" hatte, drückte noch einmal auf die Hämatome des eigenen Spiels, eh er ein "Bierchen" für eine gute Idee hielt: "Als wir zu elft gegen zehn waren, haben wir es extrem schlecht gemacht. Das müssen wir aufarbeiten, wir hatten nicht mehr den Mut, nach vorn zu verteidigen."

Von seinem beseelten Coach Thomas Letsch gab es keinen Widerspruch: "Heute gehen wir sicherlich nicht in die Fehleranalyse. Es ist aber gut, dass die Spieler selbstkritisch sind. Man muss ehrlich sagen, dass es durchaus drin gewesen wäre, dass wir noch das dritte Gegentor kassieren." Aber es sei eben auch so: "Wenn man das gewinnt, kann man nicht so viel falsch gemacht haben." Sein Pendant Thomas Tuchel sah das anders, den Sieg des VfL konnte er nicht verstehen. "Ungerecht" sei das, befand er und mied die Pressekonferenz aus terminlicher Not. Die Münchner reisten noch am Abend ab. Eine direkte Konfrontation der Trainer gab es so nicht.

Neue Sorgen in der Bayern-Abwehr

Mehr zum Thema

Auch in München dürfte das Thema Verteidigung abermals auf den Tisch kommen. Die Abwehr bleibt in dieser Saison ein großes Problem. Die Hypothek aus dem vergeigten Transfersommer, der sich nur auf den Mega-Deal mit Kane konzentriert hatte und von Tuchel ständig kritisiert worden war, werden die Münchner einfach nicht los. Trotz der Verpflichtungen von Sacha Boey, der schon verletzt ist und in seinem ersten Spiel in der BayArena nicht andeuten konnte, dass er unbedingt eine Soforthilfe ist, sowie Eric Dier. Und die Sorgen werden größer.

Nicht nur, weil Rechtsverteidiger Noussair Mazraoui in Halbzeit eins verletzt runtermusste. Sondern weil sich weiter nicht abzeichnet, welche Formation nachhaltig Stabilität verspricht. Tuchels Experimente geben durchaus Rätsel auf. Dieses Mal stand der Niederländer Matthijs de Ligt, der zuletzt in der Hierarchie abgerutscht war, in der Startelf. Dafür bekam Dayot Upamecano zunächst eine Pause, ehe er für Mazraoui eingewechselt worden war. Auch auf Dier verzichtete er zunächst. In Leverkusen vergangene Woche war der Neuzugang noch Abwehrchef. Wenn der alte Spruch von der Defensive noch gilt (und er gilt!), die Meisterschaft gewinnt, dann weiß, wo der Hase im Pfeffer liegt. Nein, es ist nicht nur Harry Kane.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen