Fußball

Verrückter DFB-Pokal liefert ab Für Hertha kann alles noch viel bitterer werden

Union-Kapitän Grischa Prömel lacht, Hertha-Kapitän Dedryck Boyata nicht.

Union-Kapitän Grischa Prömel lacht, Hertha-Kapitän Dedryck Boyata nicht.

(Foto: imago images/Nordphoto)

Vor einer trostlosen Kulisse im Olympiastadion gelingt Union Berlin der endgültige Machtwechsel in der Hauptstadt. Nach dem 3:2 bei Hertha BSC sind sie Kandidat für den Sieg des DFB-Pokals. Nach dem Achtelfinale sind alle Titelträger der letzten 29 Jahre ausgeschieden.

"Ich mag gar nicht daran denken", murmelten die versprengten Hertha-Fans vor dem beinahe menschenleeren Olympiastadion. Nur 1800 von ihnen durften an diesem nasskalten Mittwoch im Januar hinein, dazu 200 Gästefans. Das große Berliner Pokal-Derby zwischen Hertha BSC und Union Berlin fand vor einer tristen Kulisse statt. Wie so viele Spiele zuvor und wie wohl noch so viele Spiele danach. Es hätte mehr, es hätte ein ausverkauftes Stadion verdient gehabt.

Anstatt Derby-Atmosphäre bot sich im Berliner Westend die leider viel zu bekannte Tristesse der Geisterspiele, nur aufgelockert durch ein paar versprengte Grüppchen an den Wurstbuden rund um das Stadion, nur aufgelockert durch einige umherirrende Union-Fans, die auf der Suche nach dem richtigen Eingang erbost über die Beschimpfungen der wenigen Hertha-Fans waren. "Ich suche doch nur den Eingang", sagte eine in rotweiß gekleidete Frau: "Da muss man mich doch nicht gleich bedrohen." Immerhin etwas Derby-Geplänkel.

Die Anhänger der Hertha fürchteten eine ganz andere Bedrohung, sie fürchteten die Niederlage gegen Union. Die Vertreter aus dem Osten der Stadt hegten schon vor der Partie heimliche, aber durchaus berechtigte Träume vom Einzug ins Pokalfinale. Denn nach einer bis dahin komplett irrwitzigen Achtelfinalrunde war bereits vor dem Spiel klar: Wohl noch nie waren die Chancen auf einen Pokalsieg realistischer als in dieser Spielzeit. Mit dem VfL Bochum und Leipzig standen vor dem Anpfiff nur zwei Bundesligisten im Viertelfinale. Aus der besten zweiten Liga aller Zeiten hatten sich bereits Karlsruhe, der Hamburger SV, Tabellenführer FC St. Pauli und Hannover 96 qualifiziert. Das Comeback des Nordens darf den Bundesliga-Vertretern keine Sorge machen.

Zum ersten Mal seit dem 21. Mai 2011 wird es ein Finale ohne Beteiligung mindestens einer der beiden Großmächte geben: Borussia Dortmund scheiterte kläglich beim FC St. Pauli und Bayern München ging bereits die Runde vorher 0:5 in Gladbach unter. Und die, Borussia Mönchengladbach, waren plötzlich die Mannschaft im Wettbewerb, die zuletzt den Pokal erbeuten konnte. Das war 1995. Ein 3:0 über die damals zweitklassigen Wolfsburger. Doch die Mannschaft von Trainer Adi Hütter hatte dem Zweitligisten Hannover 96 nichts entgegenzusetzen. Plötzlich also gebührt dem Chaos-Klub von der Leine diese Ehre: 1992 gewannen sie den DFB-Pokal als Zweitligist. Torhüter Jörg Sievers wurde damals im Final gegen Gladbach zum Helden. Er parierte die Elfer von "Kalla" Pflipsen und Holger Fach, stand später ungläubig auf der Ehrentribüne und bestaunte den Pokal.

Voglsammer trifft spektakulär

Im Parallelspiel in Berlin vor einer wie von Tranquilizern sedierten Kulisse waren die Verhältnisse früh geklärt. Bereits nach zehn Sekunden kam Union zur ersten Großchance, nach zehn Minuten dann zum ersten Treffer. Winterneuzugang Dominique Heintz hatte den Ball lang auf den linken Flügel zu Max Kruse gespielt und dieser eigentlich viel zu lang in die Mitte geflankt. Artistisch gelang es Andreas Voglsammer, die Kugel über Hertha-Keeper Alexander Schwolow hinweg ins Netz zu befördern.

"Ich glaube, da hat er selbst nicht mit gerechnet", lachte Kruse nach dem Spiel. Was dann folgte, war eine Machtdemonstration: Die von Urs Fischer in die erweitere nationale Spitze geführten Unioner erdrosselten ihren Gegner, schlossen die Räume, boten den Hausherren wenig an. Verzweifelt dirigierte auf der Gegenseite Tayfun Korkut an der Seitenlinie. Aber auch wenn sich einmal Konterchancen boten, verschleppten sie das Tempo derart, dass Union noch vor der Mittellinie die Verteidigungslinien schließen konnte.

Hertha hofft eine Minute

Zwar konnte Hertha nach verpatzten 30 Minuten erstmals gefährlich in den Unioner Strafraum gelangen, doch bis auf großes Gewürge vor dem Abschluss war da nichts. So kamen sie erst mit dem Halbzeitpfiff zu ihrer ersten richtigen Chance, die jedoch nur in einem Abseitstreffer des ehemaligen Schalkers Suat Serdar mündete.

Nach der Pause änderte sich das Bild, Hertha übernahm nach zwei Wechseln das Kommando, der emsige Vladimir Darida vergab aus kürzester Distanz und als dann ein Hertha-Spieler ins Tor traf, war es leider das eigene. Niklas Starks Klärungsaktion nach einem wieder einmal von Heintz eingeleiteten Angriff und einer Hereingabe von der Seite landete zum 2:0 für Union im Netz. Über die Schwachstelle der ansonsten kompakten Köpenicker bereitete Ishak Belofdil, der stärkste Herthaner an diesem Abend, den Anschlusstreffer vor. Rani Khediras Eigentor nach Serdar-Schuss zum 1:2 beantwortete Robin Knoche postwendend. Auf die wilden 15 Minuten nach der Pause folgte das letztendlich bis auf Serdars zweiten Treffer in der Nachspielzeit ergebnis- und meist auch kopflose Anrennen der Hertha.

Union feierte mit den wenigen Fans. Einer von ihnen trug eine gelbe Jacke.

Union feierte mit den wenigen Fans. Einer von ihnen trug eine gelbe Jacke.

(Foto: picture alliance/dpa)

Nach Schiedsrichter Deniz Aytekins Schlusspfiff sackten die Herthaner auf den Boden, wie man es eben macht, wenn der Schmerz und die Enttäuschung zu groß sind. Einige entschwanden in die Kabine, andere, wie Keeper Schwolow oder Verteidiger Maxi Mittelstädt schleppten sich zu den wenigen Fans in der Ostkurve. Die hatten erneut Klärungsbedarf, redeten lang auf Schwolow ein, der sein Trikot hergab und den Unmut der wenigen Anwesenden runterkochte. Bilder einer Niederlage in Zeiten der Pandemie, die allen weiter schwer zu schaffen macht.

Union träumt, Hertha zittert

"Geht viel kaputt hier gerade", bemerkten die wenigen Anwesenden bereits vor dem Spiel. Mit dem Derby am Mittwoch und dem Spiel gegen Bayern München am Sonntag wäre das Stadion binnen weniger Tage zweimal ausverkauft gewesen. Aber kurz vor dem zweiten Geburtstag des ersten Lockdowns ist die Lage in Deutschland unverändert. Kaum jemand darf rein. Auch nicht in die offenen Stadien, trotz der zuletzt wieder lauter werdenden Kritik der Funktionäre, stellvertretend vorgetragen durch Hans-Joachim Watzke, dem neuen starken Mann der DFL. Die Funktionäre verstehen die drastische Limitierung der Zuschauerzahlen nicht, die im Angesicht der Omikron-Wand jedoch auch in den kommenden Wochen kaum Anpassungen erfahren dürfte. Es wäre diesem Wettbewerb zu wünschen, dass sich das bis zum Finale im Mai ändert. Wenn womöglich sogar erstmals eine Berliner Mannschaft den DFB-Pokal in die Berliner Luft stemmt. Aber nicht Hertha, sondern der Lokalrivale.

"Es ist schwer zu sagen, was man hier nach dem Spiel sagen soll, ob man jetzt die eins oder zwei ist", sagte Herthas Maxi Mittelstädt nach der Niederlage. "Wir sind alle extrem enttäuscht". Auf der anderen Seite jubelten die Union-Spieler mit den mitgereisten Fans. Sie machten die Welle, sie hüpften und sangen und träumten. Aber nicht zu lang. "Wir feiern, bis wir mit dem Duschen fertig sind", sagte Kruse und richtete den Blick bereits auf die Bundesliga-Partie in Gladbach am kommenden Samstag.

Auch in der Liga gibt es für sie noch etwas zu gewinnen. Hertha hingegen macht es seinen Anhängern weiter nicht leicht. Aus im Pokal, in der Liga geht es ums Überleben. Und jetzt noch das! Die ultimative Demütigung droht: der Pokalsieg der Eisernen im eigenen Stadion. "Wir haben noch zwei Spiele zum Finale", rechnete Kruse nach dem endgültigen Machtwechsel in Berlin: "Das sind zwei Siege, bis wir wieder hier spielen dürften, mal gucken, was für Paarungen kommen. Es ist noch die eine oder andere interessante Mannschaft dabei, wir müssen uns aber nicht verstecken."

Quelle: ntv.de

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